Der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl fordert höhere Strafen bei Verbrechen wie der Amokfahrt.
Am Abend der Amokfahrt meinten Sie, es werde lange dauern, bis Graz diesen Tag verarbeitet hat. Ist es ein Jahr danach soweit?
Siegfried Nagl: Die Amokfahrt ist in Graz immer noch ein großes Thema, auch, weil es noch keine Gerichtsverhandlung gegeben hat. Jede Woche richtet irgendwo auf der Welt ein Amokläufer dramatischen Schaden an, das bringt uns immer wieder in Erinnerung, was vor einem Jahr in Graz passiert ist. Aber es ist positiv zu sehen, dass heute Familien wieder in der Herrengasse einkaufen, Kinder ihr Eis essen.
Sie forderten auch, dass die Gesellschaft besser hinhören müsse, um derartige Taten zu verhindern. Hat sich die Gesellschaft dahingehend verändert?
Ich glaube, dass die Menschen in der Stadt aufmerksamer geworden sind. Beim Männernotruf etwa gehen immer mehr Anrufe von Frauen ein, die melden, dass jemand sich oder anderen etwas antun könnte. Die Gesellschaft muss das wieder entdecken, was in der Antike Askese genannt wurde. Es gehören Pausen dazu, eine anderer Umgang miteinander, eine andere Sprache. Es geht aber genau in die andere Richtung, allein wenn ich mir die Sprache im Internet anschaue. Daher glaube ich, dass noch viel mehr auf uns zukommen wird.
Sie haben kritisiert, dass der Amokfahrer als nicht zurechnungsfähig gilt.
Ich halte es für unerträglich, dass es passieren könnte, dass jemand, der eine solche Tat begangen hat, nach ein, zwei oder auch zehn Jahren als gesund gilt und für diese Tat nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden kann. Ich habe in Graz keinen Menschen getroffen, der anderer Meinung wäre.
Die Rechtsprechung lautet anders.
Unser Strafausmaß bei Verbrechen gegen Leib und Leben ist viel zu gering. Ich habe daher einen dringlichen Antrag im Gemeinderat an den Justizminister eingebracht, dass das jetzige System geändert werden muss. Wenn jemand eine solche Tat begeht, wünsche ich mir eine Verurteilung mit vollem Strafausmaß. Dann kann geklärt werden, ob er psychisch krank ist, und wird in einer geschlossenen Anstalt untergebracht. Sollte er dann gesunden, sollte er aber nicht so wie jetzt wieder freikommen, sondern seine Strafe absitzen.
Sie konnten dem Amokfahrer knapp entkommen. Haben Sie, wie viele Grazer, psychologische Hilfe in Anspruch genommen?
Nein, ich hatte sehr viele Gelegenheiten, mit Menschen darüber zu reden, das hat mir sehr geholfen. Es war als Politiker eine interessante Erfahrung, zu sehen, dass man die eigene Betroffenheit auch zeigen kann. In der Politik versucht man sonst ja eher immer, den starken Mann zu spielen.
Steckbrief
Siegfried Nagl,Jahrgang 1963, ist seit 2003 ÖVP-Bürgermeister der Stadt Graz, davor war er jahrelang Stadtrat (u.a. für Finanzen). Nagl ist verheiratet und hat vier Kinder.
Am 20. Juni 2015 war Nagl Augenzeuge der Amokfahrt und entkam dem Fahrer nur knapp.
APA
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2016)