Die VfGH-Sitzung zur Anfechtung der Hofburg-Wahl hat begonnen. Die ersten Befragungen zeigten einen Widerspruch zwischen dem gesetzlich vorgesehenen Ablauf und der Realität beim Auszählen der Briefwahlstimmen.
Die öffentliche Sitzung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) zur Anfechtung der Hofburg-Stichwahl durch die FPÖ hat am Montag begonnen. Die ersten Zeugenbefragungen zeigten einen Widerspruch zwischen dem gesetzlich vorgesehenen Ablauf und der Realität beim tatsächlichen Auszählen der Briefwahlstimmen und bestätigten damit Vorwürfe der Freiheitlichen. Im Bezirk Südoststeiermark wurden die Briefwahlstimmen schon am Wahlsonntag bis Mitternacht ausgezählt, und auch in Villach war die Auszählung am Montag um 9 Uhr schon abgeschlossen. In Innsbruck-Land wurden sie zwar erst am Montag ausgezählt, aber bereits am Wahlsonntag geöffnet.
Die Wahlordnung sieht vor, dass die Wahlkarten erst ab Montag 9 Uhr im Beisein der Beisitzer auf ihre Gültigkeit geprüft, dann vom Wahlleiter geöffnet und die darin enthaltenen Stimmzettel dann von der Wahlbehörde ausgezählt werden. Zur Begründung ihrer Anfechtung hat die FPÖ vorgebracht, dass zumindest die Prüfung und Öffnung der Wahlkarten in 17 Bezirken bereits vor diesem gesetzlich vorgesehenen Termin erfolgte. Der Verfassungsgerichtshof hat Vertreter aller 17 Stimmbezirke vorgeladen.
Wahlleiter: Auszählung anders nicht zu bewältigen
Den Auftakt machte am Montag der Bezirk Innsbruck-Land. Dort hatte der Leiter der Bezirkswahlbehörde bereits am Sonntag geprüft, ob die Wahlkarten formal korrekt ausgefüllt wurden, die ungültigen aussortiert und die gültigen geöffnet. Anders wären die 15.000 Wahlkarten nicht zu bewältigen, argumentierte er im Zeugenstand.
Zuvor hatte ein FP-Beisitzer berichtet, dass auch die Auszählung der Stimmen ohne die Beisitzer erfolgte. Seine Grüne Kollegin und ein weiterer Beisitzer bestätigten das. Problematisch fanden sie das Vorgehen nicht. Der FP-Beisitzer betonte, er sei zwar erst für 16 Uhr zur Sitzung der Wahlbehörde eingeladen worden, theoretisch hätte er aber auch früher kommen können: "Dass ich dabei sein kann, war mir schon klar, aber nicht, dass ich muss." Anhaltspunkte für eine Manipulation des Ergebnisses sah er nicht. Und die Grüne Kollegin gab an, zwischendurch nur kurz "vorbeigeschaut" und den auszählenden Beamten vertraut zu haben: "Wenn ein Jurist am Werk ist, wird das schon so stimmen."
"Jede Hilfe wäre begrüßt worden"
Der Wahlleiter und stellvertretende Bezirkshauptmann betonte, die Vorgehensweise bereits 2013 in der Wahlbehörde beschlossen und am Wahlsonntag noch einmal besprochen zu haben. Weil die fast 15.000 Wahlkarten andernfalls nicht zu bewältigen wären, habe er die Vorbereitungsarbeiten bereits am Wahlsonntag begonnen, die Auszählung aber erst termingerecht am Montag gestartet: "Vor 9 Uhr wurde keine Stimme ausgezählt." Verwehrt hätte man den Beisitzern die Teilnahme an der Auszählung der Stimmen (durch neun Teams aus je zwei Beamten) aber nicht: "Jede Hilfe wäre begrüßt worden."
Im Recht sieht sich der Beamte deshalb, weil die Nationalratswahlordnung dem Wahlleiter die Möglichkeit gibt, selbstständig vorzugehen, wenn die anderen Mitglieder seiner Wahlbehörde "ungeachtet der ordnungsgemäßen Einberufung" nicht erscheinen (§18 NRWO). Mögliches Problem für ihn: Der angebliche Beschluss aus dem Jahr 2013 wurde nicht dokumentiert, die Beisitzer konnten sich an einen expliziten Beschluss außerdem nicht erinnern.
FPÖ-Beisitzerin berichtet von Abweisung
Wahlbeisitzer des Stimmbezirks Südoststeiermark sagten aus, sie hätten unterschrieben, dass regelkonform ab Montag 9 Uhr ausgezählt worden sei, weil sie der Bezirkshauptmannschaft vertraut hätten. Laut Bezirkshauptmann wurde bereits am Wahlsonntag am Abend vom kurzfristig bestellten Wahlleiter-Stellvertreter und BH-Mitarbeitern ausgezählt.
Die FPÖ-Vertreterin sagte aus, dass sie am Montag vom Wahlleiter-Stellvertreter abgehalten worden sei, die Auszählung zu überwachen. Sie sei im Laufe des Vormittags im Amt erschienen, weil die Landes-FPÖ alle Beisitzer telefonisch aufgefordert hätte, an der Auszählung der Briefwahlstimmen teilzunehmen. Sie sei abgewiesen worden und habe dann erst um 15 Uhr bei der Sitzung der Bezirkswahlbehörde teilgenommen. Der Bezirkshauptmann widersprach: Es habe sich um ein Missverständnis gehandelt, das geklärt worden sei. Wahlbeisitzer hätten selbstverständlich an der Auszählung teilnehmen dürfen.
Die Sofortmeldung an die Landeswahlbehörde über das Ergebnis der Briefwahlstimmen ist so wie in Innsbruck-Land bereits vor Sitzungsbeginn erfolgt. Die Zeugen gaben an, dass diese Meldung korrigiert worden wäre, falls dies nötig gewesen wäre. Die Zeugen - mit Ausnahme der FPÖ-Beisitzerin - sagten aus, dass am 25. April, dem Tag nach dem ersten Wahldurchgang, beschlossen worden sei, dass die Auszählung der Briefwahlstimmen an Beamte und Vertragsbedienstete der BH delegiert wird.
Kein Manipulationsvorwurf durch Beisitzer
In Villach verlangte die FP-Beisitzerin, dass die vorzeitige Öffnung und Auszählung der Stimmen zu Protokoll genommen wird. Sie gab vor Gericht an, ihr sei dann von den Juristen beschieden worden, dass das Protokoll nicht veränderbar sei. Stattdessen habe es einen Aktenvermerk gegeben, den sie aber als "Frechheit" empfunden habe, weil auf die von ihr aufgezeigten Formalfehler darin nicht eingegangen worden sei.
Anhaltspunkte für einen tatsächlichen Missbrauch sah sie aber (wie auch die anderen befragten FP-Beisitzer) nicht: "Mir war eigentlich klar, dass ein Formalfehler vorliegt. Ich hatte nie vor, irgendwen einer Manipulation zu beschuldigen."
Auch Anwesenheit wurde bestätigt, obwohl diese nicht stattgefunden hatte, wurde etwa in Villach-Land deutlich: So habe ein Beisitzer gleich für zwei Tage unterschrieben, obwohl er nur an einem anwesend gewesen sei, wie er aussagte. Gelesen habe er das diesbezügliche Protokoll nicht, ihm sei auch nur die letzte Seite vorgelegt worden. Die erste sei "in irgendeiner Schreibstube zur Korrektur" gelegen. "Das ist die Runde gegangen, das hat kein Mensch gelesen", berichtete ein anderer Beisitzer aus Schwaz.
Im Bezirk Villach-Land wurde laut Protokoll einer Vorbesprechung vermerkt, dass den Mitarbeitern "einhellig die Ermächtigung erteilt" worden sei, bei der Ermittlung des Wahlergebnisses zu helfen. Auf die Frage von FPÖ-Anwalt Rüdiger Schender an den dortigen Bezirkshauptmann, ob er wisse, damit gegen den Leitfaden des Innenministeriums verstoßen zu haben, nickte der Zeuge.
In den Tiroler Wahlbezirken Kitzbühel und Schwaz wurden die Wahlkuverts nicht wie vorgeschrieben am Montag nach der Wahl, sondern bereits am Wahlsonntag geöffnet. Diese seien "vorsortiert" worden, um die Unversehrtheit des Verschlusses zu prüfen, sagte etwa der Bezirkshauptmann von Kitzbühel aus - "Ich denke, es geht nicht anders".
Bei der vorzeitigen Öffnung sind laut Zeugenaussagen in mehreren Bezirken Mitarbeiter beschäftigt worden, an der Auszählung sollen diese aber nicht beteiligt gewesen sein, sagte etwa der Bezirkshauptmann von Kitzbühel. Es habe das Vier-Augen-Prinzip gegolten.
"Zeitnot" und medialer Druck
Warum man es mit der Auszählung der Briefwahlstimmen derartig eilig hatte, begründete eine Zeugin mit "Zeitnot", eine andere zusätzlich mit medialem Druck. Warum in manchen Bezirken schon am Sonntag statt wie vorgeschrieben erst am Montag ausgezählt worden sei, dürfte aber auch mit der Arbeitsmoral der Beisitzer zusammenhängen: Lediglich eine Person erschien Montagfrüh in Kitzbühel. Und das, obwohl der Leiter der Wahlbehörde am Sonntag die Beisitzer mehrmals dazu aufgefordert hätte, "unbedingt" zu erscheinen.
"Dass wir nicht anwesend sein müssen, das haben wir am Sonntag einstimmig beschlossen", gab ein Beisitzer aus Schwaz an, warum auch dort die Beisitzer Montagfrüh nach der Wahl ausgelassen hätten. Dies sei "effizienter", habe es geheißen, da man spezielle Schneidmaschinen für die Kuverts habe. Angestellte der Bezirkshauptmannschaft hätten in Teams die Stimmen ausgezählt. Dies, "weil es einfach so viel Arbeit" sei, erklärte der dortige stellvertretende Bezirkswahlbehörden-Leiter. Und dies, obwohl 20 Personen von der Behörde eingesetzt gewesen seien - "oder wir sind so langsam, ich weiß es nicht".
Dass durch die lockere Handhabung Möglichkeiten zur Manipulation des Ergebnisses entstanden seien, glaubte keiner der befragten Zeugen, auch wenn Kuverts bereits am Sonntag geöffnet worden seien. Der Zugang zu diesen sei über Nacht verschlossen gewesen, sagte etwa die stellvertretende Wahlleiterin aus Kitzbühel. Zudem hätten sie sich ohnehin in einem anderen Gebäude befunden: "Da müsste einer Spiderman sein."
Weitere öffentliche Verhandlung kommende Woche
Die 14 Verfassungsrichter wollen in Summe 90 Zeugen, in erster Linie Mitglieder von Bezirkswahlbehörden, befragen. Die Beweisaufnahme war ursprünglich bis Donnerstag anberaumt. Am Montag teilte VfGH-Sprecher Christian Neuwirth mit, dass kommende Woche noch eine weitere öffentliche Verhandlung angesetzt wird. Dabei sollen die Parteienvertreter zu Wort kommen.
Mit einem Erkenntnis direkt nach Sitzungsende kann nicht gerechnet werden. Der Verfassungsgerichtshof peilt aber eine Entscheidung noch vor dem geplanten Angelobungstermin Van der Bellens am 8. Juli an, andernfalls müsste der Termin verschoben werden.
Bei der Stichwahl unterlag Hofer Van der Bellen mit 30.863 Stimmen. Die FPÖ führt in ihrer Anfechtung unter anderem an, dass Briefwahlstimmen am Montag nach der Stichwahl in einigen Bezirken von nicht befugten Personen ausgezählt, die Wahlkarten zu früh - also vor 9 Uhr - geöffnet und teils ausgewertet wurden. In insgesamt 94 der 117 Bezirkswahlbehörden orteten die Freiheitlichen "gesetzwidrige Vorgänge".
Das Innenministerium hat alle in der FPÖ-Anfechtung aufgezählten Bezirkswahlbehörden angezeigt. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft prüft, ob gegen das Strafrecht verstoßen wurde. Ein mögliches Delikt wäre falsche Beurkundung: Denn laut Bundeswahlbehörde haben alle Beisitzer aller betroffenen Bezirke per Unterschrift bestätigt, dass die Auszählung gesetzeskonform erfolgte. Zeugen können sich, um sich nicht selbst zu belasten, im VfGH-Verfahren der Aussage entschlagen.
(APA)