Die Staatsanwälte ermitteln nun auch wegen Marktmanipulation. VW selbst hält den Ex-Chef offenbar für mitverantwortlich am Skandal, wie eine Versicherungsmeldung zeigt.
Wien. Der Zeitpunkt könnte für die frustrierten Aktionäre nicht besser passen: Zwei Tage vor der VW-Hauptversammlung in Hannover hat die Staatsanwaltschaft Braunschweig neue Ermittlungen gegen Martin Winterkorn aufgenommen. Im Visier hatte die Justiz den früheren Konzernchef schon nach seinem Rücktritt Ende September, wegen möglichen Betrugs im Zusammenhang mit dem Dieselskandal. Diesmal geht es aber nicht direkt um manipulierte Abgaswerte, sondern um Manipulation des Finanzmarktes. Der Verdacht: Winterkorn habe die Aktionäre nicht zeitgerecht über die höchst kursrelevanten Enthüllungen der US-Umweltbehörde informiert. Ermittelt wird – aufgrund einer Anzeige der Finanzaufsicht Bafin – auch gegen eine „zweite Person“. Dabei handele es sich aber nicht um Hans Dieter Pötsch, der damals Finanzvorstand war und heute den Aufsichtsrat leitet.
VW dementiert Gespräche
Für Winterkorn eröffnet sich aber noch eine weitere juristische Front: Volkswagen hat eine vorsorgliche Meldung bei der Manager-Haftpflichtversicherung gemacht – und dabei, wie das „Handelsblatt“ berichtet, den Ex-Chef als eine der Personen genannt, die möglicherweise haften müssten. Das hieße: Der Konzern hält Winterkorn für rechtlich mitverantwortlich am Skandal. Dass man aber mit ihm bereits über Zahlungen verhandle, hat VW vehement dementiert.
Kommt es zu einem Haftpflichtfall, könnte es für Winterkorn teuer werden. Zwar schließen Unternehmen solche Versicherungen eigentlich ab, um ihre Vorstände und Aufsichtsräte gegen Schadenersatzansprüche bei Fehlverhalten zu schützen. Aber bei großen Aktiengesellschaften gibt es in Deutschland einen verpflichtenden Selbstbehalt, den der betroffene Manager aus eigener Kasse zahlen muss. Das Gesetz von 2009 war als erzieherische Maßnahme gedacht: Führungskräfte sollen sich nicht ganz sicher fühlen und vor allzu riskanten Entscheidungen zurückschrecken. Die Beträge können schmerzen: bis zum Eineinhalbfachen eines jährlichen Fixgehaltes. Freilich: Von den 15 Mio. Euro, die Winterkorn im Schnitt der vergangenen Jahre verdient hat, war der größte Teil variabel, also eine Belohnung für guten Erfolg. Dennoch: Zwischen zwei und 2,5 Mio. Euro an Selbstbehalt wären drin. Und wenn sich ein Fehlverhalten über mehrere Jahre erstreckt hat, ist der Betrag auch mehrfach fällig. Allerdings hat das deutsche Gesetz eine gewaltige Lücke. Es ist nämlich nicht verboten, dass der Manager seinen Selbstbehalt privat versichert. Das haben geschäftstüchtige Versicherungen prompt genutzt: Erst verkauften sie der Firma eine Polizze für die Managerhaftpflicht, dann dem Vorstand eine für seinen Selbstbehalt. In einigen Fällen, wie eine Studie aufzeigte, zum sehr bescheidenen Preis von 200 Euro pro Jahr. Bei solchen Kombi-Produkten subventioniert also die Firma den Selbstbehalt. Damit sind dem Gesetz alle Zähne gezogen.
Ob Winterkorn seinen Selbstbehalt versichert hat, ist nicht bekannt, aber wohl anzunehmen. Sicher darf er sich aber trotzdem nicht wähnen. Denn das Ausmaß des Schadens überschreitet bei Weitem die Deckungssumme von 500 Mio. Euro. Was darüber hinausgeht, könnte VW theoretisch auch bei Winterkorn einklagen. Üblicher sind außergerichtliche Vergleiche. So war es auch beim Siemens-Korruptionsskandal: Am Ende einigte sich der Münchner Konzern mit Heinrich von Pierer, der fünf Mio. Euro zahlte.
Kein Selbstbehalt in Österreich
Wie aber wäre die rechtliche Situation in Österreich? „Eine gesetzliche Pflicht zum Selbstbehalt bei der Manager-Haftpflichtversicherung gibt es nicht“, erklärt der Jurist Peter Hietsch vom Versicherungsmakler GrECo. Mehr noch: „Er ist auch überhaupt nicht üblich.“ Wie viele Firmen hierzulande die Fehler ihrer Vorstände und Aufsichtsräte versichern, weiß niemand so genau. Hietsch schätzt die Zahl der Polizzen auf 4000 bis 5000. Sicher ist: Was früher nur die Chefetagen von Großunternehmen betraf, wird immer mehr auch im Mittelstand üblich. Bei bestehenden Verträgen „steigen die Summen“, weiß Hietsch. Grund sei die „steigende Anspruchsmentalität“: „Es wird immer öfter geklagt.“
AUF EINEN BLICK
Die Staatsanwaltschaft wird im Zusammenhang mit der Abgasaffäre erneut gegen Martin Winterkorn aktiv – diesmal wegen Markmanipulation durch unterlassene Information der Aktionäre. Laut einem Zeitungsbericht geht mittlerweile der Konzern selbst von einem Fehlverhalten seines Ex-Chefs aus: Eine vorsorgliche Meldung an die Manager-Haftpflichtversicherung soll auch seinen Namen enthalten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2016)