Lockerbie-Bomber Megrahi in Freiheit

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Die schottische Justiz erlaubt dem Krebskranken die Heimkehr nach Libyen. Bei dem Anschlag im Jahr 1988 starben 270 Menschen. Zweifel am Urteil verstummten nie.

London. Überraschung war es am Ende keine mehr: Nach acht Jahren Haft in einer Einzelzelle in Glasgow wurde der mutmaßliche Lockerbie-Attentäter Abdel Basset al Megrahi, ein ehemaliger libyscher Geheimagent, gestern vom schottischen Justizminister Kenny MacAskill aus „humanitären Gründen“ vorzeitig freigelassen. Der 57-jährige Megrahi ist unheilbar an Prostatakrebs erkrankt. „Ihm steht nun eine Strafe bevor, die von einer höheren Macht verhängt wurde“, sagte MacAskill. Megrahi wurde bereits gestern, Donnerstag, in seine Heimat transferiert.

Die Entscheidung der schottischen Justiz, die sich bereits in den vergangenen Tagen abgezeichnet hatte, erfolgte ungeachtet massiven Drucks der USA. Von den 270 Toten des Attentats von Lockerbie am 21. Dezember 1988, bei dem der PanAm Flug 103 über der schottischen Ortschaft in die Luft gesprengt wurde, waren 189 amerikanische Staatsbürger. US-Außenministerin Hillary Clinton bezeichnete eine Freilassung Megrahis als „vollkommen falsch“. Die Zweifel an der Schuld des libyschen Geheimagenten wollten freilich nie verstummen (siehe Interview unten). Gegen seine Verurteilung 2001 zu „mindestens 20 Jahren Haft“ legte er in den nachfolgenden Jahren mehrmals vergeblich Berufung ein, 2003 wurde sein Strafmaß sogar auf 27 Jahre erhöht. Überraschend zog er aber diese Woche die neuerliche Berufung zurück. Es wurde gemunkelt, dass dies die – inoffizielle – Bedingung für seine Freilassung war.

Geheimabsprachen mit Gadhafi?

Ebenfalls nicht verstummen wollen dieser Tage in Großbritannien Gerüchte über Geheimabsprachen zwischen den Führungen in London und Tripolis. Libyen verfügt über riesige Ölvorkommen, Staatsführer Muammar Gadhafi wird seit einigen Jahren hofiert, die Petro-Milliarden fließen.Die Zeitung „Daily Mail“ berichtete, der damalige britische Premier Tony Blair habe 2007 bei einem Besuch in Tripolis ein Geheimabkommen mit Gadhafi geschlossen. Demzufolge stimmte Tripolis der Rückkehr der britischen Ölgesellschaft BP nach Libyen zu, wenn im Gegenzug Megrahi freigelassen werde. Der zuständige schottische Justizminister MacAskill: „Es hat keinerlei Druck oder Einmischung aus London gegeben.“

Unter den Angehörigen von Opfern des Attentats fand die Freilassung Megrahis gemischte Aufnahme. Victoria Cummock, die ihren Ehemann bei dem Attentat verloren hat, sagte der BBC: „Das ist moralisch völlig unverständlich. Es handelt sich um Massenmord.“ Dagegen sagte Martin Cadman, dessen Sohn getötet wurde, die Freilassung des todkranken Megrahi sei „richtig“.

Minister zweifelt nicht an Urteil

Diesen Gedanken betonte auch MacAskill. Er betonte, dass Megrahi „niemals Bedauern oder Mitgefühl für die Opfer gezeigt hat, und wir niemals Zweifel an dem Urteil gegen ihn und seine Schuld hatten. Doch das allein ist kein Grund, nun ihm und seiner Familie Mitgefühl zu verweigern. Mitgefühl und Gnade sind Teil unserer Werte, die wir auch unter der stärksten Herausforderung beibehalten müssen.“

Kommentar, Seite 31

AUF EINEN BLICK

Am 22. Dezember 1988 explodierte an Bord eines PanAm-Fluges von London nach New York eine Bombe. Das Flugzeug stürzte auf die schottische Ortschaft Lockerbie, die 259 Insassen und elf Einwohner des Ortes starben.

Am 31. Jänner 2001 wurde schließlich der ehemalige libysche Geheimagent Abdel Basset al Megrahi wegen des Anschlags verurteilt, seine Berufung blieb erfolglos. Einem weiteren Berufungsantrag wurde schließlich 2007 stattgegeben, weil die Revisionskommission offenbar gravierende Mängel am Zustandekommen der Urteile feststellte. Spekulationen über politische Einflussnahme gibt es seit Jahren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2009)

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