Russland: Störenfried im Parlament der Jasager

State Duma in plenary session
State Duma in plenary session(c) Fadeichev Sergei / Tass / picturedesk
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Der Abgeordnete Dmitrij Gudkow hat sich in der zahmen Staatsduma als Kritiker einen Namen gemacht. Bei der Wahl im Herbst hofft er erneut auf ein Mandat. Kann ihm das gelingen?

Moskau. Als Außenminister Sergej Lawrow in der Vorwoche in die Duma kam, ließen die Mandatare von Dmitrij Gudkows früherer Fraktion Gerechtes Russland dessen Fragen nicht zu. Als die Duma unlängst über den Ausschluss von Gudkows ehemaligem politischen Mitstreiter Ilja Ponomarjow abstimmte, verhalf er sich mit einem Kniff zu Redezeit: Er trank Kaffee mit Wladimir Schirinowskij, worauf ihm dieser ein paar Minuten seiner Liberaldemokraten schenkte. Am Resultat änderte das nichts. Nur Gudkow und zwei weitere Abgeordnete stimmten gegen den Ausschluss Ponomarjows.

Dmitrij Gudkow, ein sportlicher, hoch gewachsener 36-Jähriger, teilt selten die Meinung der Mehrheit der 450 Abgeordneten. Er ist der einzige unabhängige Abgeordnete in einem Parlament, das sich meistens mit dem Abnicken von Vorlagen begnügt. Gesetze werden im Eiltempo verabschiedet, allein gestern waren es 67. Auf Facebook schreibt er dagegen an. „Ich führe einen Kampf um die öffentliche Meinung“, sagt er. „Ich erzähle den Bürgern von den verrückten Gesetzen, die hier angenommen werden.“ Beispiele gibt es genug: etwa das Gesetz über das Verbot der Adoption russischer Kinder durch US-Amerikaner. Damals votierten immerhin acht Abgeordnete dagegen, darunter Gudkow. Als die Duma über die Krim-Annexion abstimmte, fehlte er. Ilja Ponomarjow war damals der einzige, der opponierte. Ponomarjow hält sich seit August 2014 in den USA auf. Gegen ihn laufen Ermittlungen wegen Veruntreuung.

Keine Sommerpause

Gudkow hält die Vorwürfe für vorgeschoben. Er selbst gibt sich kämpferisch. „Ich habe kein Business, habe nie Gelder verteilt und gehe regelmäßig in die Duma. Man könnte mir höchstens Drogen unterjubeln oder mich auf einer Brücke erschießen wie Boris Nemzow.“ Gudkow sagt Sätze, die sitzen. Er spricht schnell, steht unter Strom, sein nächster Gesprächspartner wartet schon am Nebentisch in einem Pub, nur ein paar Schritte vom Parlament entfernt.

Vor ein paar Tagen hat Präsident Wladimir Putin offiziell den 18.September als Termin für die Parlamentswahlen festgesetzt. Die Duma geht in ein paar Tagen in die Sommerpause. Doch auf Erholung müssen die Parteien dieses Jahr verzichten: Bald werden die Kandidaten bestimmt, der Wahlkampf startet. Gudkow möchte wieder ins Parlament einziehen. Doch er hat ein Problem: Er hat keine Partei.

2011 zog Gudkow für Gerechtes Russlands in die Duma ein. Gerechtes Russland gilt als kremlnahe Kraft, die linke Stimmen sammeln soll. Gudkow gelangte schnell an die Grenzen dieser sogenannten konstruktiven Opposition. 2013 wurde er aus der Fraktion ausgeschlossen: Durch seine Verbindungen zur außerparlamentarischen Protestbewegung schade er der Partei, hieß es. „Die Abgeordneten sind keine Idioten“, sagt Gudkow. „Aber sie sind Geiseln ihrer Lage. Wenn sie sich nicht entsprechend verhalten, wissen sie, dass ihnen ihr Eigentum abgenommen wird.“ Persönlich habe er zu mehreren ein gutes Verhältnis. In der Öffentlichkeit unterstützt ihn niemand.

Und so ist Gudkow auch bei der Wahlkampagne auf sich allein gestellt. Um die politikmüden Bürger für die Abstimmung zu interessieren, wurde das Wahlgesetz reformiert: 425 Abgeordnete werden über Listenplätze, 425 über Direktmandate ermittelt. Der Kreml setzt auf Kandidaten, die nach außen unabhängig aussehen, sich aber im Parlament systemtreu verhalten sollen. „Operation Managed Pluralism“ nennt es die Wochenzeitung „Moscow Times“ treffend.

Von Stiege zu Stiege

Um ein echtes unabhängiges Direktmandat kämpft hingegen Gudkow in einem Wahlkreis im Nordwesten Moskaus, wo die Oppositionsparteien Parnas und Jabloko ihn unterstützen. Mindestens 15Prozent der Bürger würden proeuropäische, demokratiefreundliche Kandidaten wie ihn unterstützen, meint Gudkow. Das Kunststück sei vielmehr, diese Mittelschicht zur Teilnahme zu bewegen. Schaffen will er dies mit einem Heer an Freiwilligen, die von Wohnung zu Wohnung ziehen. „Tausend habe ich schon, aber es gibt 4500 Stiegen dort“, rechnet er vor. „Wir haben keine TV-Macht, also müssen wir das anders schaffen.“ Es soll ein unkonventioneller Wahlkampf werden, mit persönlichen Treffen, Aktivitäten in sozialen Netzwerken und Fundraising. Die Themen, die er sich vorgenommen hat, klingen im heutigen Russland exotisch: Gudkow sagt, er wolle den Konflikt mit dem Westen beenden. Statt Geld für den Krieg solle mehr Geld für Bildung ausgegeben werden.

Sein Konkurrent im Wahlkreis von regierungsnaher Seite heißt Gennadij Onischenko, der frühere Chef-Sanitätsinspektor, der für den Bann gegen georgische, moldauische und weißrussische Produkte verantwortlich war. „Er ist zwar recht bekannt, aber man kann gegen ihn gewinnen“, gibt sich Gudkow zuversichtlich. Dass die Opposition in der künftigen Duma vertreten sein wird, sei für Russlands Zukunft wichtig: „Andernfalls steht fest, dass ein Machtwechsel nicht mittels Wahlen stattfinden wird.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2016)

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