Russland: Wenn Oligarchen Tomaten züchten

Putin Is Growing Organic Power One T-34 Tank-Tomato At A Time
Putin Is Growing Organic Power One T-34 Tank-Tomato At A Time(c) Bloomberg (Andrey Rudakov)
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Das Importembargo auf westliche Agrarprodukte treibt Russlands Landwirtschaft an. Jeder Tycoon, der auf sich hält, investiert in die Zucht von Tomaten, Weizen und Vieh.

Wien/Moskau. Einen idealeren Ort hätte man kaum finden können. Nur 100 Kilometer von Moskau entfernt liegt der Betrieb, in einer traumhaften Landschaft der schier endlosen russischen Ebene. Ein riesiges Kraftwerk in unmittelbarer Nachbarschaft, das ein Zehntel des Moskauer Strombedarfs deckt, liefert die nötige Energie für die Gewächshäuser zur Gurken- und Tomatenzucht. Wer hier, im Dorf Nowoselki des Gebietes Kaschirsk, zu Grund und Boden kommt, braucht nicht nur das nötige Kleingeld, er braucht auch einen guten Draht bis ganz nach oben.

Juri Kowaltschuk hat beides. Einst Datschennachbar von Kremlchef Wladimir Putin nahe St. Petersburg, startete er später im Sog seines Freundes wirtschaftlich richtig durch. Die auf der westlichen Sanktionsliste stehende Bank Rossiya gehört zum Imperium des 64-Jährigen. Beträchtliche Anteile im Versicherungssektor auch. Zudem eine weitverzweigte Holding von Medien, die gute Einnahmen garantiert – und einen gefahrlosen zensurierten Informationsfluss auch.

Dass Kowaltschuk einmal in die Landwirtschaft gehen würde, hätte noch vor zwei Jahren niemand gedacht. Auch jetzt wird über Firmengeflechte verschleiert, dass er an der Produktion von Tausenden Tonnen Gurken in Nowoselki beteiligt ist. Doch das russische „Forbes“-Magazin deckte die Verflechtung auf. Die Hälfte der Anteile hält demnach die russisch-orthodoxe Kirche.

Mister Kalaschnikow und Mister Green

Landwirtschaft ist plötzlich „in“ im größten Staat der Erde. Wer als sogenannter Oligarch etwas auf sich hält, investiert eifrig in den Anbau von Tomaten, Weizen oder in die Viehzucht. Der vormals in der Schweiz ansässige Ölhändler Gennadi Timtschenko etwa, der auf die westliche Sanktionsliste geriet und laut Panama-Papers Offshore-Geschäfte über die Hypo Vorarlberg tätigte. Nun baut er in einem russisch-französischen Joint-Venture Äpfel und anderes Obst an.

Oder der Multimilliardär Iskander Machmudow, der bisher eher durch Kohleförderung und eine Beteiligung am Waffenproduzenten Kalaschnikow aufgefallen war. Machmudow lässt auf 34.000 Hektar Milch und Gemüse der Marke „Mister Green“ erzeugen. Ähnlich der langhaarige Telekommunikationsinvestor Sergej Adonjew, der einst Obst importierte und nun Glashäuser baut, in denen er Gemüse mit dem Gütesiegel ROST („Russischer Gemüsestandard“) produziert. Ja selbst Provinzgouverneure und Kinder von Topbeamten haben den Sektor für sich entdeckt: Der Sohn des immer übler beleumundeten Generalstaatsanwalts ging in die Champignonzucht.

Ende der Holländischen Krankheit

Das Importembargo auf westliche Agrarprodukte, das Putin als Antwort auf die Wirtschaftssanktionen 2014 verhängt hat, gab dem Landwirtschaftssektor den starken Impuls. Importsubstitution mit Produkten Made in Russia lautet nun der patriotische Slogan. Dies umso mehr, als die Wirtschaft 2015 um 3,7 Prozent geschrumpft ist und auch 2016 noch in einer Rezession steckt. Allemal bezeichnend, dass die Landwirtschaft der einzige Sektor ist, der sich stetig entwickelt, so Georgij Ostapkowitsch, Konjunkturforscher an der Moskauer Higher School of Economics, im Gespräch: „Das Wachstum beträgt jährlich zwei bis drei Prozent.“ Es verdankt sich freilich nicht allein dem Importembargo. Noch mehr sei es dem Umstand geschuldet, dass der Staat vor etwa fünf Jahren Geld in den Sektor zu pumpen begann, so Ostapkowitsch: Einen Produktionszyklus von drei bis vier Jahren später würde jetzt die Ernte eingefahren.

Es mag paradox erscheinen. Aber der Zeitpunkt, sich auf Produktion im Inland zu konzentrieren, könnte günstiger nicht sein. Unabhängig von den Sanktionen hat der Verfall des Ölpreises seit Sommer 2014 dazu geführt, dass der Rubel zwischenzeitlich mehr als die Hälfte seines Wertes verlor. Das hat den vorherigen Importwahn zum Leidwesen westlicher Lieferanten gestoppt und die Voraussetzungen für eine konkurrenzfähigere eigene Produktion geschaffen. Zuvor nämlich hatte Russland unter der sogenannten Holländischen Krankheit gelitten, einem Phänomen rohstoffreicher Staaten, deren Währung in Zeiten hoher Rohstoffpreise derart erstarkt, dass sich rohstoffferne Branchen nur schwer entwickeln können.

Auch die Landwirtschaft hatte lange vor sich hin gedümpelt. Davon zeugen bis heute die vielen verlassenen Kolchosen. Davon zeugt auch, dass das Land zu den größten Lebensmittelimporteuren der Welt gehört.

Der Suff und die Börse

Heute machen Finanzierungsschwierigkeiten und mangelnde Konkurrenz zu schaffen. Dazu die Korruption. Würde der Staat nicht stören, würden sich Investitionen in sechs bis sieben Jahren amortisieren und nicht erst, wie jetzt, in frühestens zehn Jahren, sagte dieser Tage ein frustrierter Anteilseigner von Kaschira, Russlands größtem Champignonproduzenten, zur Zeitung „Wedomosti“: Man plane, aus Russland wegzugehen.

Der Störung von außen entsprechen die Schwächen in den Unternehmen. Zu den teils veralteten Geräten kommt das Problem, qualifizierte und zuverlässige Mitarbeiter zu finden. Bei Bewerbungsgesprächen in der tiefen Provinz könne man von zehn Kandidaten die Hälfte gleich nach Hause schicken, erzählt ein in die Landwirtschaft investierender Milliardär im Gespräch: Vom Rest erweise sich einer nach einer Woche als unbrauchbar. Das Hauptproblem? „Der Suff.“

Diejenigen freilich, die die Landwirtschaft schon lange als Kerngeschäft betreiben, sind offenbar auch damit zurechtgekommen und konnten seit Beginn des Importembargos besonders profitieren. Das spiegelt sich auch an der Börse. Bestperformer unter allen Unternehmen im Vorjahr war der Agrarkonzern RusAgro, dessen Aktienkurs sich allein 2015 mehr als verdoppelte. Erst vor wenigen Wochen holte sich das Unternehmen bei einer Kapitalerhöhung in London 250 Mio. Dollar (224 Mio. Euro), die unter anderem in den Aufbau von Schweinefarmen und Gewächshäusern fließen sollen.

Es hat den Anschein, dass den russischen Agrarunternehmern das Importembargo durchaus passt. Nicht zufällig hat Putin es vorige Woche verlängert – ehe es die EU ihm gestern gleichtat (siehe Seite 5).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2016)

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