Der todkranke Libyer Abdel Basset al Megrahi ist von den schottischen Behörden vorzeitig aus der Haft entlassen worden. In seiner Heimat wurde er mit Jubel empfangen.
Der aus schottischer Haft freigelassene Lockerbie-Attentäter Abdel Basset al Megrahi ist am Donnerstag in seiner Heimat Libyen von Hunderten Landsleuten willkommen geheißen worden. Obwohl die Rückkehr Megrahis in das nordafrikanische Land nicht von den staatlichen Medien angekündigt worden war, fanden sich am Flughafen der Hauptstadt Tripolis zahlreiche junge Libyer ein, die ihm zujubelten und die Landesflagge schwenkten.
Viele der Jugendlichen trugen Transparente mit dem Namen des Nationalen Jugendverbands, der Saif al-Islam Gaddafi nahesteht, einem der Söhne von Staatsführer Muammar Gaddafi. Auf den Spruchbändern waren Slogans zu lesen wie: "Du hast versprochen und Wort gehalten, Abdel Basset al-Megrahi zu seiner Familie zurückzubringen."
Megrahi beteuerte nach seiner Ankunft auf dem Militärflughafen in einer Erklärung seine Unschuld. Er sei fälschlicherweise verurteilt worden.
Vorzeitige Entlassung wegen Krebserkrankung
Die schottische Regierung hatte am Donnerstag entschieden, den todkranken Megrahi acht Jahre nach seiner Verurteilung zu lebenslanger Haft vorzeitig aus dem Gefängnis zu entlassen. Beim Anschlag auf ein PanAm-Flugzeug über der schottischen Ortschaft Lockerbie waren im Jahr 1988 270 Menschen getötet worden, die meisten davon US-Amerikaner. Der Libyer war der einzige, der für das Attentat zur Rechenschaft gezogen wurde.
Kritik aus London und Washington
US-Präsident Barack Obama hat die Haftentlassung scharf kritisiert und angekündigt, bei der libyschen Regierung darauf zu dringen, dass Megrahi in seiner Heimat unter Hausarrest gestellt werde. Auch der begeisterten Empfang für den Lockerbie-Attentäter in Libyen wurde von den USA heftig kritisiert. "Er ist ein Terrorist, kein Held", sagte ein Sprecher des Außenamtes am Donnerstagabend in Washington. Wenn Libyen ihn nun zum Helden stilisiere, dann werde dies Konsequenzen für das künftige Verhältnis haben.
Der britische Außenminister David Miliband drohte mit diplomatischen Konsequenzen und erklärte am Freitag, das Verhalten Libyens in den kommenden Tagen werde für die Wiederaufnahme des Landes in die "Gemeinschaft zivilisierter Staaten" ausschlaggebend sein. "Zu sehen, wie einem Massenmörder in Tripolis ein Helden-Empfang bereitet wird, ist zutiefst erschütternd", sagte Miliband im BBC-Radio.
Miliband ließ offen, ob er selbst mit der Freilassung Megrahis einverstanden war. Er erklärte lediglich, London habe in dem Fall keinen Druck auf Edinburgh ausgeübt. Die Entscheidung wurde von der schottischen Regierung getroffen, die in juristischen Fragen von London unabhängig ist. Sollten jedoch außenpolitische Konsequenzen folgen, wäre die britische Regierung damit befasst.
Der schottische Justizminister Kelly MacAskill verteidigte unterdessen im amerikanischen Fernsehen seine Entscheidung. "In Schottland gibt es im Rechtswesen Mitgefühl. Deshalb wurde ihm gestattet, nach Hause zu gehen und zu sterben."
Sündenbock des Westens
Für viele Libyer galt al-Megrahi indessen stets als Sündenbock des Westens, um ihr Land aus der internationalen Staatengemeinschaft zu verstoßen. Inzwischen hat sich Gaddafi aber wieder an den Westen angenähert. Manche Angehörige der Lockerbie-Opfer sahen hierin einen Zusammenhang zu der umstrittenen Freilassung Megrahis. "Es ging hier nicht um humanitäre Gründe", kritisierte Susan Cohen aus New Jersey, deren damals 20-jährige Tochter in der Pan-Am-Maschine ums Leben kam. "Es ging darum, sich dem Willen Gaddafis zu beugen, damit er uns sein Öl liefert."
(Ag.)