Kern und Merkel versuchen den Gleichschritt

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Bei seinem Antrittsbesuch betonten der Kanzler und die Kanzlerin Gemeinsamkeiten und mahnten mehr Solidarität aller EU-Staaten ein.

Berlin. Ein wenig holperte es zu Beginn schon noch. Zumindest gelang beim Abschreiten der Ehrenformation vor dem Berliner Bundeskanzleramt noch kein wirklicher Gleichschritt. Doch das festliche Protokoll war ohnehin der weniger wichtige Teil von Bundeskanzler Christian Kerns Antrittsbesuch bei seiner deutschen Amtskollegin, Angela Merkel. Inhaltlich zeigte man sich Donnerstagnachmittag jedenfalls auf einer Linie – wobei das Thema Flüchtlinge im Mittelpunkt stand. Beide forderten mehr Solidarität bei der Aufteilung. Es sei „nicht akzeptabel“, sagte Kern, „dass einzelne Staaten sich nicht beteiligen“. Es gehe darum zu beweisen, dass Europa ein solidarisches Projekt sei.

Gemeinsamkeiten sehen die beiden darin, dass die EU-Außengrenzen besser geschützt werden müssen. Und dass man die Fluchtursachen bekämpfen müsse. In der Flüchtlingspolitik, so scheint es, haben Österreich und Deutschland wieder zu einem Gleichschritt gefunden. Zuletzt hatte es ja Verstimmungen gegeben, nachdem Österreich im Februar die Schließung der Westbalkanroute orchestriert und eine nationale Obergrenze eingeführt hatte. Berlin war darüber alles andere als erfreut, hielt sich aber mit öffentlicher Kritik zurück. Nur im Off war zu hören, wie sehr man verärgert war.

Kern verteidigt Faymann

Vor allem unter dem Druck der ÖVP hatte Kerns Vorgänger, Werner Faymann, den Kurswechsel vorgenommen. Eine Entscheidung, die Kern in Berlin zu verteidigen versuchte: Die ursprünglichen Einschätzungen über die Flüchtlingsströme hätten sich als falsch herausgestellt, man habe mit einem derartigen Anstrom nicht gerechnet – und dann sei die Stimmung gekippt. Für die Regierung sei es also darum gegangen, „die Probleme so zu lösen, dass die Bevölkerung zumindest zum Teil dahintersteht“. Aus diesem Blickwinkel sei das Vorgehen seines Vorgängers also verständlich gewesen.

Indirekt hat Deutschland durch die Schließung der Grenzen profitiert – seit damals kommen massiv weniger Flüchtlinge. Dass man dafür eigentlich dankbar sein müsste, wie das Narrativ aus österreichischer Sicht gern erzählt wird, sieht Kern nicht: „Dankbarkeit ist bekanntlich keine politische Kategorie. Und ich sehe auch keinen Anlass dafür.“ Der Kanzler steht hinter dem Flüchtlingsabkommen mit der Türkei, das vorerst viel Druck von Europa genommen hat – und das Deutschland maßgeblich forciert hat. Merkel hatte immer argumentiert, dass nationale Alleingänge das Problem nicht lösen, sondern es nur verschieben – an Länder mit EU-Außengrenzen wie Griechenland.

Das Zerwürfnis nach Österreichs Alleingang zog mehrere Besuche nach sich – Außenminister Sebastian Kurz etwa kam gleich mehrmals zur Charmeoffensive nach Berlin. Spätestens nachdem der Türkei-Deal beschlossen war, zeigten die Deutschen sich aber wieder versöhnlich. Es gehe darum, „dass jetzt alle nach vorn gucken“, sagte Deutschlands Innenminister, Thomas de Maizière, bei einem Wien-Besuch im April.

Mit dem Besuch bei Merkel ist nun die freundschaftliche Beziehung auch auf höchster Ebene wieder offiziell. Was Kern noch mit der Fußball-EM in Verbindung brachte. „Wir lecken unsere Wunden, aber wir haben Routine dabei“, sagte er zum Ausscheiden des ÖFB-Teams. Und seit Cordoba, dem identitätsstiftenden Sieg gegen die Deutschen, habe sich viel verändert. Heute seien in Österreich nämlich alle für Deutschland.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2016)

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