Hitler und Stalin: Teufels Pakt mit Luzifer

(c) AP (Petar Petrov)
  • Drucken

Vor siebzig Jahren: Hitler und Stalin bluffen die Westmächte.

Die Nacht auf Mittwoch, den 23. August 1939, hatte der Außenminister des Deutschen Reichs, Joachim von Ribbentrop, mit seinem diplomatischen Gefolge in Königsberg verbracht. Er war unterwegs nach Moskau, um jenen spektakulären Coup abzuschließen, der die Weltpolitik auf den Kopf stellen sollte: Die ideologischen Todfeinde, nämlich das NS-Regime Adolf Hitlers und die kommunistische Parteidiktatur Josef Stalins, würden einen Nichtangriffspakt schließen – und Osteuropa unter sich aufteilen. Damit erhielt Hitler freie Hand zum Angriff auf Polen, den die deutschen Militärs als kurzen Feldzug geplant hatten. Dass Frankreich oder England den bedrängten Polen zu Hilfe eilen würden – das glaubte kaum jemand.

Hakenkreuz aus dem Filmfundus

Gegen Mittag landete Ribbentrop auf dem Moskauer Flughafen Hadynkafeld. Eine Hakenkreuzflagge wehte neben Hammer und Sichel: Da in ganz Moskau keine Hakenkreuzfahne vorhanden war, sprang eine sowjetische Filmfirma ein, die auf Anti-Nazi-Filme spezialisiert war. Auch das „Horst-Wessel-Lied“ wurde in aller Eile mit Müh und Not eingeübt.

Um 15.15 Uhr traf der frühere Sektverkäufer Ribbentrop erstmals auf Iossif Wissarionowitsch Dschugaschwili, genannt Stalin. Der Diktator trug eine helle Uniformjacke und Stiefel. Sein Händedruck war lasch, aber der begabte Schauspieler gab sich charmant, angenehm, bescheiden. Bis 19 Uhr dauerte die erste Verhandlungsrunde, gedolmetscht vom deutschen Legationsrat Gustav Hilger.

Nervosität auf dem Obersalzberg

Während Hitler auf dem „Berghof“ bei Berchtesgaden tagsüber immer nervöser wurde, setzten am Abend Ribbentrop und der sowjetische Außenminister Molotow die Gespräche fort. Jetzt ging es um ein Zusatzprotokoll zum Freundschaftspakt, der geheim bleiben sollte. Er wurde erst lang nach Kriegsende publik. Ab 20 Uhr hielt es Hitler nicht mehr länger aus und ließ in der Deutschen Botschaft nachfragen. Ohne konkretes Ergebnis.

„Das sieht nach viel Blut aus“

Der laue Sommertag im bayerischen Gebirge neigte sich dem Ende zu. Keine neuen Nachrichten von Ribbentrop. Hitler, sein Lieblingsarchitekt Albert Speer und einige Adjutanten starrten von der Terrasse des Hitler'schen Landsitzes in den Abendhimmel. Hinter dem Untersberg wechselte der Himmel von Türkisgrün über Violett bis zu einem schaurigen Rot. Ein Nordlicht. Selten in dieser Gegend. Speer sah nur die Inszenierung: Wie der Schlussakt der „Götterdämmerung“, murmelte er. Hitler sah die Naturerscheinung realistischer: „Das sieht nach viel Blut aus. Diesmal wird es nicht ohne Gewalt abgehen...“

Um zwei Uhr morgens des 24. August waren die bisherigen Feinde handelseins. Datiert wurde das Abkommen dennoch mit 23. August. Eine kleine Feier im Kreml lockerte die Zungen. Stalin und Hitlers Abgesandter spotteten über die Engländer, von den Franzosen hielt Stalin auch nicht allzu viel. Da war sich Ribbentrop zwar nicht ganz so sicher, aber natürlich wäre Deutschland gegen den Erbfeind bestens gerüstet. Er habe sich, wird er später in Berlin erzählen, wohl „wie unter alten Parteigenossen gefühlt“. An Peinlichkeit war der Minister im ganzen NS-Führungskorps kaum zu übertreffen.

Am Morgen des 24. August rieb man sich in vielen Staatskanzleien die Augen. Hitler hatte das Unmögliche tatsächlich geschafft. In Japan herrschte fassungsloses Entsetzen: Dazu war Nippon ein Bündnis mit Hitler (den Antikominternpakt gegen die Sowjets) eingegangen? Zwei kaiserliche Offiziere waren gerade unterwegs, als Gäste des bevorstehenden NSDAP-Reichsparteitags. Man beorderte sie telegrafisch zurück. Die Veranstaltung fand dann wegen des Polen-Feldzugs sowieso nicht statt.

Während das mit Hitler verbündete faschistische Italien den Pakt rühmte, erneuerte im Pariser Elyséepalast der Ministerrat sein Versprechen an Polen; in London betrat gegen 15 Uhr Premier Neville Chamberlain den Saal des Unterhauses, stürmisch von den Abgeordneten bejubelt. „Großbritannien steht heute unmittelbar einer Kriegsgefahr gegenüber“, formulierte er gewohnt spröde. „Seiner Majestät Regierung“ werde aber zu Polen stehen. Schon allein aus Selbstachtung.

Noch sieben Tage bis zum ersten Schuss des Krieges am 1. September um 4.45 Uhr.

DAS GEHEIME ZUSATZPROTOKOLL IM WORTLAUT

Vertraulich. Aus Anlass der Unterzeichnung des Nichtangriffsvertrags zwischen dem Deutschen Reich und der UdSSR haben die unterzeichneten Bevollmächtigten der beiden Teile in vertraulicher Aussprache die Frage der Abgrenzung der beiderseitigen Interessensphären in Osteuropa erörtert. Diese Aus- sprache hat zu folgendem Ergebnis geführt:

1. Für den Fall einer territorial-politischen Umgestaltung in den zu den baltischen Staaten gehörenden Gebieten (Finnland, Estland, Lettland, Litauen) bildet die nördliche Grenze Litauens zugleich die Grenze der Interessensphären Deutschlands und der UdSSR. Hierbei wird das Interesse Litauens an dem Wilnaer Gebiet beiderseits anerkannt.

2. Für den Fall einer territorial-politischen Umgestaltung der zum polnischen Staat gehörenden Gebiete werden die Interessensphären Deutschlands und der UdSSR ungefähr durch die Linie der Flüsse Narew, Weichsel und San abgegrenzt.

Die Frage, ob die beiderseitigen Interessen die Erhaltung eines unabhängigen polnischen Staates erwünscht erscheinen lassen und wie dieser Staat abzugrenzen wäre, kann endgültig erst im Laufe der weiteren politischen Entwicklung geklärt werden. [. . .]

3. Hinsichtlich des Südostens Europas wird von sowjetischer Seite das Interesse an Bessarabien betont. Von deutscher Seite wird das völlige politische Desinteresse an diesen Gebieten erklärt.

4. Dieses Protokoll wird von beiden Seiten streng geheim behandelt werden.

Moskau, den 23. August 1939
Für die Deutsche Reichsregierung
v. Ribbentrop
In Vollmacht der Regierung der UdSSR
W. Molotow
*

Dem Hitler-Stalin-Pakt folgte am 28. September 1939 der Grenz- und Freund- schaftsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion, dem wiederum geheime Zusätze folgten: Im Austausch gegen mittelpolnische Gebiete bis zum Bug akzeptierte Hitler die sowjetische Kontrolle über Litauen, das ursprünglich die Deutschen besetzen wollten. Ein weiterer Zusatz richtete sich gegen polnische Widerstandskämpfer und Exilpolitiker. In einem vertraulichen Protokoll wurde die Umsiedlung der deutschstämmigen Bevölkerung aus dem Gebiet der sowjetischen Einflusssphäre in das von Deutschland besetzte Gebiet geregelt.

Hitler sah diese Verträge als nicht bindend an: Am 18. Dezember 1940 erließ er die „Führer-Weisung Nr. 21“ mit dem Planungsauftrag für den Überfall auf die UdSSR.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.