US-Gas: Störfaktor oder Glücksbringer?

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Seit die USA im April Gaslieferungen nach Europa gestartet haben, gelten sie als Gamechanger. Das ist eine Überbewertung. Gemeinsam mit anderen neuen LNG-Lieferanten mitschuldig am Preiskrieg sind sie aber allemal.

Es war ein stilles Ereignis, das sich Ende April im portugiesischen Hafen Sines zugetragen hat. Und doch war es voller Symbolkraft und wurde zumindest auf dem Gasmarkt aufmerksam registriert: Zum ersten Mal erreichte ein Tanker mit dem auf 161 Grad minus abgekühlten und daher verflüssigten Gas (LNG) aus den USA Europa. Aus dem Bundesstaat Texas war er gekommen. Als gerade einmal sechster Tanker überhaupt in der US-Gasexportgeschichte.

Wie sehr dieses Ereignis und die künftigen Lieferungen aus den USA den europäischen Gasmarkt beeinflussen oder gar umkrempeln werden, ist unter Experten umstritten. Von einem neuen Kalten Krieg, ausgetragen auf dem Gasmarkt, sprechen manche Beobachter. Das ist aus mehreren Gründen übertrieben. Was sich indes abzeichnet und bereits stattfindet, ist ein Preiskrieg.

Überangebot an Erdgas

Gewiss, an ihm sind die USA vorerst nur insofern mitschuldig, als sie vor ein paar Jahren zu Selbstversorgern geworden sind. Dass sie mickrige Volumina nun auch exportieren, spielt im globalen Markt bislang keine signifikante Rolle. Auf ihm herrscht nämlich ohnehin ein Überangebot, weil Australien, Ostafrika, Kanada und andere Weltgegenden in den LNG-Export eingestiegen sind.

Das hat bislang aber nicht dazu geführt, dass Russland Marktanteile verliert. Im Gegenteil: Die russischen Gasexportdaten zeigen, dass der Gaskonzern Gazprom seinen lukrativsten Markt Europa derzeit beliefert, was das Zeugt hält. 2015 schnellte der Export nach West- und Zentraleuropa (inklusive Türkei) um über acht Prozent auf 158,6 Milliarden Kubikmeter hinauf, was dem 21-Fachen des österreichischen Jahresverbrauchs entspricht. Im ersten Quartal 2016 ging es um weitere 28 Prozent steil nach oben.

Aber auch Norwegen flutete zuletzt den Markt wie nie zuvor. Nicht zufällig fühlen sich die Analysten der Bank Société Générale an den preisvernichtenden Wettkampf auf dem Ölmarkt erinnert: Statt den Preis zu halten, wolle man Marktanteile retten.

Preisverfall wie bei Erdöl

Der Preis ging derweil in den Keller. Bei Gazprom hat das freilich in einem bedeutenden Ausmaß auch damit zu tun, dass der russische Gaspreis mit einer Verzögerung von sechs bis neun Monaten an den Ölpreis gebunden ist und dessen vorjährigen Verfall im Moment nachvollzieht. Wie die russische Zeitung „RBK“ kürzlich vorrechnete, wurde russisches Gas zuletzt mit einem Abschlag von 20 Prozent gegenüber dem an der Börse gehandelten Gas anderer Lieferanten verkauft.

Laut Internationaler Energieagentur wird hingegen US-Gas in den kommenden Jahren zur billigsten Alternative für Europa, weshalb Gazprom gezwungen sei, zu „konkurrenzfähigeren Mechanismen der Preisbildung“ überzugehen.

Gazprom reagiert längst und verkauft im Unterschied zu früher zunehmend Teile des Gases ohne Ölpreisbindung über die Börse (Spotmarkt). So verleiht sich der Konzern Konkurrenzfähigkeit für den Fall, dass der Ölpreis wieder nach oben geht, das Gas auf dem Weltmarkt aber billig bleibt. Auch ist der Konzern seinen langfristigen Kunden zuletzt wiederholt entgegengekommen und hat zahlreiche Lieferverträge revidiert.

Es ist nicht das US-Gas, das zu Kompromissen zwingt, es ist die sich ändernde Gesamtsituation mit dem allgemeinen Überangebot. Gewiss, die USA sind ambitioniert. Aber selbst wenn sie ihre Exportmöglichkeiten maximal nützten, würde das Volumen in absehbarer Zeit nur 24 Milliarden Kubikmeter betragen. Bis 2020 wollen sie ihre Exportvolumina freilich verdreifachen. Zur Einordnung: In der EU wurden 2015 laut Eurogas-Statistik 426 Milliarden Kubikmeter verbraucht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2016)

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