Klimaschutz in der EU: Ein Pionier verzagt an seinen Fehlern

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Lange galt Europa als Vorreiter im Kampf gegen den Klimawandel. Aber die CO2-Zertifikate bewähren sich nicht. Und für den Weg zum Ziel schlägt jeder Staat eine andere Richtung ein.

Wenn sie ihre Pläne verteidigt, spart die EU-Kommission nicht mit Selbstlob: „Die ambitionierteste, kostengünstigste und fairste Klimapolitik der Welt“ komme aus Brüssel, jubelte vor zwei Jahren der damalige Ratspräsident, Herman Van Rompuy. Fest steht: Seit der Klimawandel zu den großen Zukunftssorgen der Menschheit gehört, hat sich die Europäische Union in der Rolle des Vorreiters bei seiner Bekämpfung gesehen.

Aber der Putz an der grünen Fassade bröckelt: Der Emissionshandel wirkt nicht so, wie er sollte. Über Segen oder Fluch der Atomkraft sind sich die Mitgliedsländer völlig uneins. Osteuropa steht auf der Bremse. Der Ökostrom gelangt nicht von einem Land zum nächsten, weil Leitungen vor manchen Landesgrenzen haltmachen. Und die Schwellenländer ziehen bei den Investitionen in erneuerbare Energien davon.

Wo steht die EU also wirklich beim Klimaschutz? Zunächst gilt: Wirklich gemeinsam haben ihre Mitglieder neben dem Emissionshandel nur die aggregierten Ziele. Der aktuell wichtigste Rahmen: Bis 2030 soll der Ausstoß an Treibhausgasen um mindestens 40 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zurückgehen. Ein bevorzugtes Mittel ist, den Anteil der Erneuerbaren am Energiemix im Schnitt auf 27 Prozent zu steigern – wovon die meisten Länder noch weit entfernt sind, wie die Grafik rechts unten zeigt.

Verzicht auf Vorgaben

Anders als noch bei den „2020-Zielen“ gibt es dafür aber keine verbindlichen Vorgaben an die einzelnen Mitgliedstaaten mehr. Sie hatten vielerorts zu Unmut über ein „Diktat“ aus Brüssel geführt. Von der jeweiligen Regierung hängt es auch ab, wie sie den größeren Teil der Reduktion – rund 55 Prozent – zuwege bringt: beim Autoverkehr, der Landwirtschaft, der Abfallverbrennung und durch bessere Dämmung im Wohnbau. Im Ergebnis aber muss hier weiterhin jedes Mitglied sein nationales Ziel erreichen, das aufgrund einer Lastenteilung noch festzulegen ist.

Nur für die restlichen rund 45 Prozent greift das gemeinsame Instrument, das sich die EU als Prestigeprojekt auf ihre Sternenfahne geschrieben hat: der Emissionshandel, der 2005 in Kraft trat. Wie es sich für einen Binnenmarkt gehört, greift Brüssel dabei auf einen Marktmechanismus zurück. Die Grundidee ist bestechend. Man schafft ein neues knappes Gut: Verschmutzungsrechte für jede ausgestoßene Tonne CO2. Dann fixiert man eine Gesamtmenge und lässt sie einfließen. Man verschenkt Zertifikate an die Schwerindustrie, versteigert sie unter kalorischen Kraftwerken und lässt dann alle untereinander handeln. Der Preis bildet sich auf dem Markt. Damit könnten sich die Erfinder getrost zurücklehnen: Das angestrebte Ziel würde auf jeden Fall erreicht. Dass es auch möglichst kosteneffizient erreicht wird, dafür sorge die unsichtbare Hand des Marktes.

So weit die wunderbare Theorie. Die Praxis aber hat ihre Tücken: Wenn man von Anfang an zu viele Rechte verschenkt und sich von Jahr zu Jahr immer mehr überzählige Zertifikate ansammeln, ist bald ihr Preis zu niedrig. Den Unternehmen fehlen dann Anreize, in klimaschonende Technologien zu investieren. In eine ähnliche Falle kann man tappen, wenn es – wie ab 2008 passiert – unerwartet zu einer Wirtschaftskrise kommt: Dann gelangt zwar vorübergehend durch den geringeren Bedarf weniger CO2 in die Atmosphäre, aber mangels Investitionen wird das spätere Endziel deutlich verfehlt.

Auch ungleiche Förderung kann das Gefüge durcheinanderbringen: Wenn Deutschland seine Ökostromanbieter subventioniert und in der Folge weniger Verschmutzungsrechte braucht, drückt das den Preis in ganz Europa – und lenkt die Mittel in Ländern, wo es keine solchen Subventionen gibt, ungewollt zur allzu billigen fossilen Energie. Und dann gibt es da noch die Möglichkeit, sich durch Ökoprojekte in Entwicklungs- und Schwellenländern zusätzliche Gutschriften zu holen – was viel stärker und schneller genutzt wurde als erwartet.

Späte Reform des Emissionshandels

Woran auch immer es vorrangig lag: Fest steht, dass der Preis der Zertifikate in den Keller rasselte. Aktuell 5,50 Euro pro Tonne motivieren niemanden zur CO2-Vermeidung. So verliert das gefeierte Instrument, das auch als Versuchsballon für eine spätere weltweite Umsetzung gedacht war, seine Glaubwürdigkeit. Das Image litt noch zusätzlich, als auf den elektronischen Handelsplätzen ganz andere Pannen passierten: Zertifikate wurden im großen Stil gestohlen und bei grenzüberschreitenden Karussellgeschäften zum Mehrwertsteuerbetrug missbraucht. Spät, aber doch hat die EU ab 2013 die Notbremse gezogen: Überzählige Zertifikate werden aus dem Markt genommen und erst wieder eingepreist, wenn der Preis deutlich steigt. Der von Anfang an geplante jährliche Rückgang der Menge kommt nun früher und stärker. Ob der Emissionshandel zu „retten“ ist, muss sich aber erst weisen: nach 2019, wenn alle Reformen in Kraft treten.

Eine Baustelle ist auch das Stromnetz auf dem Binnenmarkt. Die Elektrizität fließt nicht so ungehindert über Grenzen, wie es ihrer Natur entsprechen sollte. Die Spanier etwa würden gern Windstrom zu den Franzosen leiten. Das scheitert aber an zu wenigen Verbindungsleitungen – Frankreich will auch gar nicht mehr davon, um seinen Atomsektor vor Konkurrenz zu schützen. Andere Sorgen haben die Nachbarn Deutschlands: An sonnen- und windreichen Tagen müssen die Deutschen ihre Überschüsse an regenerativen Energien ins Ausland leiten, weil ihr eigenes Stromnetz sie (noch) nicht bewältigt.

Damit steigt aber auch bei den Polen, Tschechen, Holländern und Belgiern die Gefahr eines Blackout. Um ihn zu verhindern, müssen sie ihre Stromproduktion drosseln und damit die eigene Energiewirtschaft schwächen. Dagegen wehren sie sich, indem sie damit drohen, den deutschen Strom „auszusperren“. Die Lehre müsste aber konträr sein: Je mehr Solar- und Windstrom Europa produziert, desto enger müssen die Netze verbunden sein – innerhalb der Staaten, aber auch untereinander.

Osteuropa als Bremser

Beim Protest der Osteuropäer gegen die deutsche Energiewende schwingt freilich mehr mit: Ihnen passt der ganze Kurs in der Klimapolitik nicht. Sie stehen deshalb auf der Bremse. Ihr brennendes Thema ist nicht der Klimawandel, sondern mehr Unabhängigkeit vom bedrohlichen Nachbarn Russland. Vor allem die Polen setzen lieber auf Kohle und Schiefergas als auf Sonnenkollektoren. Auch andere Länder Osteuropas sind dabei, ihre Schwerindustrien wieder aufzubauen, die durch den Kommunismus und die Umbrüche nach seinem Fall starke Einbußen erlitten hatten. Das heißt: eher mehr Energiebedarf als weniger – zumal im Vergleich zum Referenzjahr 1990, als die Kapazitäten nach dem Ende des Ostblocks besonders schwach ausgelastet waren.

Aber es gibt auch positive Signale. Bei der Klimakonferenz von Paris im Dezember traten die Europäer durchaus geeint auf die Bühne, und sie verteidigten ein nicht wenig ambitioniertes Mandat. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Geist noch etwas länger anhält – damit die EU ihre Vorreiterrolle beim Klimaschutz nicht ganz verspielt. Und, nicht zu vergessen: dass auch der „Rest der Welt“ ausreichend mitzieht, damit der europäischen Exportindustrie keine zusätzlichen Wettbewerbsnachteile entstehen.

AUF EINEN BLICK

Die Klimaziele der EU sind auf das Jahr 2030 ausgerichtet. Bis dahin soll der Ausstoß von Treibhausgasen um 40 Prozent sinken (im Vergleich zu 1990). Jedes Land soll über die Lastenverteilung eine eigene Vorgabe bekommen. Um das Ziel zu erreichen, soll der Anteil der Erneuerbaren am Energiemix im Schnitt auf 27 Prozent steigen. Das gemeinsame Instrument ist der Handel mit Emissionszertifikaten. Er umfasst die Energieerzeugung, energieintensive Branchen und den Flugverkehr. Der Straßenverkehr ist „Ländersache“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2016)

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