"Eine schreckliche Kluft zwischen den Generationen"

Auch noch Tage nach dem Referendum demonstrieren Jugendliche im Regierungsviertel für einen Verbleib in der Europäischen Union.
Auch noch Tage nach dem Referendum demonstrieren Jugendliche im Regierungsviertel für einen Verbleib in der Europäischen Union. (c) APA/AFP/JUSTIN TALLIS
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73 Prozent der 18- bis 24-jährigen Briten haben für einen Verbleib in der EU gestimmt. Jetzt machen sie ihrem Ärger über die Älteren Luft, die ihnen eine Zukunft in der EU verwehrt haben.

London. Das Brexit-Votum macht tiefe Gräben in der britischen Gesellschaft sichtbar. Sie verlaufen nicht nur zwischen den Landesteilen, sondern auch zwischen Alt und Jung. Während viele ältere Briten den Ausstieg aus der EU herbeigesehnt haben, sind zahlreiche junge Leute wütend und verzweifelt darüber, dass ihre Zukunft nun außerhalb der EU stattfinden soll. In sozialen Netzwerken und auf der Straße machen sie ihrem Ärger Luft. „Wir Jungen müssen ausbaden, was die Alten entschieden haben“, lautet der Tenor. „Ich bin wütend“, sagt die 23-jährige Technologie-Beraterin Mary Treinen. „Diejenigen, die für den Ausstieg gestimmt haben, werden sich nicht mit der Zukunft auseinandersetzen müssen.“

51,9 Prozent der Briten hatten am Donnerstag für den Brexit gestimmt, 48,1 Prozent dagegen. Bei den Wählern im Pensionsalter war die Unterstützung für das Leave-Lager besonders groß. Laut einer Umfrage des Instituts Michael Ashcroft unter 12.000 Referendumsteilnehmern votierten 60 Prozent der über 65-Jährigen für den Austritt aus der EU. Von den 18- bis 24-jährigen Wählern sprachen sich hingegen 73 Prozent für einen Verbleib in der EU aus, bei den 25- bis 34-Jährigen waren es immerhin noch 62 Prozent.

„Meiner Zukunft beraubt“

Bereits am Freitag versammelten sich Jugendliche vor dem Sitz des Premierministers in der Londoner Downing Street. „Ich finde es nicht richtig, dass die alten Menschen für uns sprechen“, sagte der 21-jährige Barmann Richie Xavier bei der Protestaktion. „Ich will ja nicht gefühllos sein, aber wir haben eine viele längere Zeit vor uns als die. Deshalb fühle ich mich irgendwie meiner Zukunft beraubt.“ Der 21-jährige Paddy Baker bewertet das Brexit-Votum ähnlich: „Ältere Menschen haben dafür gestimmt, aber wir werden diejenigen sein, die die Konsequenzen zu spüren bekommen.“ Selbst Politiker wissen nicht, wie diese Konsequenzen aussehen werden. „Ich muss immer noch erst mal damit klarkommen, was uns bevorsteht“, sagt Terence Smith aus Goole, mit 19 Jahren der jüngste Bürgermeister Großbritanniens. Es gebe „eine schreckliche Kluft zwischen den Generationen, die wir überwinden müssen“.

So weit ist es aber wohl noch lange nicht. Jetzt laden junge Briten erst einmal ihren Frust ab. Der Ausgang des EU-Referendums sei ein Rückschritt, schreibt der Cambridge-Student Matthew van der Merwe in einem Leserbrief an die „Financial Times“. „Viel von dem Optimismus, den ich mit den meisten meiner Generation geteilt habe, ist jetzt weg.“ (ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2016)

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