Salzburg: Wir Menschen im Sperrholzhotel

„You Are Here“ von Dries Verhoeven beim Young Directors Project: bedeutungsschwerer Firlefanz.

Das Foto von dieser Kreation ist einfach und wirkt doch spektakulär: eine gewaltige kafkaeske Installation von Zellen mit einzelnen Menschen drin. Der holländische Regisseur Dries Verhoeven, ursprünglich Bühnenbildner, zeigt auf der Halleiner Perner Insel „You Are Here“. Der Titel spielt auf die Beschreibungen von Fluchtwegen in Hotels an, und im Hotel spielt die 75-Minuten-Aufführung auch.

Jeder der 30 Besucher wird in eines der Sperrholzzimmer verfrachtet, muss ein paar persönliche Dinge auf einem Zettel notieren und diesen unter der Tür durchschieben: Wovon haben Sie geträumt? Was bereitet Ihnen Stress? Mit wem haben Sie das letzte Telefongespräch geführt? Über kleine Lautsprecher im Zimmer wird Musik eingespielt. Neun Akteure verlesen die kleinen „Bekenntnisse“ der Besucher. Währenddessen wird der gewaltige Sperrholzkasten verschoben, sodass die Zuschauer einander mittels Spiegeln sehen können, wie sie in ihren Betten liegen und in die tolle Optik schauen. Die Schauspieler singen und tanzen, sie rufen die Namen der Zelleninsassen, die brav mit Ja antworten, sie öffnen die Türen und schließen sie wieder, sie huschen mit Lichtern über die Gänge und stellen Tassen mit Zucker in die Zimmer. Später wird jedem Besucher ein „Poffertje“ in den Mund gesteckt, eine Art Miniküchlein.

Neu entdeckte Avantgarde von gestern

Was will uns Verhoeven sagen? Wir sind scheinbar aufgehoben in brüchigen Realitäten, Menschen im Hotel, immer auf der Durchreise, immer auf der Suche nach Ruhe, Gelassenheit, Wärme usw. Die neue Bühnenkunst entdeckt die Avantgarde von gestern: Erlebnistheater. Und er versucht, die Wirkung der so beliebten Selbsterfahrungsworkshops zu evozieren. Dummerweise ist das alte Theater widerspenstig: Es verlangt nach einem guten Text, irgendeiner Art von Action, ja, Stillstand geht auch, aber irgendetwas muss sich abspielen. Dieser Geschichte fehlt es an Substanz. Gut möglich, dass in unserer an unmittelbaren Erfahrungen, Überraschungen armen (westlichen) Welt das Erlebnistheater neu erblüht. Im TV ist Reality ja auch total beliebt. Aber ohne irgendwas geht gar nichts. Was sich hier ereignet, ist gewissermaßen spiritueller Dilettantismus oder grob gesagt: optisch aufgeblasener Firlefanz. bp

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Salzburger Festspiele

Abgespeckter Partyrummel

Kultursommer

Salzburger Festspiele: Auf der Flucht durch die gerettete Welt

Salzburger Festspiele. Jette Steckel inszeniert einen Roman von Ilja Trojanow: fulminant.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.