Geht den Briten jetzt das Licht aus?

Ein Windpark in Redcar, im Nordosten der britischen Insel. So stellte sich London bisher die Lösung der Energiekrise vor.
Ein Windpark in Redcar, im Nordosten der britischen Insel. So stellte sich London bisher die Lösung der Energiekrise vor. (c) APA/AFP/SCOTT HEPPELL
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Großbritannien braucht 120 Mrd. Euro für neue Kraftwerke, um die Stromversorgung nach 2020 zu sichern. Das dürfte schwierig werden. Viele Investoren steigen nach dem Brexit aus.

Wien/London. Diese Scheidung wird eine langwierige Angelegenheit. Frühestens 2019 werden die Briten und die EU vermutlich getrennte Wege gehen. Für London ist der Zeitpunkt alles andere als ideal. Denn nur ein Jahr später könnten auf der Insel die Lichter ausgehen, warnte die Institution of Mechanical Engineers kürzlich. Spätestens 2025 werde 55 Prozent mehr Elektrizität gebraucht, als die britischen Kraftwerke dann produzieren werden.

Allein heuer werden über ein Dutzend Kraftwerke vom Netz genommen. Vor allem Kohle- und alternde Atomkraftwerke, die gemeinsam 40 Prozent des Strombedarfs abdecken, sollen nicht mehr lang laufen. Um die Lücke zu füllen, müssten etwa 30 neue Gaskraftwerke gebaut werden. Investitionsbedarf in den kommenden Jahren: rund 120 Mrd. Euro.

Windkraftprojekte wackeln

Die Regierung von David Cameron hat in den vergangenen Monaten bereits die Angeln ausgeworfen, um Geldgeber für den geplanten Bau neuer Kraftwerke zu finden. Doch die bekommen nach dem Brexit-Entscheid der Briten nun offenbar kalte Füße. Die schwedische Vattenfall-Gruppe kündigte an, die versprochenen 5,5 Millionen Pfund (6,6 Millionen Euro) für einen Windpark an der britischen Ostküste vorerst nicht zu investieren. Das Ausscheiden der Briten aus der EU bringe „mehr Risiko für eine noch unbestimmte Zeitspanne“, sagte ein Sprecher des Unternehmens. Auch der dänische Pensionsfonds Pension Danmark, der ebenfalls Energieprojekte finanziert, hat nach dem Brexit das Interesse an neuen Geschäften in Großbritannien verloren.

Bisher hat die britische Regierung versucht, den drohenden Energieengpass vor allem über zahlreiche Windparks und den Bau eines neuen AKW zu vermeiden. Der Austritt aus der EU könnte jedoch auch bereits finanzierte Projekte noch einmal zum Wackeln bringen. Denn mit an Bord ist oft die Europäische Investitionsbank, die in den vergangenen Jahren gut 20 Milliarden Euro an Krediten für derartige Ökostromprojekte in Großbritannien vergeben hat. Wie mit diesen Mitteln nun umgegangen werden wird, ist nur eine von vielen offenen Fragen, die London bei den Austrittsverhandlungen mit Brüssel wird klären müssen.

China könnte einspringen

Schon bisher hat der Umbau des Energiesystems auf der Insel teils zu großen Problemen geführt. Die Preise sind zuletzt stark gestiegen. Vor allem im Winter gab es wiederholt Stromknappheit, ein Zusammenbruch der Versorgung konnte nur mit Mühe verhindert werden.

Die größte Hoffnung zur Lösung der Energiekrise legte die Regierung Cameron in den Bau des ersten neuen Atomkraftwerks im Land seit 20 Jahren. Nun könnte auch der Bau neuer Reaktoren beim AKW Hinkley Point noch einmal überdacht werden. Der französische Staatskonzern EdF, federführend für das Projekt verantwortlich, zeigte sich vom Brexit zwar „unbeirrt“. Dennoch zögert der EdF-Aufsichtsrat die finale Investitionsentscheidung für das britische Werk weiter hinaus. Auch innenpolitisch könnte Hinkley Point noch einmal auf die Probe gestellt werden, erwartet Elchin Mammadov, Analyst bei Bloomberg Intelligence. Hinkley Point erzeugt Strom zum Doppelten des Marktpreises und wird die Stromrechnungen für die Briten somit noch einmal in die Höhe treiben. „Hinkley Point ist sehr teuer. Und es ist ein Projekt der EU“, sagt er.

Nicht alle sehen schwarz für die Zukunft des britischen Energiesystems: „Die Menschen müssen sich nicht sorgen, die Lichter bleiben an“, beruhigt Energy UK, eine Vereinigung von über 80 Stromerzeugern. Dong Energy, der führende Windparkentwickler aus Dänemark, zeigte sich ebenfalls zuversichtlich, dass Großbritannien auch in Zukunft noch neue Kraftwerke bauen werde.

Schließlich gibt es auch noch Investoren außerhalb Europas, die den Austritt der Briten vielleicht weniger heikel sehen. Ein heißer Kandidat ist hier die Volksrepublik China. Das Land, das derzeit die meisten Atomreaktoren und Windparks weltweit baut, hat Großbritannien schon einmal aus der Patsche geholfen: Vor zwei Jahren überwies die staatliche China General Nuclear Power Corporation 7,25 Milliarden Euro, um einen Drittelanteil am umstrittenen Atomreaktor Hinkley Point C zu erwerben – und rettete damit das Projekt. Allein hätte sich die französischen EdF das Kraftwerk nicht mehr leisten können.

AUF EINEN BLICK

Großbritannien nimmt bis 2025 einen Großteil seiner Kohle- und Atomkraftwerke vom Netz. Die Briten werden dann um die Hälfte mehr Elektrizität brauchen, als sie selbst produzieren. Um Stromknappheit zu vermeiden, muss das Land 120 Milliarden Euro für den Bau neuer Kraftwerke aufstellen. Doch nach dem Votum der Briten, die EU zu verlassen, bekommen viele Investoren kalte Füße und ziehen sich zurück.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2016)

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