Bratislava übernimmt EU-Vorsitz in Krisenzeit

Slowakischer Premier Robert Fico.
Slowakischer Premier Robert Fico.(c) APA/AFP/STEPHANE DE SAKUTIN
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Der slowakische Regierungschef Robert Fico präsentierte sich zuletzt als entschiedener Gegner der gemeinsamen EU-Flüchtlingspolitik. Nun will er „alles daransetzen, auch in schwierigen Fragen Kompromisse zu suchen“.

Bratislava. „Wir wollen als Vorsitzland vor allem ein ehrlicher Makler und guter Moderator sein.“ Das ist die Formulierung, mit der der slowakische Regierungschef, Robert Fico, am liebsten die Rolle definiert, die die Slowakei zu übernehmen gedenkt, wenn sie vom 1. Juli bis Jahresende 2016 erstmals die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt – und das in der wohl kritischsten Phase seit Bestehen der Union.

Auf den ersten Blick mag es überraschend klingen, wenn ausgerechnet Fico verspricht, er werde „alles daransetzen, auch in schwierigen Fragen Kompromisse zwischen gegensätzlichen Standpunkten der Partner zu suchen“. Schließlich ist er seit dem Flüchtlingssommer 2015 auf EU-Ebene vor allem als Rebell aufgefallen, der sich gemeinsamen Lösungen lautstark widersetzt hat. Die Slowakei habe „im Unterschied zu anderen Ländern, auch solchen innerhalb der EU, keinen Anteil am Bombardement Syriens, Libyens oder des Irak“ und könne daher nicht gezwungen werden, von dort Flüchtlinge aufzunehmen. Im Dezember 2015 ging der Sozialdemokrat sogar so weit, gegen den Mehrheitsbeschluss der EU-Innenminister zur Aufteilung von Flüchtlingen nach Quoten eine Klage einzubringen. Im Protest gegen die „Großen“ in Brüssel hatte Fico auch stets die EU-Sanktionspolitik gegen Russland als „unsinnig“ und „schädlich für uns alle“ kritisiert. Hinter den lauten Tönen fiel kaum auf, dass die Slowakei in der Realität aber wesentlich konsequenter die gemeinsame Linie gegenüber Russland einhält als so manche Partnerländer. So öffnete die Regierung in Bratislava der Ukraine einen sehr konkreten Weg, aus der totalen Abhängigkeit von russischem Gas zu kommen, indem sie Gaslieferungen über die bis dahin technisch noch nicht erprobte Transitumkehr vom Westen in den Osten ermöglichte. Und anders als Deutschland oder die österreichische OMV bekämpft die Slowakei – auch aus eigenen wirtschaftlichen Interessen – das deutsch-russische Pipelineprojekt Nordstream II konsequent.

Proeuropäische Alternative

Mit EU-Energiekommissar Maros Šefčovič hat Fico dafür praktischerweise seinen eigenen Mann in Brüssel. Nahezu vergessen ist, dass Fico seinen bisher größten Wahlsieg im Jahr 2012 mit dem Versprechen erkämpft hat, die entschlossenere proeuropäische Alternative zu den wankelmütigen und zerstrittenen Splitterparteien des bürgerlichen Lagers in seinem Land zu sein. Diese hatten 2011 lieber ihre glücklose Premierministerin Iveta Radičová fallen lassen, als sich auf ein Mitmachen beim Euro-Rettungsschirm zu einigen. Fico konnte sich erfolgreich als Erlöser für die EU und Eurozone – und die eigentlich europafreundliche Bevölkerung präsentieren. Das Paradoxon der zwiespältigen Haltung der überwältigenden Bevölkerungsmehrheit zur EU lässt sich in einem Satz fassen: „Die Slowaken lieben Europa, aber sie machen wieder mal nicht mit.“ Das begann schon damit, dass die slowakischen Wähler zwar bei der Volksabstimmung 2003 mit 92,46 Prozent den gültigen Ja-Rekord für den EU-Beitritt aufstellten, aber seitdem konsequent die niedrigste Beteiligung an EU-Parlamentswahlen aufweisen – zuletzt gar nur blamable 13 Prozent. „Die Slowaken wollten unbedingt dabei sein, aber sie glauben nicht, dass sie viel mitreden können“, erklärt Politologe Pavel Haulik dieses Phänomen. Obwohl Eurostat-Umfragen belegen, dass die Euro-Währung in kaum einem anderen Land der Eurozone so beliebt ist wie in der Slowakei, lehnen die Bürger Rettungsschirme mit der Begründung ab, sie hätten selbst so eisern sparen müssen, dass sie jetzt nicht für die Schuldenpolitik anderer zur Kasse gebeten werden dürften. Damit schließt sich der Kreis zur Flüchtlingspolitik, in der Fico mit seiner migrantenfeindlichen Rhetorik ein Getriebener der großteils noch xenophoberen Oppositionsparteien ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2016)

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