Das Internet muss – mit oder gegen die Lobby der IT-Industrie – regierbar sein. Für Autoren gibt es nun einen bedeutenden Präzedenzfall.
Das Internet ist gleichsam der Wilde Westen der heutigen Kommunikation(smöglichkeiten). Jedenfalls derzeit. Eine verwegene Behauptung, die begründet sei. Das Internet ist irgendwie ein globaler Staat oder zumindest ein Embryonalstaat ohne Recht, eine faktische Ordnung ohne gültige Ordnungsmechanismen. Natürlich nicht, weil ihre Bewohner, die Netizens, Desperados wären, sondern weil bis heute niemand ernsthaft versucht hat oder gewillt war, aus dem digitalen (Rechts-)Chaos einen (Cyber-)Kosmos zu schaffen. Ich behaupte im Sinn klassischer Staatsphilosophie, dass es möglich ist, das Zusammenleben und -wirken von Menschen mit Regeln zu gestalten, auch im Netz, zumal der Citoyen und der Netizen ein und dieselbe Person sind. Das heißt, es ist denkbar, den Internetverkehr der Benutzer mit einer Netzweltordnung oder Cyberverfassung, sozusagen einer globalen Lex digitalis, zu lenken.
Derzeit regeln das Netz völlig unzureichende und nicht ernst genommene Bestimmungen. Kodexe vor allem, die für das neue Gefüge tatsächlich nicht kompatibel sind. Zur Illustration sei ein Beispiel aus der Gegenwart zitiert: Greenpeace hat sich unter der Domain oil-of-elf.de mit dem internationalen Ölmulti TotalFinaElf gebalgt. Der Zuständigkeit halber ist die Sache im Jahr 2001 vor dem Landgericht Berlin gelandet, das den Weltrechtsstreit (!) nach dem Berliner Landrecht (!) entschieden und den Internetauftritt verboten hat. Erst die nächste Instanz hat Recht – in einem überregionaleren Sinn – geschaffen: Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gehe vor Namensrecht.
Rechtsschutz im Global Village
Dieser Streit hat natürlich die Frage, was im Internet erlaubt sei, nicht einmal im Ansatz gelöst. Und von digitalen obiter dicta keine Spur. Die Antwort wäre für alle interessant, und zwar für die, die für die größtmögliche Freiheit im Netz kämpfen – Stichwort Musikdownload –, oder die Gegenfront – Verlage, die um ihre Verwertungsrechte zittern. Und dann sind da noch die Staaten, die sich bisher offensichtlich nicht entscheiden konnten, ob sie den Netzknoten mit einem Kodifizierungsschwert lösen wollen. Die Staaten hätten aber eine verfassungsrechtliche Grundfrage von großer Tragweite zu beantworten: Habe ich, der Staat, Grundrechte wie Menschenwürde, Eigentumsschutz oder Freiheitsrechte auch im Global Village zu garantieren? Dabei scheitert, nebenbei erwähnt, das Durchsetzen von Recht heute oft nicht erst bei der globalen Dorfeinfahrt, sondern schlicht und einfach noch immer am Anfang einer zweisprachigen Kärntner Ortschaft...
Doch zurück zum Recht und zu einem Einzelproblem, zur Frage der Durchsetzung des Urheberrechts für österreichische Schriftsteller bei Google. Ein kleines Problem für die Cyberwelt, aber ein großes für unsere Autoren.
Google und Verbände US-amerikanischer Autoren samt ihren Verlegern haben beim zuständigen New Yorker Gericht Ende Oktober 2008 gemeinsam einen Vergleichsvorschlag zur Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke in der Internetplattform eingebracht. Gemeinsam, weil es bis heute weder rechtliche Grundlagen noch Judikate gibt. Gäbe es diese bereits, wäre es mit Sicherheit zu einem langwierigen und kostspieligen Rechtsstreit gekommen.
Die österreichische Verwertungsgesellschaft Literar-Mechana hat als indirekte Folge dieses Vergleichs für die österreichischen Autorinnen und Autoren, von denen Google eine Vielzahl von Werken erfasst hat, Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt und rechtliche Hilfe angeboten, nämlich die Verwaltung bestimmter Rechte aus dem Google-Vergleich zu übernehmen, wozu die Gesellschaft gesondert beauftragt werden musste. Am 10. August 2009 ist nun die Frist zur gemeinsamen rechtlichen Vertretung österreichischer Urheber abgelaufen. Die Literar-Mechana hat ausdrücklich vor einer individuellen Geltendmachung gewarnt, was ich als Jurist nur dick unterstreichen kann.
Es gibt aber noch eine zweite und ultimative Frist für jene, die bisher nicht unterschrieben haben und der Literar-Mechana doch noch den Vertretungsauftrag erteilen wollen, nämlich den 4. September 2009: Danach kann, wovon aber, wie gesagt, abgeraten wird, nur noch in Eigenregie gegen eine Nutzung durch Google Einspruch erhoben und ein Vergütungsanspruch durch einen Eintrag im „Google Book Settlement“ gestellt werden. Die Interessengemeinschaft österreichischer Autorinnen und Autoren mit ihrem Geschäftsführer Gerhard Ruiss empfiehlt das Literar-Mechana-Modell ebenso. Es ist im Übrigen mit der bundesdeutschen Schwestergesellschaft VG Wort abgestimmt.
Tausende Autoren betroffen
Betroffen von der Problematik sind, man glaubt es kaum, Tausende Autoren und Zigtausende Bücher, zumal nicht nur die Belletristik berücksichtigt wird. Unter den Autorenbegriff fallen die Sparten Literatur, Wissenschaft, Publizistik, Journalismus und nicht zuletzt Rechtsnachfolger von Urhebern solcher Textsorten. Die Rechte, die der Literar-Mechana einzeln oder insgesamt eingeräumt werden können, sind Abgeltungsansprüche bisheriger Google-Nutzungen, der Rechterückruf für künftige Nutzungen und der Lizenzauftrag für einzelne Werke oder ein gesamtes Repertoire. Im Ergebnis sollte aus dem derzeitigen „Copyleft“, der freien Nutzung, ein Copyright werden, weil nicht einzusehen ist, warum großartige technische Neuerungen Urheberrechte außer Kraft setzen sollten, und weil auch das Netz – mit oder gegen die Lobby der IT-Industrie – regierbar sein muss. Für die digitale Welt ist vorerst der analoge Staat gefragt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2009)