Der Fall des Rappers Freddie Gibbs rückt das Thema K.-o.-Tropfen in den Mittelpunkt.
Wien. Musikkritiker loben Freddie Gibbs. Seine Attitüde des Gangsta-Rappers sei durchaus glaubwürdig. In den Augen der Staatsanwaltschaft Wien hingegen ist es mit der Glaubwürdigkeit des 33-jährigen US-Musikers nicht weit her. Zumindest, wenn es um die Nacht auf den 7. Juli 2015 geht.
Damals soll Gibbs nach einem Konzert in Wien gemeinsam mit einem Sicherheitsmann zwei junge Frauen mit sogenannten K.-o.-Tropfen betäubt und dann in einem Hotel vergewaltigt haben. Gibbs weist diese Vorwürfe strikt zurück. Aber wie gesagt: Die Staatsanwaltschaft glaubt ihm nicht. Und wartet derzeit auf die Entscheidung des Kassationsgerichts in Paris. Dieses bestimmt demnächst (die dafür vorgesehene 40-Tage-Frist läuft seit etwa einer Woche), ob der derzeit in Toulouse befindliche Musiker nach Österreich ausgeliefert wird. Ein Gericht in Toulouse hat schon grünes Licht gegeben, Gibbs hat berufen.
Derzeit ist der Rapper auf freiem Fuß – er ist gegen 50.000 Euro Kaution aus der U-Haft freigelassen worden, darf aber Toulouse nicht verlassen. Dieser Fall wirft ein Schlaglicht auf ein Phänomen, das es seit Langem gibt: das Verabreichen von Drogen, um Opfer willenlos zu machen. Das zugehörige plakative, wenngleich ungenaue Stichwort lautet: K.-o.-Tropfen.
Österreichweit wurden voriges Jahr in 54 Fällen Vergewaltigungen aktenkundig, bei denen die Täter ihre Opfer ohne deren Wissen unter Drogen gesetzt hatten. 2014 waren es acht Fälle, 2013 nur einer. Zwar führt das Bundeskriminalamt auch für den Zeitraum davor Aufzeichnungen, diese sind wegen einer Systemumstellung aber nur bedingt vergleichbar.
Man darf nicht von einem bestimmten, immer gleichen K.-o.-Präparat ausgehen. Der Toxikologe Wolfgang Bicker beschreibt in einem Artikel viele Substanzen, die von Tätern verwendet werden könnten, um Opfer gefügig zu machen. Auf der Liste stehen Psychopharmaka, Stimulantien wie Crystal Meth, Ecstasy und Kokain ebenso wie der in Cannabis enthaltene Wirkstoff THC und auch Opiate wie Heroin oder Morphium. Das als „Vergewaltigungsdroge“ bekannte Liquid Ecstasy (auch GHB genannt) sei bezüglich seiner Wirkweise zwar aus Tätersicht geeignet, allerdings werde die Substanz kaum bei Opfern nachgewiesen. Bicker beschreibt auch, dass es ein Mythos sei, der Nachweis von GHB im Körper sei ab einem Tag nach der Tat aussichtslos. Moderne Forensik könne das schaffen.
Ein anderes Problem bei der Erfassung des Phänomens ist, dass viele Opfer nicht zur Polizei gehen. Internetforen sind voll von Berichten wie diesem: „Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, ich wurde mithilfe von K.-o.-Tropfen vergewaltigt. Am nächsten Morgen bin ich total verwirrt aufgewacht und hab mich total komisch gefühlt. Beweisen kann ich jetzt auch nicht mehr, dass da Tropfen im Spiel waren“, schreibt etwa eine „missindependent“.
Auch Männer als Opfer
Ursula Kussyk von der Notruf-Beratung für vergewaltigte Frauen rät, sich einer Hilfseinrichtung anzuvertrauen. Aus dem Verbund mit anderen Notrufeinrichtungen wisse man, dass sich jährlich zwischen fünf und sechs Frauen pro Bundesland wegen Vergewaltigung nach Verabreichung von K.-o.-Tropfen melden. Kussyk sagt aber dazu, dass wohl bei einem bedeutenden Anteil der Opfer Alkohol mit im Spiel gewesen sei. „Was viele vergessen haben: Es ist eine uralte Taktik von Vergewaltigern, ihr Opfer gezielt mit Alkohol abzufüllen und so gefügig zu machen. Drogen im Sinne von K.-o.-Tropfen braucht man hierfür nicht zwingend.“
Immer wieder kommt es auch vor, dass Männer Opfer von Betäubungsmitteln werden. Nach Polizei-Erfahrung handelt es sich dabei oft um ältere Männer, die eine jüngere Frau in Aussicht auf ein erotisches Abenteuer mit nach Hause nehmen, dort gemeinsam mit ihr etwas trinken und erst am nächsten Morgen beraubt und allein aufwachen. 46 männliche Opfer erstatteten im Vorjahr Anzeige.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2016)