Ob Mangas oder Anime: Die Welt ist verrückt nach Japan

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„Hello Kitty“ und andere Comicfiguren aus Japan haben längst die Welt erobert. Mangas gibt es für jede Altersgruppe. Was in den 70er-Jahren seinen Anfang nahm, ist mittlerweile Bestandteil der weltweiten Jugendkultur.

Ihre Biografie klingt recht gewöhnlich: Geboren wurde sie am 1.November 1974 in London, lebt aber in Japan. Sie hat eine Zwillingsschwester namens „Mimmy“, die sich nur durch eine rosa Schleife am rechten statt am linken Ohr von ihr unterscheidet. Sie spielt gerne im Wald, übt jeden Tag fleißig Piano und liebt es, Kuchen zu backen. Trotzdem ist sie eine beispiellose Erfolgsgeschichte: „Hello Kitty“.

Was in den 70er-Jahren seinen Anfang nahm, ist mittlerweile Bestandteil der weltweiten Jugendkultur. Dabei ist „Hello Kitty“ schon lange nicht mehr der einzige Exportartikel japanischer Populärkultur. Die Welle der Manga-Comics und Anime-Zeichentrickfilme hat Europa und die USA schon lange erfasst. Die deutsche Boyband „Tokio-Hotel“ und die Emo-Bewegung – beides ist durch das Styling japanischer Popgruppen beeinflusst – zeigen's vor: Schräge Frisuren und Schminke für Männer sind längst nichts Ungewöhnliches mehr.

Süß und schutzbedürftig

Für viele Bereiche der japanischen Jugendkultur ist ein Wort äußerst prägend: „Kawaii“ – zu Deutsch „süß“– beeinflusst den Erfolg von „Hello Kitty“ und anderen niedlichen Manga-Charakteren. Vor allem in Europa und den USA scheint „kawaii“ für vieles zu stehen, was mit dem jungen Japan zu tun hat. Für Roland Kelts, Autor des Buches „Japanamerica: How Japanese Popculture Has Invaded the U.S.“, ist „kawaii“ der entscheidende Faktor für den Erfolg von „Hello Kitty“ außerhalb Japans. Denn ist etwas „kawaii“, dann ist es nicht bloß liebenswert, sondern etwas, das auch beschützt werden muss.

In Japan selbst sind Mangas vielschichtiger: „Der Comicmarkt richtet sich viel stärker nach dem Leser, und nicht der Leser nach dem Angebot“, sagt Ian Condry, Spezialist für japanische Populärkultur des Massachusetts Institute of Technology (MIT), im Gespräch mit der „Presse“. In Japan werden Mangas in den Schulen verwendet, um Geschichte zu lehren. Karl Marx' „Das Kapital“ liegt in Manga-Form vor. Auch für Pensionisten gibt es eigene Comics: „Silver Mangas“ setzen sich mit der Zeit nach dem Berufsleben auseinander.

In Japan beschränkt sich das, was in Europa und den USA als Jugendkultur gesehen wird, nicht bloß auf eine spezifische Altersgruppe. „Es gibt quasi auch Jugendkultur für alte Leute“, beschreibt Ian Condry das Phänomen Manga. Diese spezifischen Produkte schaffen es jedoch selten über den japanischen Markt hinaus.

Neben Manga ist auch Anime äußerst beliebt, wobei 60 Prozent der Zeichentrickfilme auf Comicvorlagen beruhen. Der Fankult geht jedoch weit über das Ansehen von Anime hinaus: In den trendigen Tokioter Stadtteilen Harajuku und Shibuya tummeln sich junge Leute, die aussehen, als seien sie direkt einem Manga oder Anime entsprungen: Jugendliche mit grell gefärbten Haaren, die mit Haargel und -spray zu abenteuerlichen Frisuren aufgetürmt sind, und Anime-Fans in aufwendig gestalteten Kostümen.

„Cosplay“ (vom englischen „costume play“) ist ein Trend, der auch schon Übersee erfasst hat. Auf sogenannten „Anime Conventions“ treffen sich tausende Fans japanischer Popkultur, um ihre Kostüme zur Schau zu stellen. Der größte Ableger in Österreich ist die „AniNite“, die seit 2003 jährlich in Wien stattfindet.

Rokoko & Rüschenröcke

Modisch hat das junge Japan Dinge zu bieten, die in Europa bisher kaum wahrgenommen werden. In den Straßen Tokios kann man hin und wieder auf Japanerinnen treffen, die sehr „barock“ aussehen: Sie tragen schwarze Rüschenröcke, lange Handschuhe, Sonnenschirme und schwarze Lackschuhe mit Silberschnallen. Die Rokokoperiode ist Namensgeber eines Modestils, der außerhalb Japans durch den Film „Kamikaze Girls“ Prominenz erlangt hat: Die Protagonistin Momoko lebt nämlich nur für das Rokoko.

Somit bedient sich die japanische Populärkultur ausländischer Einflüsse, kreiert dabei aber immer etwas ganz Neues. Und die Welt ist stets verrückt danach.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2009)

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