Jetzt macht man die Wahlbeisitzer zu den Dodeln der Nation

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Die entsetzten Reaktionen auf das Verhalten der Wahlbeisitzer sind entweder gutes Schauspiel oder Beweis dafür, wie weltfremd Juristen und Politiker sind.

Wir sind also, meinen manche, eine Bananenrepublik. Weil eine Wahl wiederholt werden muss, bei der sich niemand so genau an die gesetzlichen Vorschriften gehalten hat. Verantwortlich für die internationale Rufschädigung sind demnach die Wahlbeisitzer, die entweder keine Ahnung hatten, was sie tun müssen, oder sich nicht um Vorschriften scherten.

Stellen wir gleich einmal fest, dass wir weit davon entfernt sind, eine Bananenrepublik zu sein. Man wird also, wie auch Bundespräsident Heinz Fischer gestern in der ORF-„Pressestunde“ gemeint hat, keine internationalen Wahlbeobachter der OSZE benötigen, um den Wahlablauf zu kontrollieren. Bei der Stichwahl wurde nicht betrogen oder gefälscht, es gab, wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis feststellte, „keine Anhaltspunkte für Manipulationen“ – es wurde nur beispielsweise mit der Auszählung um sieben Uhr begonnen, obwohl das Gesetz als Beginnzeit neun Uhr festlegt. Es sind Formalfehler, die einem verantwortungsbewussten Höchstgericht, das Wahlen als höchstes Gut der Demokratie zu verteidigen hat, aber gar keine andere Möglichkeit lassen, als eine Wiederholung anzuordnen.

Stellen wir auch gleich fest, dass man den Wahlbeisitzern nicht pauschal Verantwortungslosigkeit und Schlamperei vorwerfen kann – auch wenn sie teils zu früh mit der Auszählung begonnen haben. Hier schreibt ein Gesetz etwas vor, was in der Praxis nur schwer zu vollziehen ist. Bei der Anhörung vor dem Höchstgericht meinte ausgerechnet ein freiheitlicher Wahlbeisitzer aus Kufstein, dass man „drei Tage gesessen“ wäre, hätte man die Wahlkarten wie vorgeschrieben sortiert, geöffnet und ausgezählt.

Das Innenministerium drängte stets auf die möglichst schnelle Bekanntgabe des Wahlergebnisses. Jene Behörde, die das Ergebnis als letzte übermittelte, wurde lächerlich gemacht (bei der Stichwahl im Mai war das Innsbruck, das, wie höhnisch bemerkt wurde, „am längsten zum Zählen benötigte“). Wie das freilich in der Praxis gemacht wird, scherte niemanden.

Es sind in erster Linie freiwillige Wahlbeisitzer, die sich am Montag einen Urlaubstag nehmen müssen, um ordnungsgemäß die Wahlkarten auszuzählen. Da ist bei einer Aufwandsentschädigung von 44 Euro die Verlockung natürlich groß, entweder noch am Sonntagabend auszuzählen oder einfach den Beamten der Bezirksämter zu vertrauen und das Ergebnis erst später per Unterschrift zu bestätigen.

Dass jetzt alle schockiert auf die Nichteinhaltung des Gesetzes reagieren, ist entweder ein peinliches Zeichen dafür, wie weit die Beamten des Innenministeriums und die Vertreter der gesetzgebenden Körperschaften von der Praxis entfernt sind. Oder es ist einfach gutes Schauspiel als Reaktion auf eine Vorgangsweise, die ohnehin allen bekannt war und die man eben stillschweigend zur Kenntnis nahm – gemäß dem Motto: Wo kein Kläger, da kein Richter. Damit war es bei dieser Präsidentschaftswahl freilich vorbei.


Wahrscheinlich kommt jetzt noch ein Sturm der Entrüstung, weil viele Wähler die Stimmzettel selbst in die Urne gegeben haben – etwas, das laut Wahlgesetz nur der Wahlleiter machen darf. Damit haben sämtliche Spitzenkandidaten aller vergangenen Wahlen das Gesetz gebrochen, weil jeder Einzelne von ihnen unter dem Blitzlichtgewitter der Fotografen selbst seinen Stimmzettel in die Wahlurne geworfen hat.

Es wäre nicht schlecht, würde man bei einer Reform der Wahlordnung vielleicht den einen oder anderen Wahlbeisitzer einbeziehen, damit er den Juristen ein wenig aus der Praxis erzählen kann. Und man setzt besser auch gleich die Idee von Innenminister Wolfgang Sobotka um, der das Beisitzen bei Wahlgängen zu einer Bürgerpflicht machen will, so wie das bei Gericht für die Funktion der Schöffen und Geschworenen der Fall ist. Oder man teilt die Mitarbeiter der Gemeinden für diese Aufgabe ein, reduziert damit zwangsläufig die Zahl der Sprengel und erhöht die Kosten für einen Wahlgang beträchtlich. Man kann jedenfalls davon ausgehen, dass sich nach diesen Erfahrungen kaum noch jemand finden wird, der freiwillig als Wahlbeisitzer zur Verfügung steht.

E-Mails an:norbert.rief@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2016)

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