UN-Bedienstete im Porträt: Dmitrij Agratchew - Der russische Brückenbauer von Babylon

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Man könnte sagen, dass Dmitrij Agratchew seinen Job Gott verdankt. Weil der alte Jahwe nämlich beim Turmbau zu Babel die Menschen ob ihrer Anmaßung strafte, indem er ihre Sprache in viele Idiome zerschlug, muss man jetzt hart lernen, um fremde Zungen zu verstehen – oder Leute wie den 54-jährigen Moskauer anheuern: Er ist seit über 30 Jahren Dolmetscher.

Seit acht Jahren ist er bei der UN in Wien, spricht neben Russisch Französisch, Spanisch und Englisch und leitet die „English Booth Interpretation Section“, jene Dolmetscher, die ins Englische übersetzen. Gesamt gebe es hier etwa 26 Übersetzer; das sei wenig, oft stelle man spontan Freischaffende ein. „Bei Konferenzen können es bis zu 100 sein“, sagt Agratchew, und zwar in leicht nasalem britischen Englisch, wiewohl er meint, er klinge „nordatlantisch“, immerhin habe er lange in den USA gelebt.

Garantiert Walt-Disney-getestet

Wie er so dasteht in seinem metallischen Hemd (er ähnelt dem Schauspieler Patrick Stewart, dem „Captain Picard“ von „Star Trek“), erzählt er über sein elfjähriges Engagement bei Walt Disney in Los Angeles: „Ich überwachte die Synchronisierung von Produktionen.“ Dann bestand er den UN-Dolmetschtest, ein Angebot für Wien kam. Nach all den Jahren L.A. habe Europa ihn interessiert, und so zog man in Wiens ersten Bezirk, weil man von da aus zu Fuß überall hinkomme.

Dolmetschen in der UNO-City sei besonders anspruchsvoll. Grund: die vielen Fachorganisationen wie die IAEA, deren Vokabular stark technisch-legalistisch sei. „Da geht es weniger um die allgemeine Sprache, man muss sich speziell vorbereiten und nationale Begriffstraditionen kennen.“

In welcher Sprache er träume? „Ich tu das in jeder meiner Sprachen. Meist auf Englisch, doch es hängt auch davon ab, wo ich bin.“ Mit seiner Frau aber rede er meist good old Russian. Karascho!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2009)

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