Festspiele Reichenau: Ein gallig-bitterer Nestroy-Spaß

Die reiche Distel (köstlich: Chris Pichler) lässt sich nichts gefallen (Toni Slama als Fett, r.)
Die reiche Distel (köstlich: Chris Pichler) lässt sich nichts gefallen (Toni Slama als Fett, r.)(c) Dimo Dimov
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„Liebesgeschichten und Heiratssachen“, ein Meisterwerk, beendete den Premierenreigen. Miguel Herz-Kestranek begeistert als perfider Glücksritter Nebel.

„Sollt denn die Welt wirklich so sein, dass der nix mehr gilt, der nix mehr hat?“ Nestroys „Liebesgeschichten und Heiratssachen“ (1843) sind ein zeitloser Schlager. Im Akademietheater „duellierten“ sich einst Josef Meinrad und Fritz Muliar. Robert Meyer hat 1993 in Reichenau den Nebel gespielt – und Karl Markovics in der Regie von Karl Welunschek. Dienstagabend beschloss das Stück den heurigen Premierenreigen der Festspiele Reichenau. Helmut Wiesner hat inszeniert, mit weit mehr Fortüne als im Vorjahr. Und Miguel Herz-Kestranek, der angeblich beschlossen hat, nur mehr zu spielen, was das Publikum amüsiert, hat seine ideale Nestroy-Figur gefunden.

Der Nebel ist ein Verwandter des „Talisman“-Helden Titus Feuerfuchs, den vor Jahrzehnten Helmut Qualtinger gespielt hat: Ein Mensch, der nichts hat, außer seiner Schläue. Herz-Kestranek rückt den Nebel in Qualtingers Nähe. Dieser magere Kerl im schäbigen schwarzen Anzug, der sich bei Bedarf zur gestreiften Bedientenlivree wenden lässt, (hoch lebe einmal mehr die Kostümbildnerin Erika Navas!) sieht aber auch Nestroy selbst ähnlich, der die Rolle spielte.

Gesellschaftssatire mit viel Italianità

Nebel ist hier ein reiner Zyniker und perfider Glücksritter, der durch sein Charisma wirkt: Wenn er komplett falsch die Gitarre schlägt, glaubt die wohlhabende Lucia Distel, er bringe ihr das schönste Ständchen, ihr Herz schmilzt, auch wenn Nebel sich keine Mühe gibt zu verbergen, dass er bloß hinter ihrem Geld her ist. Chris Pichler erfreut mit temperamentvollem Spiel als noch junge Distel, deren Name zu allerlei Wortspielen verlockt. Sie zieht die meisten Lacher auf sich und ist auch eine interessante Figur insofern, als Nestroy, der reifere Damen gern der Lächerlichkeit preisgibt, leicht konterkariert wird: durch eine vitale Frau, die an sich glaubt.

Toni Slama gibt mit Bart und kaltem Blick den Partikulier Florian Fett; der ehemalige Fleischer ist wohl durch etwas reich geworden, was man heute Catering nennt. Er beschafft Delikatessen aus aller Welt und liefert sie der Upperclass, ein Neureicher versorgt Neureiche mit Spezereien. Das war im Biedermeier wohl nicht anders als heute.

Marcello de Nardo wäre eine prächtige Besetzung für den Marchese Vincelli, der nach seinem Sohn sucht, der sich im Hause Fett verliebt hat. De Nardo hat auch köstliche Momente als Adeliger, der über den ordinären Schwiegervater in spe und die vermeintlichen Geschmacksverirrungen seines Sprösslings entsetzt ist, doch müsste man seinen Schmäh etwas „trockenlegen“. Die „Liebesgeschichten“ basieren auf einer englischen Posse, hier aber herrscht Italianità: Nestroy, Dichter des Melting Pot der österreichisch-ungarischen Monarchie, gilt als wienerischer Dichter mit französischen Einsprengseln. Doch in den „Liebesgeschichten“ walten, unterfüttert mit flotter Musik und witzigen Couplets (Helmut Stippich/Michael Hebenstreit), auch eine Portion Commedia dell'arte, Maskenspiel und italienische Clownerie.

Emese Fay, immer eine Freude

Dieser Nestroy mit seinem strengen, antiken Schwarz-Weiß-Dekor (Bühne: Peter Loidolt) und seinen Figuren, die auf dem Weg zu irgendetwas Höherem ständig den Boden unter den Füßen verlieren, erinnert an das Werden der Stadt aus dem in Wahrheit seinerzeit grauenhaft primitiven Land. Die Landleute nahmen ein Stück ihres Lebens in die Stadt mit, wo sie aufgrund wirtschaftlicher Ausbeutung oft ins völlige Elend abstürzten – und nie auch nur zum bescheidensten Wohlstand kamen. Das ist in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern noch heute so.

Und jene, die es durch Glück und Arbeit (nicht durch Grundbesitz und Vermögen) schafften, plagten Sorgen vor Verlusten und sozialem Abstieg. Das gilt für Raimunds Menschenfeind ebenso wie für den jungen Kaufmannssohn Buchner in den „Liebesgeschichten“ und sogar für den selbstbewussten Florian Fett, der ahnt, dass Liebe und Gefühle, die große Unbekannte im kapitalistischen System, ihm gefährlich werden können. Darum verbannt er sie aus seinem Hausstand, wo die drei ledigen Damen vor allem der Geldvermehrung dienen sollen.

Die jungen Paare sind diesmal gut besetzt: der elegante René Peckl als Alfred, Vincellis Sohn, umwirbt Fetts Verwandte Ulrike Holm (Emese Fay, immer wieder eine Freude, optisch wie im Spiel). Alexander Hoffelner spielt den braven Buchner, Karin Lischka schreit als angeblich gehorsame Tochter Fetts, Fanny, zu viel. Nicolaus Hagg steht als dumm-schlauer Wirt im Silbernen Rappen zwischen Land und Stadt, dem Oben und dem Unten. Seine Frau (Tannina Beess) macht dem vermeintlichen Baron Nebel schöne Augen und leiht ihm 100 Gulden.

Die Aufführung wirkt teilweise noch immer etwas zu überdreht-rustikal für das anspruchsvolle Reichenau – und der Witz zündet nicht so automatisch wie vergangenes Jahr bei „Unverhofft“. Trotzdem ist man mit diesem Nestroy, bei dem Wiesner offenbar mehr von seinen weitreichenden Kenntnissen über österreichische Klassiker unterbringen konnte, auf einem besseren Weg als 2015.

( "Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2016)

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