Brexit: Viele Börsengänge wackeln

Der Versicherungskonzern Aviva fror einen britischen Immobilienfonds ein.
Der Versicherungskonzern Aviva fror einen britischen Immobilienfonds ein.(c) REUTERS (Stephen Hird)
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Nach der Brexit-Abstimmung werden die Turbulenzen an den Börsen weltweit immer größer. Nun werden für heuer geplante Börsengänge abgesagt.

London/Frankfurt. Das Brexit-Votum führt dazu, dass sich der Börsengang des britischen Autozulieferers TI Automotive verzögert. Der Konzern gehört dem Finanzinvestor Bain. Dieser wollte TI Automotive ursprünglich Ende dieses Jahres an die Börse bringen. Geplant war ein Emissionserlös von drei Milliarden Euro. Doch am Mittwoch wurde bekannt, dass der Börsengang heuer doch nicht stattfinden soll. Die Verantwortlichen wollen abwarten, bis sich die Lage auf den Finanzmärkten beruhigt.

Dem Vernehmen nach hat auch Italiens Flugsicherung ihren Börsengang verschoben. Die Flugsicherung befindet sich zu 100 Prozent in Staatsbesitz und beschäftigt rund 4200 Mitarbeiter. Die Banken haben den Wert der Firma zwischen 1,8 Milliarden Euro und 2,5 Milliarden Euro veranschlagt. Die italienische Regierung wollte bis zu 49 Prozent des Unternehmens verkaufen. In Summe will Italien heuer acht Milliarden Euro über Privatisierungen einnehmen. Doch es ist fraglich, ob dieses Ziel erreicht werden kann.

Niemand weiß, wie es mit Großbritannien weitergeht. Die politische Hängepartie hält die Finanzwelt und die Notenbanker weltweit in Atem. In den USA sprach das Notenbank-Führungsmitglied William Dudley vom Brexit als einer der „dunkelsten Wolken am Konjunkturhorizont“. Womöglich wird durch diese Sorge die angepeilte Zinserhöhung in den USA dieses Jahr abgeblasen, wie viele Anleger bereits vermuten.

Pfund-Talfahrt geht weiter

Die politische Krise in Großbritannien lastete am Mittwoch weiter auf den Finanzmärkten. Das Pfund Sterling fiel auf ein 31-Jahre-Tief von 1,2801 Dollar. Es sei fraglich, ob London den Ausstieg aus der EU überhaupt offiziell beantragen werde, sagte Commerzbank-Expertin Thu Lan Nguyen. Frankreichs Notenbank-Chef, Francois Villeroy de Galhau, fordert rasch Klarheit über die weiteren Schritte nach dem Brexit-Votum. Je schneller das geschehe, desto besser. Rosinenpickerei bei den Verhandlungen mit der EU über die künftigen Handelsbeziehungen könnten die Briten nicht erwarten.

In Großbritannien klagt die Autobranche bereits über eine sinkende Nachfrage und fordert Hilfe von der Politik. „Es ist wichtig, dass die Regierung jeden Schritt einleitet, um das Vertrauen in die Wirtschaft wiederherzustellen, damit der Markt in den nächsten Monaten nicht schrumpft“, sagte der Chef des Branchenverbands der Autohersteller und -händler, Mike Hawes. Auch jenseits des Atlantiks herrscht Sorge: „Falls es auf den Finanzmärkten zu größeren Ansteckungseffekten kommt und die Stabilität der Europäischen Union infrage gestellt werden sollte, wären das gravierende Konsequenzen“, warnte Fed-Währungshüter Dudley, der die Notenbank in New York führt.

Erste Schockwellen des Referendums haben auch den britischen Immobiliensektor erfasst: Die beiden Investmentgesellschaften, der Versicherer Aviva und Standard Life, froren jüngst jeweils einen milliardenschweren Immobilienfonds ein, weil die Anleger zu viel Geld auf einmal abziehen wollten und es Sorgen vor einem Liquiditätsengpass gab. In solchen Fällen können offene Fonds die Rücknahme von Anteilsscheinen vorübergehend verweigern, um nicht zu Notverkäufen von Objekten gezwungen zu werden. In Großbritannien sind die Investoren nach dem Hype der vergangenen Jahre derzeit stark verunsichert, wie sich die Preise auf dem dortigen Immobilienmarkt entwickeln werden. Das gilt insbesondere für Büroflächen und Shoppingcenter, deren Auslastung von der Konjunktur abhängt. Die Anleger wollen offenbar lieber auf Nummer sicher gehen und ihr Geld zurück. (Reuters)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2016)

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