Die Untersuchungskommission moniert im Irak-Bericht eine fehlende militärische Planung und Versäumnis einer Nachkriegsstrategie. Ex-Premier Tony Blair sieht sich indes bestätigt.
London. Fernab feinziselierter Beamtensprache hat eine Untersuchungskommission ein vernichtendes Urteil über die Rolle Großbritanniens beim Einmarsch im Irak 2003 gefällt. „Die Ernsthaftigkeit der Bedrohung durch Waffenvernichtungswaffen wurde mit einer Sicherheit präsentiert, die nicht gerechtfertigt war“, sagte Ausschussvorsitzender Sir John Chilcot bei der Präsentation des Berichts in London. „Trotz ausdrücklicher Warnungen“ seien die Folgen der Invasion völlig unterschätzt worden, die Vorbereitungen für die Zeit nach dem Einmarsch seien vollkommen unzureichend gewesen und die Regierung habe „ihre erklärten Ziele nicht erreicht“.
Trotz der heftigen Kritik meldet sich umgehend der damalige Premier, Tony Blair, zu Wort: „Ich habe in gutem Glauben gehandelt.“ Fehler seien geschehen, räumte Blair ein, aber er betonte zugleich, dass der Bericht keine Gesetzesverletzung konstatiert habe.
Das ist formal richtig. Im Detail liest sich der Report, der in sieben Jahren Arbeit erstellt wurde, 2,6 Millionen Wörter aufweist und zwölf Bände umfasst, freilich anders: Die Entscheidung für den Einmarsch im Irak sei auf Basis fehlerhafter Informationen getroffen worden, und Blair habe mit vorgeformten Ansichten gehandelt. Im Lauf des Jahres 2002 habe er immer mehr die Position der US-Regierung unter George W. Bush übernommen: Hatte Blair erst vor voreiligen Schritten gewarnt und danach auf die Einbindung des UN-Sicherheitsrats gedrängt, sicherte er schließlich Bush im August dieses Jahres uneingeschränkte Unterstützung zu („I will be with you, whatever it takes“).
Als die Briten an der Seite der USA in den Krieg zogen
„Nicht alle Mittel ausgeschöpft“
Als Folge dieser Festlegung seien die USA, Großbritannien und ihre Verbündeten in den Krieg gegen den Irak gezogen, „ohne dass alle friedlichen Mittel ausgeschöpft worden“ seien. Blair habe schließlich dem Drängen der USA nachgegeben und schon im Jänner 2003 den Schluss gezogen: „Die Zeichen stehen auf Krieg“, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch im UN-Sicherheitsrat über eine zweite Irak-Resolution gestritten wurde. Dass diese nicht zustande kam, warfen die USA und Großbritannien nachträglich Frankreich vor. Der Chilcot-Bericht macht nun klar, dass die Entscheidung längst gefallen war.
Umso schwerer begreiflich erscheint der Untersuchungskommission das weitgehende Fehlen militärischer Planung und das völlige Versäumnis einer langfristigen Strategie für den Irak nach dem Sturz von Saddam Hussein. Detailreich schildert der Bericht, wie auch hier Großbritannien Schritt für Schritt vor den USA einknickte. Die Aussagen Blairs vor der Kommission wurden vernichtend beurteilt: „Herr Blair hat uns mitgeteilt, dass man die Schwierigkeiten, auf die man nach dem Einmarsch im Irak stoßen werde, nicht im Vorhinein kennen konnte. Wir stimmen nicht zu.“ Unbeantwortet lässt der Bericht die Frage, ob der Irak-Krieg eine Verletzung des Völkerrechts darstellte. Dafür bedürfe es eines Gerichts, erklärte Chilcot. Zugleich kritisiert der Bericht: „Die Umstände, in denen entschieden wurde, dass es eine Rechtsgrundlage für die Invasion gab, waren alles andere als zufriedenstellend.“ Ausdrücklich wird Blair für den Druck auf den obersten Rechtsberater der Regierung kritisiert.
„Wenigstens keine Schönfärberei“
Der Bericht wurde von Angehörigen der britischen Irak-Veteranen begrüßt. Eddie Hancock, dessen 19-jähriger Sohn 2006 in Basra getötet wurde, sagte der BBC: „Wenigstens ist es keine Schönfärberei. Aber manche Leute werden nicht zufrieden sein, bis sie einen Strick sehen.“ Andere Hinterbliebene bereiten eine Klage gegen Blair wegen Verantwortung für einen unrechtmäßigen Krieg vor. Sie können möglicherweise auf den aktuellen Labour-Chef Jeremy Corbyn zählen: Das Parlament sei mit der Entscheidung für den Irak-Krieg getäuscht worden und müsse sich nun weitere Schritte vorbehalten.
Ex-Premier Blair habe die Folgen der Invasion unterschätzt. Das militärische Eingreifen sei nicht das "letztmögliche Mittel" gewesen, urteilte die Chilcot-Kommission.