Rechtlich hat Hillary Clinton aus der E-Mail-Affäre nichts zu fürchten. Sie untergräbt aber ihr Versprechen, kompetent und bedacht zu führen.
Washington. Der Dienstag hätte der bisher beste Tag von Hillary Clintons Präsidentschaftskampagne werden können. Erstmals trat Präsident Barack Obama, der sich mit dem nahenden Ende seiner Amtszeit steigenden Zuspruchs erfreut, gemeinsam mit ihr auf. Hand in Hand, unter der Parole „Besser gemeinsam“, vor einer enthusiastischen Menge in North Carolina: Solche Auftritte unterstreichen Clintons Botschaft, ihre Wahl zur Präsidentin im November werde die Errungenschaften Obamas sichern und seine moderate linksliberale Politik fortsetzen.
Tatsächlich aber war Dienstag einer der bis dato schlimmsten Tage für die Kandidatin Clinton. James Comey, der Direktor der Bundespolizei FBI, rechnete schonungslos mit ihrem Amtsverständnis als Außenministerin ab. „Obwohl wir keine klaren Beweise dafür finden, dass Ministerin Clinton oder ihre Kollegen die Absicht hatten, Gesetze über die Handhabung vertraulicher Information zu brechen, gibt es Belege dafür, dass sie extrem sorglos in ihrem Umgang mit sehr heikler, hoch vertraulicher Information waren“, sagte Comey. Der Sicherheitskultur in Clintons Außenministerium habe es „generell an jener Sorgfalt gefehlt, die in anderen Teilen der Regierung zu finden ist“.
Pyrrhussieg für eine Favoritin
Er fasste damit die monatelangen Ermittlungen des FBI in der Frage zusammen, ob Clinton während ihrer Zeit als Außenministerin von Anfang 2009 bis Anfang 2013 durch die Verwendung privater E-Mail-Server und den regen Austausch von Nachrichten mit Diplomaten, Ministerialbeamten und politischen Mitstreitern über diese Maschinen gegen Strafvorschriften zum Schutz des Amtsgeheimnisses verstoßen habe.
Comey empfahl den Staatsanwälten des Justizministeriums zwar, von einer Anklage abzusehen. „Es ist unser Urteil, dass kein vernünftiger Ankläger so einen Fall vorbringen würde“, sagte er. „Wir können keinen Fall finden, der auf Grundlage dieser Fakten eine Strafanklage rechtfertigen würde.“
Doch das ist ein Pyrrhussieg für Clinton, die im Durchschnitt der Umfragen am Mittwoch 4,6 Prozent vor ihrem republikanischen Herausforderer, Donald Trump, lag. Sie muss vor keinen Richter treten. Ihr zentrales Argument gegenüber Trump allerdings, besonnen und verantwortungsvoll zu regieren, kann fortan von den Republikanern schlüssig untergraben werden: Wenn der FBI-Direktor, ein angesehener Beamter, der schon unter Präsident George W. Bush keine politische Schlagseite erkennen ließ, Clinton als „extrem sorglos“ brandmarkt, muss wohl etwas dahinterstecken. Am Mittwoch kündigte Paul Ryan, der republikanische Vorsitzende des Abgeordnetenhauses, Anhörungen zu den FBI-Ermittlungen an.
Trump verschießt Elfer ohne Tormann
Tröstlich für Clinton ist, dass Trump sich am Dienstag nach Comeys Erklärung um die Chance brachte, sie auf eine Weise anzugreifen, die nicht bloß beim harten, aber überschaubaren Kern seiner Fans Anklang findet. Denn er beließ es nicht bei seiner Kritik an seiner Konkurrentin und überzog wieder einmal. Er unterstellte Comey, Clinton aus Sorge um seinen Arbeitsplatz zu schützen, und behauptete, das gesamte Justizsystem sei manipuliert. „Jetzt ist bewiesen, dass sie gelogen hat. Sie kann nicht für unsere Sicherheit einstehen, sie hat das Leben von Amerikanern auf Spiel gesetzt.“ Für Clinton indes ist die Angelegenheit erledigt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2016)