Le Pen setzt trotz Chaos auf Frexit

„Und jetzt Frankreich!“: Front-National-Chefin Le Pen sieht sich durch das Brexit-Votum bestärkt.
„Und jetzt Frankreich!“: Front-National-Chefin Le Pen sieht sich durch das Brexit-Votum bestärkt. (c) REUTERS (JACKY NAEGELEN)
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Die Front-National-Chefin hofft nach dem Brexit-Referendum, dass ein EU-Austritt nun auch bei den Franzosen zu einem realistischen Szenario wird.

Paris. Vor zwei Wochen ließ Marine Le Pen in der Zentrale des Front National (FN) in Nanterre die Champagnerkorken knallen. Für die Parteichefin ist der Brexit ein stellvertretender Sieg, den sie auskostet. Die Briten haben ein Tabu gebrochen. Zwar weiß auch Le Pen, dass die Folgen des Austrittsentscheids unberechenbar sein werden. Doch für sie zählt vorerst nur, dass die Briten etwas riskieren, was man in Frankreich bisher als unrealistisches Abenteuer oder Hirngespinst verworfen hatte. Denn auch Le Pen fordert seit 2013 eine solche Abstimmung. Obwohl selbst im FN nicht alle völlig davon überzeugt sind, will sie einen Austritt Frankreichs aus der Eurogemeinschaft und aus der EU. Die Rechtspopulistin fühlt sich ganz im Trend und macht schon mit Plakaten Stimmung für eine Volksbefragung in Frankreich. „Brexit – et maintenant la France“ steht darauf als Ankündigung, dass nach Großbritannien „jetzt Frankreich“ an der Reihe sei.

Die Forderung nach einer Volksabstimmung tönte bisher nach einer politischen Utopie. Vielleicht hatte auch Le Pen nicht wirklich damit gerechnet, dass ihre Gesinnungsfreunde des Brexit-Lagers jenseits des Ärmelkanals siegen würden. Jetzt aber kann sie ihren Kritikern sagen, die Briten hätten es vorgemacht. Das wird zu einem starken politischen Argument – sofern der britische Mehrheitsbeschluss nicht innert Kürze zum Desaster für die Briten selbst wird.

„Eurokraten strafen Briten“

Denn auch für die französischen Rechtsextremisten ist angesichts des Chaos in London noch völlig unklar, wie genau die Schadensbegrenzung durch die EU verlaufen wird. In der FN-Propaganda werden derweil bereits die schlimmsten Anschuldigungen erhoben: Die „Eurokraten“ in Brüssel und die federführenden EU-Staaten würden nun alles daransetzen, um die Briten für ihre Selbstbestimmung zu bestrafen, wird da vorausgesagt. Es gehört zum politischen Reflex der Rechtspopulisten, dass an den Problemen sowieso immer nur die anderen schuld sind.

Vorerst aber kann der Front National einfach auf Zeit spielen und damit rechnen, dass nach dem ersten Schock in Europa und den unmittelbaren Auswirkungen auf dem Finanzplatz der Londoner City mit den Verhandlungen zwischen Brüssel und einer neuen britischen Regierung alles viel länger dauert und so auch der absehbare Rückschlag für die Volkswirtschaft und namentlich die Kaufkraft der Briten abgefedert wird.

Marine Le Pens zeitlicher Horizont ist der Frühling 2017, wenn Ende April Frankreichs Staatspräsident und anschließend die Abgeordneten der Nationalversammlung gewählt werden. Auf diese relativ kurze Sicht dürfte ihr der Brexit nur Auftrieb geben. Denn hinter dem britischen Volkswillen macht sie dieselbe Dynamik aus, die ihr in Frankreich immer mehr Zulauf bringt. Die drei Pfeiler ihrer Kampagne sind die Themen Immigration, Sicherheit und nationale Souveränität, die in Großbritannien beim Entscheid über den Verbleib in der EU für die Stimmbürger ausschlaggebend waren und die generell den Vormarsch der Rechtspopulisten in weiten Teilen Europas erklären. Zudem kann es dem FN nur entgegenkommen, wenn Europa mit all seinen Mängeln und namentlich mit der Flüchtlingskrise im Zentrum des Wahlkampfs stehen wird.

Franzosen nicht weniger EU-skeptisch

Eine andere Frage ist aber, ob das reicht, um in Frankreich eine Mehrheit für einen EU-Austritt und für das auf Staatsinterventionismus und Protektionismus beruhende rechtsextreme FN-Programm zu bekommen. Zwar sind laut einer Studie der Universität Edinburgh die Franzosen nicht weniger euroskeptisch eingestellt als die Briten, und 53 Prozent wären dafür, dass man sie über die EU abstimmen lässt. Doch laut einer jüngsten Befragung für das Magazin „Paris Match“ würde heute eine deutliche Mehrheit von 65 Prozent für den Verbleib stimmen.

Hingegen dürfte in Wirklichkeit ein EU-Referendum in Frankreich ganz anders ausgehen, weil womöglich eine Mehrheit die Gelegenheit für ein Plebiszit gegen François Hollande, gegen die Staatsführung und die „Eliten“ nutzen könnte. Der französische Staatschef hat darum Le Pens Forderung nach einer Frexit-Abstimmung wohlweislich abgelehnt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2016)

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