Die Neutralität der Skandinavier ist passé

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Schweden und Finnland rücken aus Angst vor Russland immer näher an die Nato. Die Schweden sind erstmals mehrheitlich für einen Beitritt.

Stockholm. Am Nato-Gipfel in Warschau nehmen auch die offiziell bündnisfreien Länder Schweden und Finnland teil. Seit der Besetzung der Krim durch Russland und dem aggressiveren Auftreten des russischen Militärs im Ostseeraum haben sich beide Länder so sehr an die Nato angenähert, dass ein weiterer Schritt zum westlichen Verteidigungsbündnis nur noch durch eine Vollmitgliedschaft möglich wäre.

Beide Länder gehören seit 1994 der Nato-Partnerschaft für den Frieden an, 2014 haben sie ein weitgehendes Gastlandabkommen mit der Nato unterzeichnet. Damit können Nato-Truppen auf Einladung zu Manövern und im Ernstfall schnell in Schweden und Finnland eingesetzt werden und erhalten dort militärische und zivile Unterstützung. Auch nachrichtendienstlich arbeiten Stockholm und Helsinki eng mit der Allianz zusammen. Zudem diskutieren beide Länder eine engere bilaterale militärische Zusammenarbeit, bis hin zu einer Militärunion.

Mit einer Einladung aller fünf nordischen Regierungschefs ins Weiße Haus im Mai hatte US-Präsident Barack Obama bereits im Vorfeld des Nato-Gipfels die Wichtigkeit einer engeren sicherheitspolitischen Zusammenarbeit mit den Ländern Nordeuropas betont. Schweden und Finnland würden derzeit im Ernstfall nicht – wie die Nato-Mitglieder Dänemark, Norwegen und Island – vom Bündnis beschützt. Gleichzeitig würde die Nato mit einer verstärkten Präsenz im Ostseeraum und an der russischen Nordflanke deutliche strategische Vorteile erlangen.

Finnland im Dilemma

Gerade Finnland steht unter starkem Druck zwischen Interessen aus Ost und West. Das Land steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise, ist abhängig vom Handel mit Russland und leidet an den EU-Sanktionen, die es offiziell mitträgt. Erst am Freitag stattete der russische Präsident, Wladimir Putin, Helsinki seinen ersten Besuch seit der Verschlechterung der Ost/West-Beziehungen ab.

Putin warnte Finnland, dass ein Nato-Beitritt eine russische Aufrüstung an der bisher relativ ruhigen 1340 Kilometer langen russisch-finnischen Grenze zur Folge hätte. Er unterstrich zudem, dass Russland trotz der weiteren „Expansionsversuche“ der Nato an seinen Grenzen eine Diskussion über „vertrauenschaffende Maßnahmen“ anstrebe.

Helsinki, das schon im Kalten Krieg stets um ein gutes Verhältnis zu Moskau bemüht war, rechtfertigte die umstrittene Einladung damit, dass es aufgrund seiner Lage unerlässlich sei, den Dialog mit Russland aufrechtzuerhalten. Eine formelle Nato-Mitgliedschaft ist derzeit kein Thema in Finnland. Zu unvorteilhaft wären die Konsequenzen.

Im wirtschaftlich starken Schweden wagt man sich weiter hervor. Das Parlament hat mit breiter Mehrheit eine Aufstockung des zusammengestrichenen Militäretats aufgrund der neuen Sicherheitslage beschlossen. Ein vermeintliches russisches U-Boot in den Gewässern vor Stockholm und Meldungen über ein Kriegsspiel, in dem 33.000 russische Soldaten mehrere Ostseeinseln besetzen, beunruhigten die Bürger zutiefst. In Schweden waren laut einer Umfrage im Mai mit 38 Prozent erstmals mehr Schweden für einen Beitritt als dagegen (31 Prozent).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2016)

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