Frankreich: Manager nach Suizidwelle angeklagt

Der Platz, an dem sich ein Mitarbeiter von France Télécom selbst anzündete. War die Firma daran schuld?
Der Platz, an dem sich ein Mitarbeiter von France Télécom selbst anzündete. War die Firma daran schuld?(c) Patrick Bernard/AFP/picturedesk.com
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Späte Folge einer Selbstmordserie von Mitarbeitern bei France Télécom: Der frühere Chef soll nun wegen Mobbings vor Gericht, weil er ein „Klima der Angst“ geschaffen habe.

Wien/Paris. Der Startschuss erfolgte forsch und mit viel Elan. Im Herbst 2006 trommelte Didier Lombard 200 Führungskräfte in einem Palais in Paris zusammen. Dort gab der damalige Chef von France Télécom die Marschrichtung vor: Mit der „Gluckhennen-Einstellung“ sei es vorbei. 22.000 Mitarbeiter sollten innerhalb von drei Jahren gehen, 14.000 den Arbeitsplatz wechseln. Es werde „ein wenig dirigistischer“ zugehen als früher. Aber die Abgänge müsse man durchziehen, „auf die eine oder andere Art, durch die Tür oder das Fenster“.

Am Donnerstag hat den Topmanager seine Vergangenheit eingeholt: Die Staatsanwaltschaft in Paris fordert einen Prozess – gegen Lombard, seinen Vize, den Personalchef und die Firma als juristische Person (die heute mit Orange vermählt ist). Der Vorwurf: Die Führung habe ein „Arbeitsklima der Angst“ geschaffen und die Mitarbeiter systematisch gemobbt. Den Managern drohen neben einer Geldstrafe bis zu zwei Jahre Haft.

Es ist das erste Mal, dass sich ein börsenotierter Konzern einer solchen Anklage ausgesetzt sieht. Auslöser der Ermittlungen war eine Serie von Selbstmorden, die 2008 und 2009 die französische Öffentlichkeit erschütterte. Ein Angestellter erdolchte sich während eines Meetings, ein anderer zündete sich (später) selbst an. Eine Frau nahm sogar den Weg, den ihr oberster Chef vorgezeichnet hatte: Sie stürzte sich aus dem Fenster.

35 Freitode in einem Konzern mit rund 100.000 Mitarbeitern: Ist das viel oder wenig? Wie man es sieht. Auf die ganzen zwei Jahre gerechnet, ist die Quote nicht wesentlich höher als der französische Schnitt. Auf die acht Monate mit den meisten Fällen bezogen ist sie doppelt so hoch, liegt aber auch nicht über dem Niveau bei den Polizisten. Entscheidend war, dass eines der Opfer in einem Abschiedsbrief das „Management des Schreckens“ als „einzigen Grund“ dafür nannte, dass er sich das Leben nahm – und sich daraufhin die Verzweiflungstaten häuften. Was Lombard dazu verleitete, von einem „Ansteckungseffekt“ durch die Medien, ja von einer „Mode“ zu sprechen. Das löste allgemeine Empörung aus. „Ein schwerer Schnitzer“, wie er später selbst zugab.

Kreativ aus der Firma geekelt

Die Anklage fokussiert sich auf zwei Vorwürfe. Die Führung brach die Zahl der abzubauenden Mitarbeiter auf die Abteilungsleiter herunter und machte sie zur wichtigsten Vorgabe, von deren Erreichung der Bonus abhing. So wurde der Abbau zum „Ziel an sich“, das mit beliebigen Mitteln zu erreichen war – was das strenge französische Arbeitsrecht nicht erlaubt. Auch hierzulande verboten wären manche Methoden, die dabei angewandt und geschult wurden. Drei Viertel der Belegschaft waren damals noch Beamte. Auch für den Rest galt der rigide französische Kündigungsschutz. Wenn der natürliche Abgang durch Pensionierungen nicht ausreichte, scheute man sich nicht, Überzählige hinauszuekeln.

Wie so etwas geht, erfuhren die Ermittler aus Tausenden E-Mails und Dutzenden Zeugenbefragungen: Eine Mutter von drei kleinen Kindern wird an einen neuen Arbeitsplatz in 200 Kilometern Entfernung versetzt. Ein Angestellter erhält jeden Freitag die schriftliche Empfehlung, doch endlich auf Bienenzucht umzusatteln. Ein anderer wird beim Umzug seiner Abteilung „vergessen“. Oder er findet sich nach dem Urlaub ohne Schreibtisch, Sessel und Aufgaben wieder.

Fest steht: Das Management schoss beim Versuch, den Tanker Télécom flott zu kriegen, weit übers Ziel hinaus. Die Ausgangslage war freilich besonders heikel: Ein früherer staatlicher Monopolist fand sich an der Börse wieder, einem brutalen Wettbewerb und rasantem technologischen Wandel ausgesetzt. Das setzte – auch ohne Mobbing von oben – sehr vielen Mitarbeitern zu, vor allem Technikern, die in den Verkauf oder ins Call Center wechseln mussten.

Lombard ruderte nach dem Imagedebakel kräftig zurück und bemühte sich mit vielen Maßnahmen, das Betriebsklima zu verbessern. Seit 2011 ist er nicht mehr an der Télécom-Spitze. Viele Kollegen fürchten nun, ein Urteil gegen ihn könnte als Dammbruch wirken und ebenfalls über das Ziel hinausschießen – wenn es die besonders kämpferischen französischen Gewerkschaften ermutigt, künftig jede nötige Anpassung und Sparmaßnahme zu torpedieren. Der zuständige Richter entscheidet in den nächsten Wochen, ob er die Klage zulässt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2016)

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