Nato-Gipfel: "Wir wollen keinen Kalten Krieg"

Participants attend the NATO Summit in Warsaw
Participants attend the NATO Summit in Warsaw(c) REUTERS (KACPER PEMPEL)
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Das Verteidigungsbündnis verstärkt seine Ostflanke, um Russland abzuschrecken. Gleichzeitig gibt sich die Allianz dialogbereit. US-Präsident Obama kritisiert polnischen Gastgeber.

Das Nationalstadion, das sich am Ufer der Weichsel erhebt, sieht von der Ferne aus wie ein gigantischer Weidenkorb. Seit gestern ist das Stadion Austragungsort des Nato-Gipfels – und eine Festung. Das Dach ist geschlossen, Hubschrauber kreisen, Polizeisirenen heulen unaufhörlich.
Die Nato ist in der Stadt – und wie bei jedem Gipfel zählen die nahen Verkehrsteilnehmer zu den Verlierern: Straßen sind abgeriegelt, auch die Brücke zum Stadion ist gesperrt. Dafür wehen dort nun kleine Nato-Fahnen. Das also ist die Szenerie für den Gipfel, den die polnischen Gastgeber schon vorab „historisch“ nannten und der die Nato zurück zu ihren Wurzeln führen soll. Es geht hier im Nationalstadion um „Abschreckung“.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg verteidigte gleich zu Beginn die Aufrüstung der Nato-Ostflanke: „Alles, was wir tun, ist defensiv, angemessen und transparent.“ „Wir wollen keinen neuen Kalten Krieg.“ Russland abschrecken und zugleich bei jeder Gelegenheit Dialogbereitschaft signalisieren: Das ist die Doppelstrategie des Bündnisses. Ein Entspannungssignal gab es gestern: Nur Minuten vor Beginn des Gipfels sollen Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident, François Hollande, mit Russlands Staatschef, Wladimir Putin, telefoniert haben. Es ging um einen Ausweg aus dem Ukraine-Konflikt, der Nato und Russland in diese neue Ost-West-Krise gestürzt hatte.

Nukleare Abschreckung

Hier, beim Gipfel, liegen Broschüren über Russlands „Mythen“ auf – von der Kreml-Kritik am Nato-Raketenabwehrschirm abwärts. Die Nato selbst wirft Russland vor, massiv entlang der Grenzen zum Nato-Bündnis aufzurüsten: „Von der Arktis abwärts“, wie ein Nato-Offizieller zur „Presse“ sagt. Moskau modernisiere zudem sein Nukleararsenal und rücke die Ausrüstung dazu näher an Europa. Das Bündnis wird in der heutigen Gipfelerklärung auch auf seine eigene nukleare Abschreckung hinweisen.
Am ersten Gipfeltag haben die Nato-Staaten die Aufrüstung der Ostflanke unter Dach und Fach gebracht. Die rotierenden Verbände werden in Litauen von Deutschland, in Estland vom Vereinigten Königreich, in Lettland von Kanada und in Polen von den USA angeführt. Schon beim Gipfel in Wales 2014 hatte die Nato eine schnell verlegbare „Speerspitze“ aus 5000 Soldaten beschlossen. Die multinationale Brigade soll binnen 48 Stunden verlegbar sein und ist Teil der „schnellen Eingreiftruppe“ von 40.000 Soldaten.
Im Nato-Süden will man nun Gewissheit, dass diese flinken Einheiten im Ernstfall auch in dieser Region zum Einsatz kommen können, etwa bei einem Terrorangriff im Süden des Nato-Gebiets. Noch vor wenigen Jahren galt die Nato als Auslaufmodell, das sich mit Piratenjagd am Horn von Afrika neue Herausforderungen suchte. „Heute sind wir zum ersten Mal in unserer Geschichte mit Herausforderungen aus zwei verschiedenen Himmelsrichtungen konfrontiert“, heißt es in Warschau.
Um die drohende Kluft zwischen Süd und Ost weiß auch der Kreml: „Es ist absurd, über eine Bedrohung aus Russland zu sprechen, wenn im Nahen Osten täglich Hunderte Menschen sterben“, sagte Sprecher Dimitrij Peskow gestern.

Überwachung vor Libyen

Zu den Zugeständnissen an die südlichen Nato-Mitglieder in Warschau zählt die Ausweitung der Mission zur Schlepperbekämpfung in der Ägäis. Die Seeraumüberwachung dürfte heute auf das zentrale Mittelmeer, also bis vor die Tore Libyens, ausgeweitet werden und Schlepper wie Waffenschmuggler ins Visier nehmen.
Die Kooperation in der Flüchtlingskrise ist ein Eckpfeiler der Kooperation zwischen EU und Nato, die gestern mit einer gemeinsamen Erklärung „auf die nächste Ebene gehoben wurde“ (Stoltenberg). Vor allem im Bereich „hybrider Kriegsführung“ und „Cyber-Abwehr“ soll die Zusammenarbeit vertieft werden, die nach dem Brexit-Votum noch an Bedeutung gewonnen hat.

Briten nach Brexit im Fokus

Im Nationalstadion waren die Blicke auf den britischen Premier, David Cameron, gerichtet. Nach dem Brexit versucht das Vereinigte Königreich hörbar, seine Bedeutung für das Verteidigungsbündnis herauszustellen. „Wir werden Europa nicht den Rücken zukehren“, sagte Cameron und kündigte neben der Führung das Bataillons in Estland vorab auch die bilaterale Entsendung einer Kompanie nach Polen an. Die Gesten zielen auf den Erhalt der Partnerschaft zu den USA ab.
Obama versprach, dass es die „special relationship“ weiterhin geben werde. Weniger nette Worte gab es für den polnischen Gastgeber. Nach einem Treffen mit Präsident Duda kritisierte er die Aushöhlung des Verfassungsgerichts. Werte wie Rechtsstaatlichkeit, unabhängige Gerichte und freie Medien seien die Grundlage der Allianz, so Obama.

AUF EINEN BLICK

Die Nato beschloss auf ihrem Warschauer Gipfel, vier Bataillone mit jeweils 1000 Soldaten nach Polen und ins Baltikum zu entsenden. Der Cyber-Raum wurde zum vierten Nato-Operationsgebiet erklärt. Das Bündnis will sich außerdem künftig mit Aufklärungsflügen am Kampf gegen den IS beteiligen, wobei die Awacs-Luftaufklärer nicht direkt über Syrien und dem Irak zum Einsatz kommen sollen.

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