Der Migrationskommissar will Resettlement-Verfahren für Schutzbedürftige aus Krisengebieten systematisch vereinheitlichen. Die neuen Asylpläne umfassen auch einen Vorschlag für schnellere Abschiebungen.
Wien/Brüssel. Über eine halbe Million Asylanträge wurden allein in den ersten fünf Monaten des Jahres EU-weit gestellt. Das sind um 150.000 mehr als noch 2015 – und erfahrungsgemäß werden sich die Flüchtlingsströme in Richtung Europa in den kommenden Sommerwochen weiter vergrößern. Grund genug für die EU-Kommission, neue Pläne für eine Reform des europäischen Asylsystems vorzustellen: Diese umfassen ein gemeinsames Resettlement-Programm, das schutzbedürftigen Menschen mehr legale Wege in die Union öffnen soll. Der Vorschlag der Brüsseler Behörde sieht einen „horizontalen Mechanismus“ vor, um „gemeinsame EU-Regeln für Anerkennung und Verteilung sowie finanzielle Unterstützung festzulegen“. Die Initiativen, schreibt die Kommission in einem der „Presse“ vorliegenden Strategiepapier von April, werden darauf abzielen, Resettlement aus einem bestimmten Land oder auch weltweit zu vereinfachen. Details will Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos in der kommenden Woche vorstellen. Fest steht aber: Die derzeit sehr unterschiedlichen Verfahren der (noch) 28 EU-Länder sollen systematisch vereinheitlicht werden, um künftig mehr Effizienz bei der Umsiedlung zu gewährleisten.
Tatsächlich gibt die bisherige Bilanz nur wenig Anlass zu Optimismus. Die Mitgliedstaaten hatten sich ursprünglich darauf geeinigt, 22.504 Flüchtlinge von Lagern im Mittleren Osten, in Nordafrika und auf dem Horn von Afrika umzusiedeln. 18.000 Plätze davon sind noch nicht vergeben. Auch der EU/Türkei-Deal sieht bekanntlich ein Resettlement syrischer Flüchtlinge in die Union vor.
Nun wird es kompliziert: Die EU-Länder haben im vergangenen Jahr – neben dem eben erwähnten Programm für Schutzbedürftige außerhalb der EU – per Mehrheitsbeschluss ein Quotensystem für jene Flüchtlinge festgelegt, die bereits in der EU – speziell in Italien und Griechenland – gestrandet sind. 160.000 Menschen sollten so auf alle EU-Länder verteilt werden; tatsächlich waren es, mit Stand 5. Juli, gerade einmal 2826. Die Kommission will nun, dass aus dem vereinbarten Kontingent von 160.000 insgesamt 54.000 Plätze für das Resettlement aus Nicht-EU-Ländern bereitgestellt werden.
Kein konkretes Quotensystem
Einen Vorschlag für einen konkreten Verteilschlüssel für Schutzbedürftige wird es kommende Woche laut einem Bericht der Internet-Plattform EUobserver aber nicht geben: Wenig überraschend angesichts der Tatsache, dass einem solchen Schritt nicht nur die mangelnde Aufnahmebereitschaft der Mitgliedstaaten, sondern auch zwei Klagen vor dem EuGH durch Ungarn und die Slowakei gegen verpflichtende Quoten entgegenstehen. Stattdessen fordert die Kommission die EU-Hauptstädte dazu auf, andere Wege der legalen Migration in Betracht zu ziehen: So sollen reguläre Anerkennungssysteme, wie es sie etwa für Studenten oder Forscher gibt, vermehrt auch auf Flüchtlinge angewandt werden. Zudem könnte privates Sponsoring legale Wege für Schutzbedürftige in die Union fördern, so die Behörde.
Doch die regelmäßigen Aufforderungen aus Brüssel, der Verantwortung in der Flüchtlingskrise gerecht zu werden, verhallen in den Mitgliedstaaten bisweilen ungehört. Bei einem Treffen der Innenminister am vergangenen Donnerstag zeigte sich einmal mehr, dass viele Länder eher auf Abschottung denn auf weitere Aufnahme setzen: Wohl aus diesem Grund wird Avramopoulos kommende Woche neben den Resettlement-Plänen auch Vorschläge für schnellere Abschiebungen abgewiesener Asylwerber vorlegen. Klar ist: 2016 wird, wie schon das Jahr zuvor, ein „außergewöhnliches Jahr“ in der Flüchtlingskrise sein, wie das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen am gestrigen Freitag gemahnt hat. Schon 2015 hat es mit insgesamt 1,4 Millionen Anträgen EU-weit einen Anstieg von mehr als 100 Prozent im Vergleich zu 2014 gegeben – dieser Wert könnte im heurigen Jahr noch einmal übertroffen werden.
AUF EINEN BLICK
Die EU-Kommission hat für kommende Woche als weiteren Teil der europäischen Asylrechtsreform Schritte angekündigt, um die Aufnahme von Flüchtlingen direkt aus Krisengebieten in der Europäischen Union effizienter zu organisieren. Auch Pläne für schnellere Abschiebungen abgewiesener Asylwerber will EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos dann vorlegen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2016)