Abtreibung: Ein Waffenstillstand, kein Kompromiss

Michael Häupl hat mit einer Feierstunde für ein Abtreibungsunternehmen ein Tabu gebrochen und den Ideologen einen Dienst erwiesen.

Bei der Abtreibung gibt es keine endgültige Lösung. Im Kern geht es ja darum, ob ein Embryo ein Mensch ist oder nicht, und für diese Frage gibt es keine von der jeweiligen Weltanschauung, Philosophie oder Religion unabhängige, objektiv zwingende Antwort. Und wenn man nun diese Frage nach dem Menschsein bejaht (ich tue das), wird man schwer – außer mit enormen intellektuellen Verrenkungen – zu einem anderen Schluss kommen, als dass der Staat auch das Leben dieser kleinen Menschen per Gesetz schützen muss. Verneint man hingegen die Frage, gibt es wenig plausible Gründe, warum der Staat hier überhaupt irgendetwas verbieten soll. Zwischen beiden Haltungen kann es eigentlich keine Brücke geben. Die Lauteren und Ungestümeren rufen auf der einen Seite „Mord!“ und auf der anderen „Bigotterie!“ (auch wenn es für die meisten Abtreibungsgegner vordringlich kein religiöses, sondern ein humanistisches Anliegen ist), ohne vom anderen verstanden zu werden und gestehen einander auch nicht zu, dass beide immerhin für die eintreten, die sie für die jeweils Schwächsten in der Sache halten.

Natürlich gibt es auch die vielen dazwischen, die auf die Frage „Mensch – ja oder nein“ keine Antwort geben können, wollen, oder schwanken. Sie sind am ehesten zufrieden mit dem Status quo einer in seltsamem Balanceakt verharrenden Gesetzeslage – Abtreibung im Generellen verboten und im Besonderen erlaubt –, weil er sie nicht zu unangenehmer Konsequenz zwingt. Dieser Status quo ist freilich kein Kompromiss, sondern nur ein Waffenstillstand.

Den hat der Wiener Bürgermeister Häupl nun gebrochen, als er dazu einlud, das 30-jährige Bestehen der Abtreibungsklinik am Fleischmarkt im Rathaus mit einem Festakt mit Musik zu feiern. Er wird gewusst haben, was er tut, sonst hätte er nicht versucht, das Ganze möglichst unter der Decke zu halten. Er hat deutlich gemacht, dass die ursprünglich auch von der Sozialdemokratie vertretene „graue“ Linie „Abtreibung ist keine schöne Sache, aber wir wollen Frauen (in Not) nicht bestrafen“ ersetzt gehört durch die eindeutige: „Abtreibung ist gut. Punkt.“ Sonst würde er nicht gerade jene Firma feiern, die schöne Profite mit der Abtreibung macht.


Häupl erweist damit vielleicht ein paar Ideologen, aber kaum den Betroffenen einen Dienst. Denn mit seiner Linie wird eine Chance, die der graue Zustand bis jetzt geboten hat, weiter verbaut: Viele Frauen sind vor der Abtreibung alleingelassen oder unter großem Druck ihrer Umgebung. Die Straffreiheit hätte es möglich gemacht, diese Frauen ansprechen zu können, um ihnen Hilfe zu leisten und eine lebensbejahende Perspektive zu bieten. Aber wer im Abtreibungsgewerbe einen Grund zum Feiern sehen möchte, kann diese Not der einsamen Mütter nicht gelten lassen. Was zählt der Mensch hier wirklich?

michael.prueller@diepresse.com diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2009)

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