John Naisbitt: "In China gründet man eine Firma leichter als hier"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Der Zukunftsforscher John Naisbitt und seine Ehefrau Doris untersuchen die Megatrends in China, finden das chinesische Regierungssystem gar nicht so schlecht und sorgen sich um die Zukunft Europas.

In Ihrem neuen Buch preisen Sie China als die kommende Wirtschaftsmacht. Das ist ja nicht unbedingt ein neuer Megatrend.

John Naisbitt: Aber man muss die Trends verstehen. China wird unsere Zukunft bestimmen.

In Ihrem letzten Buch sagten Sie, die Amerikaner werden unser Jahrhundert bestimmen. Wo ist da Platz für die Chinesen?

John Naisbitt: Die USA sind ein Imperium – militärisch und wirtschaftlich. Nichts kommt ihnen nahe. Ihr Bruttoinlandsprodukt ist mehr als drei Mal so groß wie das Chinas. Sie müssen die Chinesen nicht fürchten.


Europa muss es?

John Naisbitt: Das wird auf jeden Fall ein Problem für Europa. Die Politik hat auf diesem Kontinent kein gutes Umfeld für Unternehmer geschaffen. Und nur neue Unternehmen, neue Firmen können für Wachstum sorgen.


Kann Europa noch mit China mithalten?

John Naisbitt: Das wird schwer, weil man wenig getan hat in den vergangenen Jahren.

Was machen die Chinesen besser?

John Naisbitt: Sie sind die besseren Unternehmer. Zwei Drittel der chinesischen Wirtschaft sind in privater Hand. In Europa ist die Politik und das Umfeld gegenüber Unternehmen eher feindlich, in China unterstützt man Firmengründungen.


Ist Peking besser für Firmen als Wien? Ist es leichter, in China eine Firma aufzumachen als in Österreich?

John Naisbitt: Ja, auf jeden Fall.

Doris Naisbitt: Chinas Politik ist viel aufgeschlossener und offener gegenüber Unternehmen als Österreich oder Europa. Es gibt auch nicht so viele Vorschriften und Regulierungen.


Die Wirtschaftskammer und die Regierung würden Ihnen sagen, dass man diese braucht, um qualitativ gute Firmen zu haben.

John Naisbitt: Aber der Staat weiß doch nicht, was eine gute Firma ist. Mit dem Denken bekommt man Trabi-Firmen (die Autos, die einst von der DDR hergestellt wurden, Anm.).

Doris Naisbitt: Die Chinesen arbeiten an Regulierungen. Aber der Staat gibt nur die Rahmenbedingungen vor.


In Ihrem neuen Buch „Chinas Megatrends“ schreiben Sie, die chinesische Art des Regierens könne eine Herausforderung für die westlichen Demokratien werden. Was meinen Sie damit?

John Naisbitt: Das chinesische Wirtschaftsmodell ist das einzige neue Modell, das wir haben. Es ist ein interessantes Modell und kann uns vielleicht etwas lehren. Schauen Sie sich an, was die Chinesen erreicht haben und was in Europa passiert ist. Das politische System in Europa hat nicht annähernd Ähnliches geleistet wie jenes in China.

Doris Naisbitt: Wären Sie der Präsident von Angola, an wen würden Sie sich wenden, wenn Sie Ihr Land aus der Armut bringen wollen? Sie haben eine Bevölkerung, die nicht an demokratische Prozesse gewöhnt ist. Ihr Volk braucht Lenkung, um zu lernen, auf eigenen Füßen zu stehen. Warum sollten Sie sich an Europa wenden? Warum nicht eher an ein Land, das genau diesen Prozess mitgemacht hat? Europa würde sagen: Zuerst einmal entwickelt ihr eine Demokratie, dann helfen wir euch. China setzt zuerst auf wirtschaftliche Entwicklung.


Weil es keine Demokratie und daher auch keine Ahnung von ihr hat.

John Naisbitt: Moment. Was ist Demokratie? Wer bestimmt, was Demokratie ist? Die Griechen haben die Demokratie erfunden und sie hatten Sklaven, die Frauen durften nicht wählen. Das war keine gute Demokratie. Schauen Sie sich die Apartheid in den USA an, die dauerte 200 Jahre.
Doris Naisbitt: Wir machen den Fehler, unsere Sichtweise auf China anzuwenden. Unsere Messlatte ist eine Demokratie, die gewachsen ist und sich unseren Bedürfnissen angepasst hat. Die Chinesen habe eine andere Geschichte und andere Bedürfnisse. Es stimmt, dass Menschen unterdrückt werden. Aber es ist nicht so, dass 99 Prozent der Bevölkerung unterdrückt werden, sondern eine kleine Zahl.


... jeder, der wagt, das System zu kritisieren.

John Naisbitt: Nein, nein. Die lokalen Zeitungen üben scharfe Kritik an der Regierung, an der Korruption und daran, wie man mit der Umwelt umgeht. Das wird überall thematisiert. Und die Bürger genießen so große Freiheiten wie noch nie in der Geschichte Chinas.

Doris Naisbitt: Bei allem, was in China passiert, wird immer gefragt: Werden die Menschenrechte beachtet? Es stimmt, dass es die Gruppen, die sich gegen die Regierung stellen, nicht leicht haben. Aber die Mehrheit der Chinesen will ein gutes Leben führen. Wenn sie an Freiheiten denken, denken sie an wirtschaftliche Freiheiten und ans Geldverdienen.


Glauben Sie nicht, dass die Menschen irgendwann mehr wollen als Geld?

John Naisbitt: Der Westen übersieht, wie sich Kunst und Kultur in dem Land entwickeln. Man sagt, dass China die klassische Musik retten wird, weil die ganze Welt sie vernachlässigt und sie nur noch dort hohen Stellenwert genießt. Viele Kinder erhalten eine musikalische Ausbildung, Künstler genießen große Freiheiten.

Aber mitreden können sie nicht, ihr Schicksal können sie nur beschränkt bestimmen.

John Naisbitt: Man nennt als eine Grundbedingung für eine Demokratie immer, dass es Wahlen gibt. Indien hat Wahlen. Aber das Kastensystem, die Schicht der Unberührbaren – es tut mir leid, aber das ist keine Demokratie. Wahlen sind wichtig, aber schauen Sie sich die Parteien und Regierungen in Europa an. Das ist nichts, mit dem man angeben muss.

Doris Naisbitt: Stellen Sie sich einfach einmal vor, wie viel in Österreich weitergehen würde, wenn die Politiker sagten: Vergessen wir die Parteien, denken wir nur an das Land. Wir als Regierung setzen jetzt etwas um, das wichtig ist für Österreich – nicht für uns als SPÖ oder ÖVP. Das ist einer der politischen Vorteile in China. Es wird intern so lange argumentiert und diskutiert, bis man zu einem Schluss kommt, und der wird dann von allen getragen.


Wechseln wir das Thema, reden wir über die Wirtschaft. China profitiert vor allem von den geringen Arbeitskosten. Wenn sich das ändert, wird die Wirtschaft des Landes ein Problem bekommen.

Doris Naisbitt: Die Regierung weiß das. Deshalb will man weg davon, nur für andere zu produzieren, und geht hin zu Innovation. Sie wollen die Innovationsnation Nummer eins werden.

John Naisbitt: Die Chinesen holen sich die besten Köpfe aus der ganzen Welt. Schon jetzt ist China weltweit führend bei der Entwicklung von elektrischen Autos. Sie holen rapide schnell auf.


Wie lange wird es dauern, bis sie technologisch auf dem Niveau Europas sind?

John Naisbitt: Wir sagen in unserem Buch, China ist ein Drittel des Weges gegangen. Sie werden führend sein etwa bei der Herstellung von Autos.

Doris Naisbitt: Wenn Sie nach Jahreszahlen fragen: 2050.

Wenn China das führende Land bei Innovationen wird, wer macht dann unsere T-Shirts?

John Naisbitt: (lacht) Wir. Sie und ich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.