Die Höchstrichter begründen die Stichwahl-Aufhebung mit Rechtswidrigkeiten bei der Briefwahlauszählung in 14 Bezirken. Auch habe das Innenministerium vor Wahlschluss Teilergebnisse weitergegeben.
Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat am Mittwoch sein schriftliches Erkenntnis zur Aufhebung der Bundespräsidentenwahl vorgelegt. Auf 175 Seiten, die der "Presse" vorliegen, erläutern die Höchstrichter darin, weshalb sie der Anfechtung durch die FPÖ stattgegeben haben und die Stichwahl nun wiederholt werden muss.
Zwar weist der Verfassungsgerichtshof wie schon in der mündlichen Urteilsverkündung am 1. Juli darauf hin, "dass keiner der von ihm im Zuge der öffentlichen mündlichen Verhandlung einvernommenen Zeugen Anhaltspunkte für tatsächliche Manipulationen wahrgenommen hat". Aufzuheben war die Stichwahl dennoch. Denn: "Die Auswertung der mittels Briefwahl abgegebenen Stimmen wurde in den Stimmbezirken Innsbruck-Land, Südoststeiermark, Villach, Villach-Land, Schwaz, Wien-Umgebung, Hermagor, Wolfsberg, Freistadt, Bregenz, Kufstein, Graz-Umgebung, Leibnitz und Reutte rechtswidrig vernommen", heißt es in dem Erkenntnis. Außerdem habe die "Übermittlung von (Teil-)Ergebnissen der Wahl vor Wahlschluss an ausgewählte Empfänger durch die Bundeswahlbehörde" gegen den Grundsatz der Freiheit der Wahl verstoßen.
Diese beiden Punkte, so die Höchstrichter abschließend, "sind von Einfluss auf das Wahlergebnis".
Zumindest 77.769 Briefwahlstimmen betroffen
Konkret waren Briefwahlkarten zu früh geöffnet und ohne die Beisitzer der Parteien ausgezählt worden. Betroffen waren davon zumindest 77.769 Briefwahlstimmen. Was für die Verfassungsrichter angesichts des knappen Vorsprungs des Grünen Alexander Van der Bellen auf seinen FPÖ-Konkurrenten Norbert Hofer von nur 30.863 Stimmen Grund genug war, eine Wahlwiederholung anzuordnen. Diese wird am 2. Oktober stattfinden.
In seinem Erkenntnis verweist der Verfassungsgerichtshof auch auf seine bis in das Jahr 1927 zurückreichende strenge Judikatur bei Verstößen gegen jene Vorschriften, die Wahlmanipulationen verhindern sollen. "Die gesetzlichen Vorschriften über das Wahlverfahren sollen garantieren, dass ein solcher Missbrauch von vornherein nicht möglich ist", heißt es im Urteil. Denn der Nachweis von konkretem Missbrauch werde dem Einzelnen nur in den seltensten Fällen möglich sein.
Erfahrungen in Ländern ohne funktionierende Demokratie würden zeigen, dass politische Funktionsträger "versucht sein könnten, mit Hilfe der ihnen zur Verfügung stehenden Machtmittel Wahlergebnisse zu manipulieren". Und: "Auch in einer stabilen Demokratie sichert die genaue Einhaltung der Wahlvorschriften das Vertrauen der Bürger in die Gesetzmäßigkeit der Wahlen und damit (...) in eines der Fundamente des Staates."
67 Zeugen befragt
Angefochten hatte das Ergebnis die FPÖ wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten in 94 Stimmbezirken. Um die gesetzliche Vier-Wochen-Frist für die Entscheidung einzuhalten, trieb der VfGH einen bis dato nicht gekannten Aufwand: An fünf öffentlichen Sitzungstagen wurden 67 Zeugen befragt. Übrig blieb schließlich eine Liste mit 14 Bezirken, in denen teils massive Formalfehler bei der Briefwahlauszählung bestätigt wurden.

>>> Das Wahlanfechtungserkenntnis im Volltext
(Red./APA)