Camerons Abschiedsgruß: „Ich war einmal die Zukunft“

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Letzter Tag in 10 Downing Street. In seiner letzten Fragestunde im Parlament nahm der scheidende Premier Huldigungen entgegen und teilte Seitenhiebe gegen Labour-Chef Corbyn, den „Ritter der Kokosnuss“, aus.

Wien/London. Zu seiner Abschiedsvorstellung, dem wöchentlichen Ritual der Fragestunde im Parlament von Westminster Mittwoch Mittag, hatte David Cameron keine leichte Melodie auf den Lippen wie neulich bei der Pressekonferenz, in der er seinen Rücktritt innerhalb von 48 Stunden angekündigt hatte. Stattdessen begleiteten Lachorgien und Gebrüll von den grün gepolsterten Bänken des Unterhauses seinen letzten Auftritt als Premierminister, den seine Frau Samantha und seine drei Kinder von der Galerie aus verfolgten. Dabei wollte er ursprünglich erst nach dem Sommerurlaub in Cornwall abtreten.

„Ich werde die Zwischen- und die Buhrufe vermissen“, sagte Cameron mit ironischem Unterton. Als Hinterbänkler der Tories wird er dem Parlament vorerst erhalten bleiben. Mit Standing Ovations und jovialem Schulterklopfen zollten die Abgeordneten dem 49-Jährigen Tribut für seine sechs Jahre als Regierungschef in 10 Downing Street, der berühmtesten Adresse des Landes nach dem Buckingham Palace. Einmal noch machte Cameron am Nachmittag der Queen seine wöchentliche Aufwartung, ehe Königin Elizabeth Innenministerin Theresa May mit den Regierungsgeschäften betraute, die noch am Mittwochabend das Domizil des Premiers bezog.

Sternstunde der britischen Demokratie

So rasant und unsentimental vollzieht sich der Wechsel an der Spitze der britischen Demokratie, und Winston Churchill, Margaret Thatcher oder Tony Blair hatten dies auch aus eigener Anschauung erfahren. Während die Umzugsfirma Kisten und Möbel im Regierunsviertel verpackte, beobachte May, die neue Amtsinhaberin, von der Regierungsbank aus die Eloquenz, die rhetorische Kunst und die ironischen Seitenhiebe ihres Vorgängers, als er in einer parlamentarischen Sternstunde sein Vermächtnis vorlegte.

Dass einer der Angestellten in Downing Street ihm gerührt zur Legalisierung der Homosexuellen-Ehe gratulierte, rechnete sich der Premier hoch an. Seine Bewertung in den Geschichtsbüchern wird indes ambivalent sein, nicht zuletzt wegen seines Hasards in Sachen Brexit-Referendum.

In der Fragestunde schwang sich David Cameron, der Spieler, der so ungern beim Tennis verliert und der „The Smiths“ als seine Lieblingsband bezeichnet, der als Mitglied des legendären Mitglieds des Bullingdon Clubs in Oxford seinen Penis in das Maul eines Schweinskopfs gesteckt hatte, zu großer Form auf. „Um Himmels willen, gehen Sie endlich“, mokierte er sich vor wenigen Wochen in der Fragestunde gegenüber dem glücklosen Oppositionsführer Jeremy Corbyn.

Diesmal verpackte er seine Sottisen gegen den Labour-Chef und dessen heillos zerstrittene Partei in typisch britischen Humor. „Er erinnert mich an die Ritter der Kokosnuss“, zitierte Cameron aus einem Kultfilm der Comedy-Gruppe „Monty Python“. „Er wurde so oft getreten, aber er sagt die ganze Zeit: ,Ist doch nur eine Fleischwunde‘.“ Am Ende servierte er eine selbstironische Pointe: „Ich war einmal die Zukunft.“
Am Abend, nach der Rückkehr von der Stippvisite bei der Queen, hob er im Kreise seiner Familie vor der Downing Street zu einem letzten Abschiedsgruß, einem letzten Dank an die Briten an – „für die größte Ehre meines Lebens“. Und dann verschwand der Premier mit der Limousine ins Privatleben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2016)

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