Machtpolitikerin May: „Das ist Brutalität“

Theresa May
Theresa May(c) APA/AFP/OLI SCARFF
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Mit ihrer Kabinettsumbildung setzt die Premierministerin ein Zeichen, wie sie regieren will: hart, aber keineswegs herzlich.

London. Seit mehr als 20 Jahren verfolgt Norman Smith für die BBC die britische Innenpolitik, aber was er in den vergangenen 24 Stunden erlebte, beeindruckte sogar den Reporterveteranen: „Das ist Brutalität“, twitterte er über die Regierungsumbildung der neuen Premierministerin, Theresa May. In einem Radikalschlag entfernte sie die engsten Mitarbeiter ihres Vorgängers, David Cameron, und mischte die Karten völlig neu: Genau zwei Minister blieben auf ihren bisherigen Posten.

Die Botschaft war klar: Diese Regierung hat einen Chef, und der heißt May. In wenigen Stunden entließ die neue Premierministerin mehr Minister, als ihr Vorgänger in sechs Jahren ausgetauscht hatte. Entfernt wurden unter anderem: Schatzkanzler George Osborne, Justizminister Michael Gove, Kanzleramtsminister Oliver Letvin, Erziehungsministerin Nicky Morgan und Kulturministerin John Whittingdale.

Ob jemand für oder gegen die EU-Mitgliedschaft gekämpft hatte, war dabei nicht entscheidend. Zwar legte May mit der Ernennung des Tory-Veteranen David Davis zum Brexit-Minister, von Boris Johnson zum Außenminister und Liam Fox zum Staatssekretär für Außenhandel die Austrittsverhandlungen in die Hände der EU-Gegner. Zugleich machte sie aber den EU-Befürworter Philip Hammond als Schatzkanzler zum zweiten Mann in der Regierung und berief Brexit-Gegnerin Amber Rudd zur Innenministerin.

„Sie sticht in die Brust“

Ausschlaggebend waren Kompetenz, Loyalität und Zuverlässigkeit. Eigenschaften, die auch May nachgesagt werden. „Sie hat nur einen kleinen Kreis, dem sie vertraut“, sagt man. Während Cameron einen umgänglichen und entspannten Stil pflegte (das schöne Wort „to chillax“ bereichert seit seiner Amtszeit die englische Sprache), heißt es von May: „Sie hasst es, wenn vom Sofa regiert wird. Für jede Besprechung gibt es ein Protokoll.“

Nicht vorbereitet geht man in ein Meeting mit dieser Regierungschefin nur einmal. Sie sei „ein Meister der Details“. Herumschwätzen macht die Sache nur schlimmer: „Wenn sie unzufrieden ist, sagt sie das offen. Und dann lässt sie schmerzhaftes Schweigen den Raum füllen“, erzählt ein Mitarbeiter des Innenministeriums, ihrer früheren Wirkungsstätte. Ein Tory-Abgeordneter: „Sie fällt einem wenigstens nicht in den Rücken, sondern sticht einem von vorn das Messer in die Brust.“

Die Einbindung führender Brexit-Vertreter zeigt, dass May nicht nur große Stücke auf Verantwortung hält, sondern auch auf die Einheit ihrer notorisch zerstrittenen Partei, die nur zwölf Sitze Mehrheit im Parlament hat. Das mag auch die größte Überraschung der Regierungsumbildung erklären: die Ernennung von Johnson zum Außenminister. Ein anderer Johnson, nämlich US-Präsident Lyndon B. Johnson, sagte einmal über seine Kontrahenten: „Besser, man hat sie im eigenen Zelt und sie pinkeln heraus, als dass sie draußen stehen und ins Zelt hereinpinkeln.“

Auch wenn sie vorerst vorzeitige Neuwahlen ausschließt. May hat ein Auge darauf. Schon ihre erste öffentliche Stellungnahme, in der sie ein „besseres Großbritannien“ versprach und „schreiende Ungerechtigkeit“ verurteilte, signalisierte nicht nur einen Richtungswechsel. Das hörte sich nach der ersten Wahlkampfrede an.

Um einen Kurs für den kleinen Mann haben sich die Konservativen oft bemüht. Über die Rhetorik sind sie selten hinausgekommen. Der Letzte, der eine Erneuerung anstrebte, war Cameron. Von ihm versucht sich May in den ersten Stunden bewusst abzuheben. Harte Arbeit, Disziplin und Ordnung sind nun die Kernbegriffe. Eine „bloody difficult woman“ nannte sie der ehemalige Tory-Minister Ken Clarke vor wenigen Tagen. May entgegnete: „Damit kann ich leben.“

ABLEHNUNG AUS FRANKREICH UND DEUTSCHLAND

Kritik in der EU. Die Bestellung der Brexit-Galionsfigur Boris Johnson zum Außenminister rief in Europa zum Teil harsche Reaktionen hervor. Jean-Marc Ayrault, der französische Außenminister, tat sich dabei besonders hervor. „Während des Wahlkampfs hat er das britische Volk immer wieder angelogen, und jetzt ist er es, der mit dem Rücken zur Wand steht“, sagte Ayrault. „Ich brauche ein Gegenüber, mit dem ich verhandeln kann und das eindeutig, glaubwürdig und verlässlich ist.“

Der deutsche Außenminister, Frank-Walter Steinmeier (SPD), wertete die Ernennung Johnsons als Signal dafür, dass May das Ergebnis des Referendums ernst nehme und den Brexit umsetzen wolle. Er forderte sie auf, bald den Austrittsantrag an die EU zu stellen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2016)

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