Der Nachbar im Beet: Gemeinsam im Garten

Hirschstetten
HirschstettenDie Presse/Clemens Fabry
  • Drucken

Ob ein Gemeinschaftsgarten genügend Obst und Gemüse für alle Teilnehmer produziert, ist fraglich. Aber darum geht es oft gar nicht.

Mitten in Penzing stehen am Rande des Matznerparks rund 20 dicht bewachsene Hochbeete. Jedes von ihnen ist beschriftet. Auf einem von ihnen steht „Matthias“ auf einem anderen „Katja“. Das eine gehört einem Kulturschaffenden Mitte 50 und das andere einer 34-jährigen IT-Expertin. Sie sind zwei der rund 25 Hobbygärtner, die den Matznergarten bepflanzen und pflegen. Erst vergangenen Herbst wurde der Nachbarschaftsgarten errichtet. Ein Dreivierteljahr später wuchert hier bereits eine bunte Mischung aus Kräutern, Zucchini, Bohnen und Erdbeeren.

Dass hier mitten in der Stadt Gemüse und Obst wachsen, haben Katja und Matthias einigen engagierten Menschen aus dem Bezirk zu verdanken, die es sich zum Ziel gesetzt haben, einen sogenannten Gemeinschaftsgarten im 14. Wiener Gemeindebezirk zu eröffnen. Mithilfe der Gebietsbetreuungen, Stadterneuerung, des Bezirksvorstands Penzing sowie der Wiener Stadtgärten wurde so aus einem unscheinbaren grünen Fleck ein prächtiger Garten. Die Initiatoren wollten mit dem Projekt nicht nur das Grätzel schöner machen, sondern auch Menschen aus der Umgebung zusammenbringen.

Mitmachen kann hier jeder. Der Garten steht Personen „jeglicher Herkunft, jeglichen Geschlechts und jeglichen Alters“ offen, heißt es auf der Homepage des Gartenvereins. Und tatsächlich: Die Gruppe von Anrainern, die sich im Matznergarten wiederfindet, ist bunt gemischt. Frauen und Männer jedes Alters und auch junge Familien suchen hier Anschluss im Grünen. Das ist auch Ziel des Projekts: Bezirksbewohner zusammenbringen, die sonst isoliert und anonym nebeneinander leben.


Weg aus der Anonymität. Nachbarschaftsgärten, die Idee ist nicht neu, aber die Begeisterung dafür ungebrochen. Einerseits sollen sie die ohnehin betonlastige Stadt grüner machen, andererseits dazu beitragen, Menschen mit verschiedenen sozialen und kulturellen Hintergründen im urbanen Raum zusammenzubringen.

Die Idee dazu entstand in den 1970er-Jahren in New York mit den sogenannten Community Gardens. Das Konzept des gemeinschaftlichen Gartens, hat sich in den USA bewährt und ist in den vergangenen Jahren in vielen europäischen Städten angekommen. Auch in Wien. Seit 2010 fördert die Stadt Nachbarschaftsgärten mit bis zu 3600 Euro pro Projekt. Mittlerweile gibt es in Wien rund 50 solcher Gärten, weitere kommen.

Der neueste und größte Gemeinschaftsgarten ist derzeit der Madame-D'Ora- Park in der Seestadt Aspern. Auf über 90 Beeten bauen die Anrainer seit Mai dort zusammen Gemüse und Obst an.

Ein anderer Garten entsteht außerdem gerade über den Dächern Mariahilfs auf der Wipark-Garage in der Windmühlgasse. Dort wird auf einer Fläche von rund 2000 Quadratmetern ein Biodachgarten gebaut – angeblich soll es der größte in Europa sein. An dem Projekt wird bereits seit 2010 gearbeitet.

Die meisten Gärten entstehen auf Initiative von Anrainern im Bezirk. Eröffnen kann einen Nachbarschaftsgarten grundsätzlich jeder. Je nach Eigentumsverhältnis muss mit Privatpersonen, Magistratsabteilungen, Firmen und dem Bezirk über den Bau verhandelt werden. Private Vereine wie Gartenpolylog bieten Unterstützung bei der Planung und Betreuung von Nachbarschaftsgärten an. Sie haben sich auf die Begleitung und Beratung spezialisiert, nachdem die Nachfrage nach derartigen Projekten immer größer geworden ist. Denn immer mehr Menschen scheinen nach einem Kompromiss zwischen Stadt und Land zu suchen, wo man wieder mehr mit der unmittelbaren Umgebung in Kontakt treten kann.

Nachbarn, die sich nicht kannten. Danach haben sich auch die Mitglieder des Matznergartens gesehnt. „Über den Garten habe ich Menschen kennengelernt, die ich sonst wohl nie getroffen hätte“, erzählt Katja. So geht es auch Matthias. Zwar kenne er die Nachbarn aus seinem Stockwerk, aber freilich nicht alle Bewohner des Hauses. Außerdem fehle es auch in den meisten Wohnhäusern an Räumlichkeiten, in denen man sich begegnen könne, so der Kulturschaffende. Diesen haben er und auch Katja jetzt draußen vor der Tür gefunden. Im Matznergarten wird nicht nur gemeinsam eingekocht und gepflanzt, sondern auch viel geredet und gefeiert. Denn auch wenn der Garten viel zur Stadtverschönerung beitragen könne und gesundes Grünzeug bringe, gehe es hier doch um mehr als nur um Biotomaten, erklärt Matthias: „Ein Quadratmeter Garten – jeder weiß, dass da niemals genug Gemüse für 20 Personen rausspringt. Uns geht's schon um etwas anderes. Uns geht's ums Miteinander.“

Frag nebenan

Seit 2014 gibt es das Onlinenetzwerk fragnebenan.com. Das „Nachbarschafts-Facebook“ ist derzeit in Wien, Graz, Leoben und Kapfenberg nutzbar. Mittlerweile sind 38.000 Nutzer aus 22.000 Häusern registriert.

Nutzer können sich mit ihrer eigenen Adresse oder der eines Zweitwohnsitzes (etwa beim Lebensgefährten) registrieren und bekommen einen Zugangscode per Postkarte zugeschickt.

Auf der Plattform kann man etwa Menschen in der Umgebung kennenlernen, Veranstaltungen planen, Mitfahrgelegenheiten suchen und anbieten, Empfehlungen für Ärzte und Geschäfte in der Nachbarschaft teilen und neue Freunde finden.

Grüne Verbindung

Matznergarten. Der Nachbarschaftsgarten befindet sich im 14. Bezirk. matznergarten.at

Dachbeete. An dem Projekt wird seit 2010 gearbeitet: Auf einer Parkgarage im sechsten Bezirk wächst ein 2000m2großer Dachgarten heran. gartenwerkstadt.net

Gartenhilfe. Der Verein Polylog bietet Unterstützung bei der Planung und Unterstützung von Nachbarschaftsgärten. gartenpolylog.org

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.