Wajda: "Ohne Walesa hätte es nicht funktioniert"

(c) Reuters (Peter Andrews)
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Polens Paradefilmregisseur Andrzej Wajda über die Rolle der Kulturwelt bei der Wende 1989, die Lage der Kinobranche – und warum es noch keinen Film über den historischen Umbruch gibt.


Die Presse: Wer und was führte denn in Polen den Kollaps des Kommunismus herbei? War es die Arbeiterklasse? Waren es die Bürgerrechtsaktivisten, die kritische Intelligenz? War es die katholische Kirche?


Andrzej Wajda: Alle diese Kräfte haben ihren Beitrag in dem langen Prozess geleistet, der schließlich zur langsamen Auflösung des Systems und zum Zusammenbruch des Kommunismus führte. Die Arbeiterklasse spielte eine herausragende Rolle – auch, nachdem sie 1970 in Danzig eine schwere Niederlage gegen das Regime hatte einstecken müssen. Die Bürgerrechtler waren wichtig, nachdem sie sich 1976 zum Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (KOR) zusammengeschlossen hatten, um sich auf der Seite der Werktätigen gegen die gewaltsame Unterdrückung zu engagieren. Schriftsteller, Theaterleute, Filmemacher und Journalisten führten seit 1956 einen langwierigen Kampf gegen die Zensur. Schließlich die Institution Kirche, die ihren eigenen Weg ging – mit dem Einverständnis und der Mitwirkung der Massen von Gläubigen. Im düsteren kommunistischen Alltag demonstrierten sie gerade während der kirchlichen Feiertage ihre Präsenz.

Welche Anteile hatte die Kulturwelt bei der Unterminierung des kommunistischen Regimes?


Wajda: In den polnischen Filmdiskussionklubs, bei Treffen mit Autoren oder in politischen Kabaretts bot sich der Intelligenz ebenso wie einem großen Publikum ein breites Betätigungsfeld. Das stärkte das Selbstbewusstsein, führte zu einer gewissen Zufriedenheit. Die Unterhaltung lag in den Händen polnischer Künstler und Kulturschaffender, denn kulturell kam aus der Sowjetunion so gut wie nichts. Das damals weltweit bekannteste sowjetische Exportgut war das Kalaschnikow-Schnellfeuergewehr. Umso begieriger war man im kommunistischen Block dann auf die Kultur und Unterhaltung, die aus dem Westen kam.

Wann ist Ihnen klar geworden, dass das kommunistische Herrschaftssystem in Polen angefangen hat zu faulen und dem Untergang geweiht ist?


Wajda: Spät, weil ich sehr pessimistisch eingestellt war. Das können Sie in der letzten Szene meines Films „Der Mann aus Eisen“ entdecken. Die Vereinbarungen haben keinen Wert, weil sie unter dem Zwang, Solidarität mit der Regierung zu zeigen, unterzeichnet worden waren. Und schon ein paar Monate nach der Premiere des Films wurde meine pessimistische Sicht der Dinge durch General Jaruzelski bestätigt, der am 13.??Dezember 1981 die Einführung des Kriegsrechts verkündete. Das kommunistische System in Polen war auf der Kippe gestanden. Viel wichtiger aber war, was in der Sowjetunion geschah. Wie hat Dostojewski geschrieben: „Die Macht – das ist Autorität und Geheimnis.“ Unser Wissen darüber, was im Zentrum der Macht geschah, war unerheblich.

Waren es in Polen denn vor allem Persönlichkeiten, oder waren es eher die strukturellen Entwicklungen, die den Gang der Ereignisse hin zum Jahr 1989 geprägt haben?


Wajda: Ohne Persönlichkeiten wie Arbeiterführer Lech Walesa und ohne intellektuelle Solidarność-Aktivisten wie Adam Michnik, Bronislaw Geremek und Tadeusz Mazowiecki hätte das nicht funktioniert. Die strukturellen Veränderungen – auch die, die am runden Tisch ausgehandelt wurden – waren irgendwie rätselhaft. Sie hätten leicht wieder rückgängig gemacht werden können.
Was unterschied denn die polnische Entwicklung von der in anderen Ostblock-Staaten?
Wajda: In kommunistischen Lagern wurde Polen, wie es ein bekannter Witz besagte, als „die lustigste Kaserne“ im ganzen Block angesehen. Das erklärt sehr viel, denn Humor ist für den Totalitarismus der gefährlichste und der am schwersten zu bekämpfende Gegner.

Was waren für Sie persönlich die wichtigsten Momente in dem jahrzehntelangen Kampf der Polen gegen den Kommunismus und für die Freiheit?


Wajda: Am wichtigsten war die Entstehung der Solidarność, denn sie war eine Bewegung zur Verteidigung der Rechte der Arbeiter. Nur weil das eine Arbeiterbewegung war, konnten sich die Machthaber mit der Opposition dann gemeinsam an einen Tisch setzen. Alle weiteren Postulate wurden erst im Laufe der Verhandlungen in Zusammenarbeit mit den Solidarność-Beratern formuliert.

Warum gibt es bis jetzt keinen großen polnischen Film über das Jahr 1989, den runden Tisch, die Juni-Wahlen, den ersten nichtkommunistischen Regierungschef im Ostblock? Etwa darum, weil der Systemwandel evolutionär und nicht revolutionär war?


Wajda: Weil zwei Politiker gemeinsam mit Pater Tadeusz Rydzyk und denjenigen, die sich vom kommunistischen Wohlfahrtsstaat nicht trennen wollten, die Ereignisse der damaligen Zeit so manipuliert haben, dass der runde Tisch aus unserer Geschichte verschwunden ist. Die Handlung fing an, sich unter dem Tisch abzuspielen. Zum Glück hat sich in Polen kein Regisseur gefunden, der so eine Interpretation des Jahres 1989 akzeptiert. Den Rest hat das öffentliche Fernsehen erledigt, das einem solchen Film das potenzielle Publikum weggeschnappt hat.

Haben sich in Ihrer Branche – der Filmkunst – die Hoffnungen und Erwartungen in die postkommunistische Gesellschaft erfüllt, die Sie vor 1989 gehegt hatten?


Wajda: Ja schon, aber es gab sehr gegensätzliche Ergebnisse. Von früher 3000 Kinos funktionieren heute nur ein paar hundert. Die Leute kaufen ein Kinoticket, weil sie das Geld haben. Dieses Publikum sucht Unterhaltung, es sucht nicht nach Filmen, die sich mit sozialen Fragen beschäftigen. Diese Nachfrage deckt jetzt die US-Filmindustrie, und die lässt uns wenig Raum. Erst seit ein paar Jahren gibt es in Polen ein Gesetz, das außerhalb des staatlichen Haushalts zusätzliche Mittel für ein nationales Kino zur Verfügung stellt, das aber noch keine Anreize für jene Händler bietet, die bereit wären, polnische Filme zu zeigen. Aber diese Situation ist normal, in ganz Europa funktioniert das so.


In einer versklavten Gesellschaft kämpfte das polnische Kino nicht für sich selbst um mehr Publikum, sondern es kämpfte für Polen. Das heutige Kino aber ist nicht mehr eine Stimme der Gesellschaft, diese Rolle haben das Parlament und freie Medien übernommen. Das polnische Kino ist heute auf der Suche nach seinem Platz in der Gesellschaft.

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