Zu Gast im „Ajnhajtclub“

Zugvögel aus dem NHM stellt Künstler-Kurator Bogomir Doringer dem Prinzip Gastarbeiter gegenüber.
Zugvögel aus dem NHM stellt Künstler-Kurator Bogomir Doringer dem Prinzip Gastarbeiter gegenüber.Max Kropitz, 2016
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Kann man aus der Geschichte der Gastarbeiter etwas für die Flüchtlingsintegration heute lernen? Im MQ-Freiraum wird das Phänomen der Arbeiterklubs beleuchtet.

Der Titel allein ist großartig, weil irritierend, alles beinhaltend: „Ajnhajtclub“ heißt die Ausstellung im versteckten Freiraum im Quartier 21 des Museumsquartiers, also im historischen, dem Areal vorgelagerten Riegel. Der junge Kurator Bogomir Doringer (1983 in Serbien geboren, in den Niederlanden lebend) hat hier im Winkerl ein weiteres Mal, nach „Faceless“, Spannenderes geleistet, als die meisten Zeitgenossen-Institutionen rundherum durchschnittlich zusammenbringen. „Ajnhajtclub“ bezieht sich auf die Lautschrift der Gastarbeiter aus Ex-Jugoslawien, die ab 1966 nach Österreich gekommen sind und nur selten Deutsch gesprochen haben. Diese Schreibweise wurde zur Behelfsbrücke zwischen zwei Kulturen, eine Methode des Spracherwerbs, die sich emanzipieren, die selbst zu einer eigenen Sprache hätte werden können, wie Goran Novaković aka Goxilla meint – in einer Installation aus Broschüren und einem Werbevideo fordert er uns auf, dieses „Gastarbeiter's Dojch“ zu lernen.

Beginnen wir also mit „Ajnhajtclub“. Gemeint sind die Einheitklubs in der Bedeutung von Jedinstvo-Klub, von denen es mehr als 100 gegeben hat. Sie waren die Folge des Paragrafen 9, Absatz 2 des Abkommens zwischen Jugoslawien und Österreich, das nicht nur den Arbeitskraftzuzug regelte, sondern auch das Recht auf die Erhaltung der eigenen Kultur im neuen Land. 50 Jahre ist die Unterzeichnung dieses Vertrags her, Vladimir Miladinović macht ihn uns in allen Punkten noch einmal bewusst, er hat ihn per Hand und vergrößert abgeschrieben, Punkt für Punkt. Das wirkt ähnlich aus der Zeit gefallen wie die schwarz-weißen Bilder, die wir von diesem wirtschaftlich, soziologisch und kulturell bedeutenden Phänomen heute in den Köpfen haben und dessen vertragliche Geregeltheit uns in heutigen Zeiten völlig unbeherrschbar scheinender Immigrationsbewegungen nahezu nostalgisch erscheint.

Volkstanz, Fußball, Menschenhandel

Parallelen zu, vielleicht ja auch Lehren für heute kann man aus dieser Ausstellung schwerer ableiten, als man anfangs vermuten würde. Es ist auch definitiv kein kuratorisches Ziel, lohnt sich aber trotzdem als Gedankenspiel. Hat Integration damals funktioniert? Wegen der Kultur? Trotz der Kultur? Die Arbeiterklubs waren damals die wesentlichen Anlaufstellen für die Gastarbeiter, einige gibt es heute noch, auch wenn sie sich nach dem Zerfall von Jugoslawien ebenfalls in nationale Klubs gespaltet haben. Hier wird etwa noch Volkstanz gepflegt, zu sehen ist das Video einer Choreografie, die speziell für die Ausstellung von den Performancekünstlern Juan Pablo Cámara und Michele Rizzo erarbeitet wurde und mit allen Folklore-Kitsch-Erwartungen bricht. Eine Art dysfunktionales „Ajnhajtclub“-Stillleben ist Josip Novosels Installation aus Tischen und an sie gelehnten Sesseln, denen die Hinterbeine fehlen. Auf den Tischen mischen sich die Identitäten mittels Fußballklub-Insignien von Bayern München und Dinamo Zagreb. Auf Fotos sieht man Kekse und andere Mitbringsel, die zwischen Heimat und Gastland hin und her gewandert sind. Erwartungen dort, Enttäuschungen da, Schicksale dazwischen. Zwei weitere Fotos zeigen den Künstler als Kind und Tito mit einem geschenkten Leoparden: Wie derlei Staatsgeschenke, meint der Künstler, seien auch ganze Familien verschenkt worden.

Es gibt genug historisches Filmmaterial hier, das dieses Gefühl bestätigt, das Nichtverstehen, warum man nicht im eigenen Land arbeiten, nicht im eigenen Land genug Geld verdienen kann, so behandelt wird, als wäre man Sklave oder zweite Klasse. Der Anspruch der Ausstellung aber ist, die Brücke in das Heute zu schlagen. Nicht zu den Flüchtlingen, sondern zur Gegenwart der Gastarbeiterkinder und der Veteranen. Der Humor etwa dieser Heimatlosen, der sich in ersten Ausschnitten des Langdoku-Films von Mladen Dordević fühlen lässt. Die täglichen Erlebnisse der Schwarzarbeiter auf dem Arbeitsstrich, denen Milan Mijalkovic eine Kamera in die Hand gedrückt hat, um ihre wechselnden Baustellen zu fotografieren. Das prinzipielle Heldentum der Reisenden und Überlebenden, dem Marco Lulić ein „Denkmal für Migration in Perusić“ widmet: Dort hat der in Wien geborene Künstler als Kind bei seinen Großeltern gewohnt. Von dort stammte auch ein Titanic-Überlebender namens Nikola Lulić ab. Jetzt haben alle Lulićs dieser Welt für ihre Abenteuerlust prophylaktisch ein Neon-Gedenkschild. Man wajs ja nie, was kommt.


Bis 5. September. Freiraum im Q21 im Museumsquartier, Di.–So. 13–16 h und 16.30–20 h, Eintritt frei.

(Print-Ausgabe, 27.07.2016)

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