Zwei Männer töteten in einer Kirche bei Rouen den Pfarrer. Einer der Täter war bereits in U-Haft gewesen und trug eine Fußfessel. Der IS bekannte sich zu dem Anschlag.
Paris/Rouen. Der jihadistische Terror hat nun erstmals auch ganz gezielt Kirchen in Europa ins Visier genommen: Während des Gottesdienstes in einer Kirche der nordfranzösischen Kleinstadt Saint-Étienne-du-Rouvray drangen Dienstagvormittag zwei mit Messern bewaffnete Männer durch eine Hintertür in das Gebäude ein. Zunächst nahmen sie mehrere Geiseln. Später schnitten die Täter dem Priester die Kehle durch – der Geistliche war 86 Jahre alt. Ein zweiter Mann, ein Kirchgänger, ist lebensgefährlich verletzt worden. Drei andere Geiseln, unter ihnen zwei Nonnen, blieben unverletzt.
Die beiden Terroristen wurden von Sicherheitskräften erschossen, als sie nach ihrer Bluttat aus der Kirche fliehen wollten. Frankreichs Staatschef, François Hollande, gab kurz darauf bekannt, dass hinter der Bluttat der sogenannte Islamische Staat (IS) stecke. Später bekannte sich via Internet die Jihadisten-Organisation zum Angriff.
Die Ermittlungen liefen auf Hochtouren, am Nachmittag wurde ein Mann in der nahe gelegenen Stadt Rouen festgenommen. Über die Identität der Täter wurden zunächst keine Details veröffentlicht. Es sickerte lediglich durch, dass einer der beiden den Behörden schon seit Langem bekannt war: Im Mai 2015 hatte der Mann vergeblich versucht, nach Syrien zu gelangen, um sich dort dem IS anzuschließen. Allerdings wurde er in der Türkei gestoppt und nach Frankreich zurückgeschickt, wo er in Untersuchungshaft kam. Erst am 22. März 2016 war er er aus der Haft entlassen worden. Er stand aber unter Polizeikontrolle, musste eine elektronische Fußfessel tragen und durfte seine Wohnung in diesem Vorort von Rouen nur von 8.30 bis 12.30 Uhr verlassen. Das hat ihn nun nicht an der Ausführung der Bluttat gehindert.
Nur zwei Wochen nach dem Angriff in Nizza steht Frankreich nach dieser erneuten Attacke unter Schock. Präsident Hollande, der gestern sofort in die Normandie reiste, schlug harte Töne an: „Es ist wichtig, dass es den Terroristen nicht gelingt, unsere Freiheitsliebe zu brechen. Wir werden alles tun, um diese Bedrohung abzuwenden. Es kommt für uns darauf an, jetzt auf Einigkeit zu setzen.Alle Katholiken, die Angehörigen aller Religionsgemeinschaften, müssten nun zusammenstehen.“ Am Mittwoch will er Vertreter aller Konfessionen empfangen.
Denn die Angst vor einem „Glaubenskrieg“ in Frankreich ist groß: Vor einem „Religionskrieg“ warnte gestern der ehemalige französische Premier Jean-Pierre Raffarin auf Twitter: „Horror – alles wird unternommen, um einen Religionskrieg vom Zaun zu brechen.“ Martialische Töne schlug auch der konservative Ex-Präsident Nicolas Sarkozy an: „Das ist ein Krieg“, sagte er. „Und wir haben keine andere Wahl, als diesen zu führen und zu gewinnen.“ Sarkozy will höchstwahrscheinlich bei der Präsidentschaftswahl 2017 kandidieren.
Auch nach Ansicht von Premierminister Manuel Valls war das Ziel des Angriffs ein "Krieg der Religionen". "Wenn sie einen Priester angreifen, die katholische Kirche, dann sieht man gut, was das Ziel ist", sagte Valls dem Sender TF1. "Die Franzosen gegeneinander aufhetzen. Eine Religion angreifen, um einen Krieg der Religionen zu provozieren." Er rief die Franzosen auf, zusammenzustehen. "Unsere Antwort ist die Demokratie."
„Unsere einzige Waffe ist das Gebet“
Auch der Front National mobilisierte unverzüglich seine Sympathisanten auf Twitter. So appellierte Marine Le Pens Nichte Marion Maréchal-Le Pen „Réveillez-vous“ (Wacht auf!), ohne zu sagen, was sie damit genau meint oder bezweckt. Auch der frühere konservative Premierminister François Fillon erklärte: „Die bloße Entrüstung genügt nicht mehr, es braucht Taten und Maßnahmen.“
Zur Versöhnung rief hingegen der Erzbischof von Rouen, Dominique Lebrun, auf. Er hatte den ermordeten Priester persönlich gekannt: „Die einzige Waffe, die wir haben, sind das Gebet und die Brüderlichkeit.“ Er betonte, wie wichtig der Geist des Miteinander für das Zusammenleben der religiösen Konfessionen sei. Auch der Papst verurteilte den Anschlag als „barbarischen Mord“.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2016)