Wie soll ein Mann, dessen außereheliche Affären die ganze Welt kennt, über seine Frau reden? Wohl so, wie es Bill Clinton in der Nacht auf Mittwoch getan hat.
"Im Frühling 1971 lernte ich ein Mädchen kennen", begann Bill Clintons Rede am zweiten Abend des demokratischen Parteitreffens in Philadelphia, und darauf folgte eine Liebeserklärung an jene Frau, die um seiner Karriere willen für fast drei Jahrzehnte ihre eigenen Ambitionen zurücksteckte.
Oft heißt es, Hillary sei das Hirn des Ehepaares Clinton: klüger, besser organisiert, disziplinierter. Der Preis dafür ist eine gewisse professionelle Glattheit. Jene Frau, die am Dienstag von ihrer Partei zur ersten ernstzunehmenden Kandidatin für das Präsidentenamt gekürt worden ist, bleibt für die meisten Amerikaner nicht fassbar, ein Rätsel. Das macht sie für ihre politischen Gegner leicht zu attackieren. Genau diese Schwäche seiner Frau hat Bill Clinton in seiner Ansprache schlau aufgegriffen. Bei der Wahl im November stünden zwei Bilder von Hillary einander gegenüber: eines sei eine Karikatur, zweidimensional, einfach zu konsumieren, und falsch. Das andere stelle die echte Hillary dar: eine Frau, "die vor ihrem 30. Geburtstag schon mehr Gutes für andere Menschen errungen hat, als es die meisten Amtsträger in ihrer ganzen Laufbahn nicht schaffen."
Van Jones, im Weißen Haus von Barack Obama einst für Umweltpolitik zuständig, hat die Schleierhaftigkeit von Hillary Clintons Wesen und Bill Clintons Dienst in der Klärung dessen auf CNN gut auf den Punkt gebracht: "Sie hat so viele Dinge gemacht, besteht aus so vielen verschiedenen Punkten, dass ich oft nicht weiß, wofür sie steht. Aber jetzt sehe ich: Hey, das ist diese hart arbeitende Weltverbessererin, und ich kenne eine Menge Frauen, die wie sie sind."
Ob man Hillary Clinton mag oder nicht, eines kann man nicht abstreiten: wer als junge Absolventin einer Eliteuniversität freiwillig in den armen Gegenden von Massachusetts nach jenen Kindern sucht, die nicht in den Anwesenheitslisten der Schulen vermerkt sind, weil sie im Rollstuhl sitzen und es keinen behindertengerechten Schulbus für sie gibt, bringt die wichtigste Charaktereigenschaft wirksamer Politiker mit, nämlich Beharrlichkeit. "Wenn Sie daran glauben, dass Wandel von unten passiert, wenn Sie glauben, dass der Wandel daran zu messen ist, wie vieler Menschen Leben dank seiner besser sind, dann wissen Sie, dass das schwer ist und dass manche Leute meinen, es sei langweilig", sagte der Altpräsident.
"Ich hoffe wirklich, dass sie die Entscheidung, mich gewählt und meinen Ratschlag zurückgewiesen zu haben, ihre eigene Karriere zu verfolgen, nie bereuen wird", erklärte er. Seine Frau, die er mit seiner Verantwortungslosigkeit vor aller Welt Augen derart gedemütigt hatte, hat bei ihm enorm viel gut. Nun hat Bill Clinton seine Schuld eingelöst, zwar nur teilweise, aber im rechten Moment: Während die Republikaner sie diabolisieren und einsperren wollen, hat Bill aus Hillary im Auge der Öffentlichkeit eine Frau aus Fleisch und Blut gemacht.