Heute vor... im Juli: Der Mord an dem Zahntechniker Berger

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Die Einzelheiten des Versicherungsschwindels.

Neue Freie Presse am 31. Juli 1926

Die zuständigen Behörden sind eifrig mit der Aufklärung des geheimnisvollen Todes des Zahntechnikergehilfens Andreas Berger, der am 13. Mai von der Kienbergwand bei Scharfling tödlich abgestürzt ist, beschäftigt. Das Hauptverdachtsmoment richtet sich bekanntlich gegen den 27 Jahre alten Zahntechniker Karl Pahrleitner aus Mattighofen, der ebenso wie sein 21 Jahre alter Bruder Adalbert, die ehemalige zahntechnische Assistentin Pahrleitners, Wilhelmine Zechner, und der 29 Jahre alte Handelsangestellte Karl Schwarz aus Steyr auf Grund der bisherigen Erhebungen in Haft genommen wurden. Wie das Verbrechen geschah - um ein solches dürfte es sich zweifellos handeln - ist noch nicht völlig geklärt, doch über die Vorgänge am 13. Mai folgendes bekannt:

Der verhängnisvolle Ausflug ins Schafberggebiet

Am 12. Mai hatten die Brüder Pahrleitner, Schwarz und Berger für den 13. Mai eine Tour in das Schafberggebiet verabredet und diese auch am 13. Mai angetreten. Sie fuhren von der Station Eugendorf der Salzkammergutbahn nach Scharfling und sollen dort vor Antritt der Bergpartie ziemlicht stark gezecht haben, wobei es Pahrleitner augenscheinlich auf die Berauschung Bergers abgesehen haben dürfte. Ganz ungewöhnlich gestaltete sich nach den bisherigen Ermittlungen auch die Tour selbst. Man wollte angeblich photographische Aufnahmen machen, ging aber gerade an jener Stelle, die die bestgeeignete zum Photographieren war, vorüber, wanderte weiter und gelangte an eine Stelle, wo eine Rasenkuppe, auf der knapp drei Personen Platz finden, etwa 60 Meter steil zum Bachbett abfällt.

Hier wurde gerastet und Karten gespielt. Hier soll auch Pahrleitner den Berger animiert haben, photographische Aufnahmen zu machen. Zu diesem Zweck begab sich Berger an den Rand der Kuppe, wo er abstürzte. Berger wurde von Scharfling in das St. Johannis-Spital nach Salzburg gebracht, wo er bereits am 17. d., ohne das Bewußtsein erlangt zu haben, verschied.

Die Realisierung der Versicherung auf 84.000 Schilling

Wenige Tage später nun tauchte Karl Pahrleitner in Wien bei seiner im 18. Bezirk, Genzgasse 99, wohnhaften ehemaligen Assistentin Wilhelmine Zechner auf, teilte ihr mit, daß sie nach dem verunglückten Berger auf eine Versicherungssumme rechnen dürfe und sie fünf Millionen verdienen könne, wenn sie mit ihm zu der Versicherungsgesellschaft gehe und sich dort als Braut des verunglückten Berger ausgebe. Der Versicherungsgesellschaft fielen die Anstrengungen Pahrleitners, die Polizze zu realisieren, auf, und sie entsandte einen Beamten sowohl an die Unfallstelle, wie auch nach Mattighofen, um Erkundigungen einzuziehen. Das Resultat der Erhebungen verstärkte den Verdacht der Versicherungsgesellschaft, daß Berger nicht eines natürlichen Todes gestorben sei, und sie erstattete die Anzeige bei der zuständigen Salzburger Staatsanwaltschaft, die die Gendarmerie-Ausforschungsabteilung mit den weiteren Erhebungen betraut.

Die Ueberredung Bergers zum Eingehen der Versicherung

Ueber das Zustandekommen der Polizzen - es handelt sich um eine Polizze auf Erleben von 30.000 Goldkronen und eine Polizze auf Unfall mit ebenfalls 30.000 Goldkronen - ergaben die Erhebungen, daß Pahrleitner den Berger zum Eingehen dieser Versicherung unter der Vorspiegelung verleitet habe, er (Pahrleitner) wolle damit ein außereheliches Kind versorgen. Berger brauche bloß seinen Namen herzugeben. Tatsächlich wurde die Polizze auf einen fremden Namen, und zwar auf den Namen der Wilhelmine Zechner, ausgestellt, die aber erklärt, mit Berger nie in solchen Beziehungen gestanden zu sein, aus denen sie etwa eine Anwartschaft auf eine Begünstigung durch die Versicherung von seiner Seite ableiten könnte. Alle Anzeichen weisen darauf hin, daß Pahrleitner den verbrecherischen Plan angestiftet hat, um sich auf dem Umweg über die Wilhelmine Zechner in den Besitz zumindest des größten Teiles der Versicherungssumme zu setzen.

Dänemarks König - bis zum Hals im Wasser

Der Monarch geriet bei einen Segelunfall in höchste Lebensgefahr.

Neue Freie Presse am 30. Juli 1916König Christian, der zurzeit mit der königlichen Familie im Sommerschlosse Marselisborg bei Aarhus weilt, geriet gestern nachmittag auf einer Segelpartie, die er allein in einem kleinen Segelboot in der Bucht von Aarhus unternahm, in größte Lebensgefahr. Das Boot wurde ungefähr tausend Meter vom Lande entfernt von einem heftigen Windstoß erfaßt und kenterte. Der König kenterte. Der König konnte sich an dem kieloben liegenden Boote festhalten. Er befand sich in dieser Lage fast eine Stunde lang bis zum Halse im Wasser.

Inzwischen war das Unglück vom Lande aus bemerkt worden. Der Apothekergehilfe Madsen aus Kopenhagen schwamm zur Unglücksstelle, wo halb darauf auch ein kleines Boot eintraf. Den Insassen gelang es im Verein mit Madsen, das gekenterte Boot mit dem König an Land zu bringen.

Der König war derart erschöpft, daß er eine Viertelstunde lang am Ufer ausruhen mußte, kam aber bald wieder zu Kräften. Er dankte herzlichst seinen Lebensrettern für die geleistete Hilfe und wies in scherzhaften Bemerkungen auf die gefahrvolle Lage hin, in der er sich befunden hatte. An Bord der herbeigerufenen königlichen Motorschaluppe entledigte sich der König der durchnäßten Kleider, packte sich in wollene Decken ein und kehrte in das Schloß Merselisborg zurück. Abends befand sich der König vollständig wohl.

Blutige Straßenkämpfe in Amsterdam

Wer hätte geglaubt, dass das phlegmatische, an behäbiges Wohlleben gewöhnte Volk der Niederländer blutiger sozialistischer Exzesse fähig sei?

Neue Freie Presse am 29. Juli 1886

Die Straßenkämpfe in Amsterdam sind zu Ende. Jetzt werden die Opfer derselben gezählt, und es zeigt sich, daß deren mehr sind, als nach den ersten Meldungen anzunehmen war. Es ist viel Blut geflossen, mit todverachtender Hartnäckigkeit widersetzten sich die Tumultuanten den Angriffen der Truppen und Polizei-Agenten, rothe Fahnen wehten über ihren Häuptern von den Barricaden herab, und das nordische Venedig schien über Nacht in ein Schlachtfeld verwandelt, auf dem militärische Commandorufe mit anarchistischem Kampfgeschrei sich mischten. Wer hätte geglaubt, daß das phlegmatische, an behäbiges Wohlleben gewöhnte Volk der Niederländer blutiger socialistischer Excesse fähig sei? Verrückte oder fanatische Schwärmer, welche Nachts auf volkreichen Plätzen einem bunten Auditorium ihre Weisheit predigen, hat Jeder schon gesehen und gehört, dem es vergönnt war, die holländische Hauptstadt zu besuchen; aber daß der Socialismus bereits so tief in dieses ernste, schwer bewegliche Volksthum sich eingefressen, und dasselbe zu mörderischem Aufruhr zu treiben, das hat schwerlich Jemand geahnt, und die Holländer selbst sind in ihrer Mehrzahl zweifellos von dieser drohenden Wahrnehmung am meisten überrascht worden.


Anmerkung: Bei den Kämpfen starben 26 Menschen. Von einem sozialistischen Plot war die Rede, doch nach Untersuchungen wies der ermittelnde Staatsanwalt dies zurück. Die Geschehnisse seien spontan entstanden und seien auf vorherrschende soziale Ungerechtigkeiten zurückzuführen gewesen. Tatsächlich führte die Industrielle Revolution zu einem starken Zustrom ländlicher Arbeiter nach Amsterdam. Damit einhergehend erlebte auch der Sozialismus seinen Aufschwung. Die Behörden versuchten diesen durch Einsatz von Gewalt zu verhindern, was in den 1880er und 1890er Jahren zu Kämpfen zwischen Polizei und Sozialisten auf wöchentlicher Basis führte. Das mündete letztlich auch in dem oben geschilderten Volksaufstand, in den Niederlanden auch als “Palingoproer” bekannt.

Gebrechen in den Heizanlagen des neuen Rathauses

Noch offen bleibt die Frage der Kostenübernahme.

Neue Freie Presse am 28. Juli 1886

Vor Beginn der heutigen Sitzung des Gemeinderathes theilte der Vorsitzende, Bürgermeister Uhl, mit, daß sich noch während der Plenarsitzung die Rathhausbau-Commission zu einer Berathung in einer wichtigen Frage versammeln werde. Wie wir erfahren haben, handelte es sich um folgende Thatsachen: Bei einer jüngst stattgehabten Untersuchung der Heiz- und Ventilations-Anlagen im neuen Rathhause wurde die überraschende Entdeckung gemacht, daß sieben von den zehn in den kleinen Höfen aufgestellten Dampfkesseln schadhaft geworden waren und eine große Anzahl von Ausbuckelungen zeigen.

Diese Entdeckung hatte schon vor einigen Wochen die Einberufung von Experten zur Folge. (…) Dieselben waren der Ansicht, daß die vorgefundenen Gebrechen hauptsächlich durch forcierte Benützung der Dampfkessel entstanden seien, und daß es sich für die Gemeinde empfehle, außer der vorzunehmenden Reparatur der bestehenden Schäden noch zwei weitere Kessel aufzustellen. Die zehn Kessel haben eine Gesamtheizfläche von 280 Quadratmetern, die Stärke der Kesselwände beträgt dreizehn Millimeter, sie wurden von dem Consortium Brückner, Bolfner und Ringhofer hergestellt und standen seit Dezember 1884 in den Wintermonaten in Benützung. Wie man in gemeinderäthlichen Kreisen behauptet, ist die von oben genanntem Consortium eingegangene Garantiefrist noch nicht abgelaufen und daher dasselbe verpflichtet, die Reparaturen auf seine Kosten herzustellen. Vom Bauamte wird außerdem die Aufstellung von zwei Kesseln beantragt, welche eine Kostensumme von 20,000 fl erfordern wird.

Da sich aber das Consortium weiters verpflichtet hat, für den Betrag, der an dasselbe bezahlt wurde, eine allen Anforderungen Genüge leistende Kesselanlage herzustellen, ohne daß die Zahl der Kessel hiebei festgestellt wurde, so glaubt man, daß auch diese Vermehrung der Kessel auf Kosten des Consortiums zu erfolgen habe. Die Commune wird aber, wenn wir richtig informiert sind, unter Wahrung ihrer Ersatzrechte an das Consortium die beiden neuen Kessel auf ihre Kosten herstellen lassen, bis die Rechtslage bezüglich des Processes klargestellt ist. Bedauerlicherweise hat man in der Rathhausbau-Commission die Geheimhaltung der ganzen Angelegenheit beschlossen, und wir müssen uns daher auf die vorliegenden Andeutungen beschränken.

In elf Stunden am „Wiener Meer“

Welch Freude, schreibt ein Wiener aus Triest, daß Oesterreich vom Meer bespült wird.

Neue Freie Presse am 27. Juli 1906

Ein in Triest lebender Wiener schreibt uns: Ein neuer Weg führt jetzt zum Golf von Triest. Der Wiener wird wieder einmal daran erinnert werden, daß Oesterreich vom Meer bespült wird, das er das große azurne Wunder sehen kann, ohne die Grenze zu überschreiten. Wird es einen Umschwung in den Ausflugszielen herbeiführen? Es lebt ein erkleckliches Häuflein von Wienern in der prächtig gelegenen Stadt an der Adria, und sie finden es unbegreiflich, daß so wenige Landsleute die elfstündige Fahrt unternehmen, um die Sehnsucht nach dem endlosen Blau zu befriedigen. Freilich waren sie einst ebenso schwerfällig, und wenn nicht Beruf oder Zufall sie herbeigeführt hätte, sie blieben auch heute noch mit ihren Spritztouren zwischen Semmering und Salzkammergut. Man muss Triest von Opcina aus gesehen haben, um mitreden zu dürfen, wenn von den schönsten Landschaftsbildern gesprochen wird. Triest vor Sonnenuntergang in goldenem Licht und von der hellblauen Flut umgeben, von der blauen Riesenglocke des Firmaments überspannt, im Süden die vorspringende Linie der Küste Istriens, im Westen die fernen Lagunen mit der Insel Grado, und an besonders klaren tagen weit im Hintergrunde die Schneegipfel der Julischen und Karnischen Alpen. In halbstündiger Bergfahrt mit der elektrischen Bahn kann man sich das grandiose Schaufest bereiten. Ja, Triest hat seinen Kahlenberg wie Wien; nur heißt er Karstplateau. Und noch entzückender vielleicht ist das Nachtbild dieser Herrlichkeiten. Wenn die Dunkelheit nach und nach den Horizont verschwimmen macht, flammen die tausende von Lichtern unten in der Stadt auf und es zeichnet sich ihr Bild in feurigen Konturen auf der Meeresfläche ab.

Der erste gänzlich fleischlose Tag

Wirte und Herrenpublikum haben dem Tage mit einigem Bangen entgegengesehen.

Neue Freie Presse am 26. Juli 1916

Heute trat die neue Verordnung in Kraft, wonach für die Gasthäuser und Hotels verschärfte Vorschriften in bezug auf die Verwendung von Fleisch an fleischlosen Tagen, auf den Konsum von Fett, sowie auf die deutliche Sichtbarmachung der Speisenfolge zu beachten sind. Nicht nur die Wirte, sondern auch das Herrenpublikum, das auf die Gasthausküche angewiesen ist, hatten dem Tage mit einigem Bangen entgegengesehen. Aber sie alle wurden angenehm enttäuscht: Die Wiener Kochkunst hat ihrem alten, bewährten Ruf nicht nur alle Ehre gemacht, sondern sie hat bewiesen, daß sie in so schweren Zeiten, wo man erst zeigen kann, daß das Kochen tatsächlich eine Kunst ist, dem Wiener das Leben angenehm macht, weil sie ihm trotz mannigfacher Verbote doch ein gutes, schmackhaftes, nur leider auch zu kostspieliges Mittagsmahl verbürgt.

In fast allen Restaurants sah man am Eingange die Speisenfolge samt Preisangaben ausgehängt, in den eleganten Restaurants in einem diskreten Rahmen, in den einfacheren Gasthäusern mit Gummi an die Fensterscheibe geklebt. (..) Als die Mittagsstunde kam, waren die Kellner und Speisenträger der großen Restaurants etwas nervös und auch die Besitzer fürchteten mit so manchem verwöhnten Gaste Konflikte. Aber die Erfahrungen straften die Voraussetzungen Lügen und es kam nirgends zu Mißhelligkeiten wegen des Ausmaßes der Speisenfolge. Das Publikum hatte viel Aergeres erwartet – man sah so manchen Gast mit recht mißtrauischen Blicken die Speisekarte studieren. Aber fast immer erhellten sich alsbald seine Züge – er hatte gefunden, was ihm zusagte, und Gast und Kellner atmeten erleichtert auf. Aber der heutige Tag hat gelehrt, daß in Wien wegen einer zu kleinen Speisekarte kein Mensch verhungern wird, ohne auch nur ein Deka Fleisch und frische Butter zu verzehren. Der erste gänzlich fleischlose Tag endete allgemein befriedigend, und erst die Tage der verringerten Fleischrationen und der Fettlosigkeit werden zeigen, ob sich die Köche den neuen Verordnungen vollkommen akkommodiert haben.

Ein fahrbares Theater an der französischen Front

Das Theater, das sich in 15 Teile zerlegen lässt, soll den Soldaten Heiterkeit bringen.

Neue Freie Presse am 25. Juli 1916

Viel Aufsehen erregt gegenwärtig in Paris das erste fahrbare Fronttheater, das vor seiner Abreise ins Kriegsgebiet in der französischen Hauptstadt ausgestellt ist. Wie bei allen kämpfenden Truppen sind auch bei den französischen Armeen Theater- und Kinovorstellungen hinter der Kampflinie eine der begehrtesten Zerstreuungen. Am besten durchgebildet und organisiert wurde dieses Kriegstheaterwesen im deutschen Kampfbereich, und die Leistungen des deutschen Theaters in Lodz und in Warschau, des deutschen Schauspiels und der Oper in Lille und der zahlreichen Theaterunternehmungen, die ständig das ganze Etappengebiet besuchen, wurden genügend gewürdigt, um noch einer Besprechung zu bedürfen. Eine neue Einrichtung in technischem Sinne stellt das französische Kriegstheater insofern dar, als seine Mitglieder nicht in den Ortschaften, die sie besuchen, Säle oder sonstige Räumlichkeiten beziehen, sondern sozusagen ihr eigenes Gebäude mit sich führen. Dieses transportable Feldtheater (…) besteht in der Hauptsache aus einem mit einer Rückwand, zwei Seitenwänden und einer Holzdecke versehenen Podium, der Bühne und einem aufstellbaren großen Zelt, dem Zuschauerraum. Der Einfachheit halber besteht die Szenendekoration nur in zwei Hintergründen, der eine ein Zimmer, der andere eine Landschaft darstellend. An den Bühnenbau können kleine Holzkammern angeschlossen werden, die den Darstellern als Garderobe dienen. Das ganze Theater ist in ungefähr 15 Teile zerlegbar, die auf zwei Automobilen transportiert werden. Wie der „Temps“ in etwas weitgehender Begeisterung über dieses neue Unternehmen bemerkt, wird das französische Kriegstheater als erstes Reiseziel die Gegend hinter Verdun aufsuchen, um den Ernst des Todes mit gallischer Heiterkeit entgegenzutreten und die Leiden der Soldaten in sorglosen Jubel zu verwandeln.

Probefahrt mit dem „Torpedoboot”

Der Reise um den Kontinent steht fast nichts mehr im Wege.

Neue Freie Presse am 24. Juli 1886

Das Torpedoboot „Habicht“, das von der Firma Schichau in Elbing für die österreichische Kriegsmarine hergestellt worden ist, hat, wie man uns aus Elbing telegraphiert, heute seine erste Probefahrt gemacht. Die Fahrt dauerte drei Stunden, und hat das Boot 21'77 Knoten in der Stunde zurückgelegt. Die contractlich herzustellende Geschwindigkeit beträgt 20'5 Knoten per Stunde. Die Probefahrt des zweiten in Elbing hergestellten Torpedobootes „Sperber“ dürfte morgen stattfinden, worauf beide Fahrzeuge, die bereits von österreichischen Officieren commandirt werden und mit österreichischen Matrosen bemannt sind, die Reise um den ganzen Continent herum nach Pola antreten werden.

Anmerkung: Die F. Schichau, Maschinen- und Lokomotivfabrik, Schiffswerft und Eisengießerei GmbH, kurz Schichau-Werke, existierte von 1837 bis 1945.

Ein Besuch im "Irrenhaus"

Ein Rundgang durch die Frauenabteilung in der Wiener Lazarettgasse.

Neue Freie Presse am 23. Juli 1906

Im Tanzsaale bei den Klängen der Musikkapelle lernte ich die Bewohner des düsteren Gebäudes der Lazarethgasse kennen. Nicht alle, nur diejenigen, deren Geist nicht völlig erloschen war und aus deren Wahn und Verworrenheit noch menschliche Gedanken, menschliche Gefühle lebendig zu sprechen. Ich sah Tänzerinnen, die vor Lust erbebten, Tänzer, die in Jauchzen ausbrachen; sie waren augenscheinlich von dem Gefühl beherrscht, daß diese Stunden der Freude bald verschwinden würden und deshalb umso stärker durchlebt werden müßten. (...) Der Eindruck dieses Abends ließ in mir das Verlangen entstehen, einen umfassenden Blick in diese Welt zu tun. Einer der Ärzte der Anstalt. Herr Dr- Probst, hatte die besondere Güte, auf meine Bitte mit mir einen Rundgang - nicht durch die gesamte Anstalt, was aus zufälligen Gründen nicht möglich war, aber durch die Frauenabteilung zu machen. (...)

In einer Reihe von Wohnzimmern fanden wir die Frauen und Mädchen teils lesend, teils mit Handarbeiten beschäftigt oder auch miteinander plaudernd. In manchen Gemächernübte es den Eindruck, als ob ihre Bewohnerinnen Besuch bekommen hätten und sich nun gemütliche Gespräche hier entwickelten. Weniger traulich war der Eindruck in einigen Schlafstuben, wo in allen Betten, obwohl es Tageszeit war, irrsinnige Frauen wachend lagen - eine Kurmethode, welche die Unruhe bannen soll. Die Gitter von ihren Betten, die zum Schutze gegen Ausschreitungen dienen sollen waren herabgelassen, ein Zeichen, daß dies nicht Leidende jener vorgeschrittenen und gefährlichen Art waren, die ich später zu Gesicht bekommen sollte.

In einem langgestreckten Zimmer, das ursprünglich wohl als Korridor diente, lernte ich solche Gestalten kennen. In drei großen Gitterbetten ruhten dort Weiber, deren Erscheinungen sich dem Besucher für das Leben einprägen. Die eine dieser Irrsinnigen zeigte, in dieLuft starrend, ein nameloses Entsetzen,als wenn unaufhörlich ein furchtbar bedrohendes Schreckgespenst vor ihr stünde. Die zweite heftete ihre Blicke mit finsterem, tödlichem Haß auf die Vorübergehenden, die ihr als grausame Feinde erscheinen mochten. Die dritte brütete stier und böse vor sich hin. (...)

Es sei hinzugefügt, daß bei den weiblichen Patienten die Geistesstörung zumeist durch Affekte hervorgerufen wird, in welche die Lebensstürme sie versetzt haben. Bei den Männern hat sie wohl zuweilen dieselben Ursachen, in überwiegendem Maße ist sie jedoch bei ihnen die Folge des Alkoholgenusses und mancher physischer Krankheiten.

Wien könnte “die erste Fremdenstadt der Welt” werden

Ein amerikanischer Politiker und Großkaufmann lobt die Stadt: Sie habe die besten Theater, die beste Musik, die beste Küche.

Neue Freie Presse am 22. Juli 1926

Der bekannte amerikanische Wirtschaftspolitiker und Großkaufmann E. Filene hat sich bei seinem letzten Wiener Aufenthalt über die Aussichten Wiens als Fremdenverkehrsstadt in folgender interessanter Weise geäußert: “Ich kann Ihnen eigentlich nicht sagen, warum ich mich in Wien so wohlfühle. Aber - was Sie gewiß interessieren wird - ich kann es Ihnen versichern, daß ich mich hier so zu Hause wie in keiner anderen Stadt Europas befinde. Gewiß: Auch andere europäische Städte haben viel Anziehungskraft. Aber Wien hat für den Fremden einen Zauber und eine Atmosphäre voll Freundlichkeit, die ich mit Ferienstimmung bezeichne und damit bewußt auf den Gegensatz zwischen Wien und den meisten anderen Großstädten, die auch dem Fremden gegenüber mehr kommerziell orientiert zu sein scheinen, hinweisen möchte. Wenn auch Wien jetzt nur die Hauptstadt eines kleinen Landes ist, so verfügt es doch über alle Einrichtungen, die es als Zentrum eines Reiches brauchte, hatte und hat. Wien ist gerüstet, Fremde zu empfangen,wie kaum eine andere Stadt und ist nach meiner Meinung dazu prädestiniert, die erste Fremdenstadt der Welt zu werden. Wien hat nach meiner Meinung die besten Theater,die beste Musik der Welt und last not least auch die beste Küche.

Eine “kühne Dame” erforscht Afrika

Mary French-Sheldon war “die zweite weiße Frau, die so weit in das Innere des dunklen Erdteils eindringt”.

Neue Freie Presse am 21. Juli 1891

Aus London wird geschrieben: Mrs. French-Sheldon, welche die afrikanischen Lorbeeren Stanley’s nicht ruhen ließen und die vor sechs Monaten eine Reise in das Innere Afrikas unternommen hat, traf gestern wieder in London ein. Die kühne Dame ist bis zu dem großen Kilimandscharo vorgedrungen und hat zahlreiche interessante, wenn auch nicht gerade gefährliche Abenteuer erlebt. In allen Gebieten, durch welche sie kam, wurde sie von den Häuptlingen und der Bevölkerung mit größter Höflichkeit empfangen und häufig mit wertvollen Geschenken bedacht. Hatte sie auch den Kilimandscharo wohlbehalten erreicht, so zog sie sich doch auf dem Rückwege durch einen Fall ernstliche Verletzungen zu, welche sie zwangen, ihre Reise auf mehrere Tage zu unterbrechen. Mrs. French-Sheldon, welche leiden und abgespannt aussieht, ist die zweite weiße Frau, welche so weit in das Innere des dunklen Erdteils eingedrungen ist. Die erste war bekanntlich Frau Rosa Holub, die ihren Gatten, den österreichischen Afrika Reisenden Dr. Emil Holub, auf dessen letzter Tour von Kapstadt bis zum Zambesi begleitet und die Strapazen und Gefahren dieser Expedition muthig ertragen hat.

Anm.: Nach ihrer Rückkehr aus Afrika schrieb die US-Amerikanerin Mary French-Sheldon (1847-1936) die Reisebeschreibung “Sultan to Sultan”, die zum Bestseller wurde. 1903 reiste sie ein zweites Mal nach Afrika.

Syphilis fordert zahlreiche Opfer im Heer

Eine Broschüre warnt: Soldaten mögen doch ihr Leben nicht mit der schrecklichen Lustseuche beflecken.

Neue Freie Presse am 20. Juli 1916

Noch im russisch-japanischen Krieg kamen auf einen Verwundeten zwei Kranke. Im gegenwärtigen Weltkrieg hat sich bei den Zentralmächten dieses Verhältnis glücklicherweise fast umgekehrt. Sind doch vor allem die gefürchteten Kriegsseuchen, wie Blattern, Typhus und Cholera, durch die systematische Durchimpfung der Soldaten zum größten Teile ausgeblieben. Doch zwei furchtbare Krankheiten fordern noch immer im Heere zahlreiche Opfer: Die Tuberkulose und die Lues. Eine persönliche Prophylaxe bei Tuberkulose im Felde ist wohl nicht gut möglich. Die meisten Erkrankungen an Lues aber könnten durch persönliche Maßregeln hintangehalten werden. Deshalb ist die über Anregung von Feldmarschallleutnant Erwin Edlen v. Mattanovich, Militärkommandant in Graz, herausgegebene Broschüre des Oberarztes Dr. Emanuel Freund: “Wie bewahrt Ihr euch vor Syphilis”, ein Mahnwort an Soldaten und junge Männer von verdienstlicher Bedeutung.

In packender und populärer Weise schildert Doktor Emanuel Freund die Gefahren der Krankheit. Sachgemäß werden die furchtbaren Folgen beim erkrankten Manne selbst, bei seinem Weib und Kind geschildert. Der Verfasser zeigt das Schreckbild einer Irrenanstalt, wo arme Narren mit metaluetischen Geisteskrankheiten ein tierisches Leben führen. Sehr treffend wird auch die Verführung geschildert, die unter allen möglichen Masken und Verkleidungen sich an den Soldaten herandrängt. Das Werkchen schließt mit einem feurigen Appell an unsere Krieger: Sie mögen doch das Leben, das der gnädige Himmel in den gefahren der Schlacht geschont hat, nicht mit der schrecklichen Lustseuche beflecken, zumal die Enthaltsamkeit bei gutem Willen leicht durchführbar sei. Der flott geschriebenen Broschüre ist die weiteste Verbreitung zu wünschen.

Automobile als Lokomotiven

Die Metamorphose ist keine sonderlich umständliche.

Neue Freie Presse am 19. Juli 1916

In diesem Kriege hat sich mehrfach der Fall ereignet, daß zu den vielfachen Verwendungen des Automobils eine neue hinzugekommen ist: jene als Lokomotiv. Man hat ein Auto, meistens einen großen starken Lastwagen, auf Schienen gesetzt und einen oder mehrere leichtere Güterwaggons angehängt. Die Metamorphose ist keine sonderlich umständliche. Man kann nämlich jedes normale Last- oder Personenauto in eine Lokomotive für Normalspur verwandeln, wenn man die Räder durch Eisenräder mit Flanschen versetzt. Wählt man hiebei für die Hinterräder kleinere Räder als früher, so erhält man eine kleinere Übersetzung, was das Anfahren usw. günstig beeinflussen wird. Um die nötige Adhäsion zu erzielen, wird der Wagenkasten des Lastwagens entweder voll mit Menschen besetzt oder mit schweren Gütern gefüllt. Die Betriebskosten stellten sich bei derselben zu befördernden Last auf viel weniger als die Betriebskosten mit einer Lokomotive mit zwei Mann Bedienung.

Rücktritt der französischen Regierung

Das Kabinett Briand-Caillaux blieb bei der Abstimmung über die von ihr geforderten Vollmachten zur Lösung der Wirtschaftskrise in der Minderheit.

Neue Freie Presse am 18. Juli 1926

Da die Regierung bei der Abstimmung über die von ihr verlangten Vollmachten in der Minderheit blieb, hat das Ministerium Briand-Caillaux demissioniert. Die Linksradikalen, die Sozialisten, die Kommunisten und die ganze Rechte stimmten gegen, nur der Rest des ehemaligen Kartells für die Regierung. Herriot, Painleve, Poincare werden als mögliche Chefs einer neuen Regierung genannt.

Ein unerhörtes Schauspiel in der französischen Kammer. Der Präsident ist gegen das Ministerium angetreten. Herriot hat in einer lebhaften, dramatisch gesteigerten Rede das Parlament beschworen, seine Prärogative nicht vermindern zu lassen, er hat die Gefahr für die Verfassung den Abgeordneten mit Flammenschrift vor Augen geführt. Briand hat geschickt und maßvoll erwidert, aber einem solchen mörderischen Stoß war er nicht gewachsen und so mußte sein zehntes Kabinett die Flagge streichen nach einer Arbeit, die nicht einmal einen Monat gedauert hat. Caillaux, dessen hohe Begabung, dessen großartiger Patriotismus jeder bewundert, der technisch sein Ressort wie kaum ein anderer beherrscht, hat trotzdem eine Eigenschaft gezeigt, die leider seine besten Ansätze zunichte macht, und diese Eigenschaft heißt: Überspannung. Er sieht den Dingen nüchtern, kalt und klar ins Gesicht, er glaubt, sie nach den Gesetzen der Logik, des Rationalismus behandeln zu können; aber dabei vergißt er manchmal die Psychologie, die natürliche Unvollkommenheit, die jedem menschlichen Plane anhaftet; er unterschätzt die Widerstände und verliert den Boden unter den Füßen.(..)

Denn es erwies sich das Seltsame, daß dieser tatkräftige Minister, dessen Energie, ja dessen Verwegenheit immer bewundert wurden, drei Wochen lang seine Stellung bekleidete, ohne dem französischen Volke ganz genau und konkret zu sagen, was er wolle. (..)

Aber da versuchte der Minister etwas, was dem geistigen Zustande von Frankreich nicht entsprach. Etr wollte genau so, wie dies in Belgien geschehen ist, absolute Vollmacht für die Sanierungsvorlagen, er wollte freie Bahn für seine Werke, ohne die langatmigen parlamentarischen Gespräche, ohne die hundertfachen Amendements, die schon dem letzten Finanzplan den Stempel des Vergeblichen aufgedrückt hatten. Klüger wäre es gewesen, nach dem Votum der Kommission vorerst zu stoppen, tastend das Terrain zu prüfen, wie weit die Majorität für eine solche Abdilation des Parlaments zu haben wäre, für eine solche Konzentration aller Gewalten in den Händen weniger Männer. (...)

Die ungeheure Welle der Finanzkrise hat Briand und Caillaux in die Tiefe gerissen. Es ist sehr schade um beide.

Attentatsversuch auf den britischen König

Ein Mann versuchte, im Londoner Hyde Park an den König heranzukommen, sein Vorhaben wurde aber sofort vereitelt.

Neue Freue Presse am 17. Juli 1936

König Eduard VIII. hielt gestern bei der Fahnenübergabe an das Garderregiment im Londoner Hydepark eine Ansprache, die von der stärksten Sehnsucht nach der Erhaltung des Friedens erfüllt ist und die überall mit der größten Sympathie aufgenommen werden wird. Ihre Bedeutung tritt um so mehr hervor, weil sie von einer so ausgeprägten Persönlichkeit und von dem Herrscher eines Weltreiches herrührt. Nach dem feierlichen Akte ereignete sich jedoch ein bedauerlicher Zwischenfall. Ein Mann suchte die angesammelte Menge zu durchbrechen und an den König heranzukommen, doch wurde sein Vorhaben sofort vereitelt. Er wird sich nun wegen des Tragens einer verbotenen Waffe, mit der Absicht, ein Menschenleben zu gefährden, zu verantworten haben. König Eduard VIII. hat nach dem aufsehenerregenden Intermezzo sein Tagesprogramm in gewohnter Weise erledigt. Nicht nur in Großbritannien, wo der Monarch zu den populärsten Persönlichkeiten gehört, sondern in allen Ländern und besonders in Österreich wird das Mißglücken des Attentatsversuches mit aufrichtiger Freude zur Kenntnis genommen.

Anm.: Der Attentäter, der Ire Jerome Brannigan, wurde zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.

Mitleid für die Blumenmädchen und Obstfrauen

"Haben wir in dieser Kriegsnot keine dringendere Forderung, als daß Naturblumen, Obst und Gemüse von einigen arbeitenden Frauen nicht mehr verkauft werden sollen?", fragt die "Presse".

Neue Freie Presse am 16. Juli 1916

Wir leben in einer Zeit schwerer wirtschaftlicher Sorgen. Jeder Staat und auch jede Stadt ist bestrebt, die Versorgung mit Lebensmitteln zu verbessern und die Armen und Bedürftigen vor dem äußerten Elend zu bewahren. Massenspeisungen werden veranstaltet, um den Hunger abzuwehren und durch Verbilligung der Nahrung dem Volke zu dienen. Die Monarchie und das Deutsche Reich sind wie in einer belagerten Festung, und wenn auch die gute Ernte Beruhigung schafft und die besten Hoffnungen für die Zukunft erweckt, sicher bleibt, daß jetzt weniger denn je der Zeitpunkt gekommen ist, die Kleinen und Kleinsten zu drücken und ihnen den kärglichen Unterhalt, den sie sich mühevoll und ehrlich erworben haben, abzuschneiden.

Wir möchten das Mitleid für die armen Frauen wachrufen, die nun beinahe Jahr für Jahr, wenn der Sommer kommt, vor der Gefahr stehen, plötzlich brotlos zu werden und ihr Gewerberecht zu verlieren. Tun sie denn wirklich so verwerfliches? Ist es wirklich nötig, sie zu quälen und die Zeit, wo Obst und Blumen das Auge erfreuen, dazu zu benützen um sie zu verschüchtern und in ihrer Lebenssicherheit zu stören? Haben wir wirklich in dieser Kriegsnot keine dringendere Forderung, als daß Naturblumen, Obst und Gemüse von einigen arbeitenden Frauen nicht mehr verkauft werden sollen? Wahrlich ist es kein leichter Dienst, Stunden um Stunden auch in glühender Hitze auf der Straße zu stehen , mit schwerer Last um den Leib, oft ohne die Möglichkeit, sich zu schützen und auszuruhen. Denn das ist ja ihr Brandmal, das sie von der Bevorzugten, von der Seßhaften ausschließt: sie haben keinen Stand, sie üben, wenigstens nach der Vorschrift, im Umherziehen ihr Gewerbe aus. Deswegen ist der Kampf wider sie entbrannt. Deswegen soll ihnen der Verdienst weggenommen werden und wir sehen, wie in dieser Zeit, wo so viel Grausames geschieht und Millionen sterben und ihre Gesundheit verlieren, doch auch die Härte im Wirtschaftsleben, der Druck des Kleinen auf den Kleinsten nicht verschwindet. (…) Das Leben ist hart und grausam genug, es soll nicht ohne Notwendigkeit noch einige arme Menschen mehr vernichten.

Woher ärztliche Hilfe im Sommer nehmen?

Was soll man tun, wenn Ärzte auf Reisen sind oder am Lande verweilen?

Neue Freie Presse am 15. Juli 1906

Aus dem kreise unserer Leser kommt uns eine Anregung zu, welcher eine gewisse Berechtigung nicht abgesprochen werden kann. Ist es schon in normalen Zeiten – heißt es in der betreffenden Zuschrift – zu gewissen Stunden recht schwer, bei plötzlichen Erkrankungen, wo sofortige ärztliche Hilfe dringend notwendig ist, diese sofort zu finden, so steigert sich diese Schwierigkeit in den Sommermonaten mitunter zu einer Kalamität, da zahlreiche Aerzte sich auf Erholungsreisen begeben, viele andere in der Nähe von Wien Sommeraufenthalt nehmen und nur zur Absolvierung der Visiten bei den in ihrer Behandlung stehenden Kranken in die Stadt kommen. So kann es geschehen, daß durch vergebliche Nachfragen in den Wohnungen abwesender Aerzte eine für die Patienten kostbare Zeit verstreicht und dadurch eine nicht mehr gutzumachende Gesundheitsschädigung eintritt. Diesem Uebelstande könnte zum Teil wenigstens, dadurch abgeholfen werden, daß in den Apotheken Verzeichnisse der auch während des Sommers ständig anwesenden Aerzte aufgelegt werden.

Von ärztlicher Seite wird uns über diese Angelegenheit geschrieben: Es ist ja richtig, daß es mitunter – ganz besonders gilt dies von den Vormittagsstunden – schwer fällt, einen Arzt zu sofortiger Hilfeleistung zu bekommen; allein man überschätzt wohl die wirtschaftlichen Verhältnisse der Aerzte, wenn man glaubt, daß es zahlreichen Aerzten möglich ist, auf dem Lande zu wohnen oder auf Reisen zu gehen. Das ist nur bei einem so geringen Bruchteil der Fall, daß dadurch die Erreichbarkeit ärztlicher Hilfe gewiß nicht wesentlich erschwert wird. Ein Verzeichnis der Aerzte liegt in jeder Apotheke auf, jeder der gebräuchlichen Kalender enthält ein solches: es Tag für Tag in Evidenz zu halten, ist freilich nicht möglich; es muss aber daran erinnert werden, daß jeder Arzt, welcher auf kurze Zeit sein Domizil verläßt, für die Zeit seiner Abwesenheit einen Vertreter bestellt. Es könnte ja an die Einführung eines ärztlichen Permanenzdienstes gedacht werden: man braucht aber nur die enorme Ausdehnung unserer Stadt zu berücksichtigen, um diesen Gedanken sofort wieder abzugeben; es ist wegen der enormen Kosten schlechtweg undurchführbar. In den meisten Fällen des sofortigen Bedarfs ärztlicher Hilfe wird diese übrigens, wenn der zunächst wohnende oder der Hausarzt nicht zu erreichen ist, durch die stete Erreichbarkeit eines städtischen oder eines Polizeiarztes zu erlangen sein. (…) Es liegt eben im Wesen aller menschlichen Einrichtungen, daß sie absolute Vollkommenheit nicht erzielen können.

“Ausartungen der weiblichen Natur” in England

Englische Frauen fordern die Fortsetzung des Krieges. Die “Presse” ortet “abstoßende Unweiblichkeit”.

Neue Freie Presse am 14. Juli 1916

Frauen in England für die Verlängerung des Krieges. Frauen wollen am Samstag in der nächsten Woche auf dem Gelände der Themse sich versammeln. Von Bannerträgern geleitet, mit wehenden Fahnen, unter Hörnerklang und Trommelschall wollen sie durch die Straßen in den Hydepark ziehen und dort beschließen, daß der Krieg bis zur Vernichtung des Feindes geführt werden müsse und daß ein Friede durch gegenseitige Verständigung unzulässig sei. Deutschland müsse auch wirtschaftlich zugrunde gerichtet werden, und die Regierung habe die Pflicht, den Kampf mit noch größerem Aufwande von Kräften fortzsetzen und die Dienste der Frauen in den Werkstätten für Geschosse in Anspruch zu nehmen. An solchen Ausartungen der weiblichen Natur können wir nicht schweigend vorübergehen, weil sie manches erklären, was zu den Erlebnissen dieses Krieges gehört, und weil uns in solcher Denkweise und in solchen Handlungen etwas Fremdartiges entgegentritt, zu dessen Verständnis die bisherigen Erfahrungen wenig zu sagen haben. (...)

Die Roheit, daß Frauen in öffentlichen Aufzügen den Wunsch kundgeben, der Krieg müsse bis zur Vernichtung des Feindes verlängert werden, und daß kein Friede zulässig sei, den England nicht willkürlich dem deutschen Volke auferlegen könne; diese abstoßende Unweiblichkeit, diese auf der Gasse zur Schau getragene Gemütslosigkeit sind Merkmale ernster Verwilderung.

Unsicherheit in Hütteldorf

Die Polizei scheint ihres Amtes nicht in dem Maße zu walten, als es nötig wäre.

Neue Freie Presse am 13. Juli 1876

Die Klagen über die Unsicherheit in der so stark besuchten Sommerfrische Hütteldorf mehren sich in auffallender Weise. Bereits zwei größere Einbruchsdiebstähle hatten wir in den letzten Wochen zu registrieren, und neuerlich erfolgten mehrfache Einbruchsversuche bei dem in der Dornbacherstraße wohnhaften Major v. Wayer. Daß derlei Vorkommnisse sich gerade in Hütteldorf alljährlich wiederholen, scheint denn doch darauf hinzudeuten, daß die Localpolizei ihres Amtes nicht in dem Maße waltet, als dies zum Schutze des Einenthums erforderlich ist. Im Interesse der Gemeinde selbst, der bisher ein so starkes Contingent von Wienern zuströmte, erscheint es dringend geboten, gegen das Vagabundenwesen energisch einzuschreiten oder, wenn die localen Mittel nicht ausreichen, die Unterstützung competentenorts zu erbitten.

Kapitän Dreyfus endgültig freigesprochen

Nach zwölf Jahren des Kampfes hat der Kapitän seine volle Rehabilitierung erlangt.

Neue Freie Presse am 12. Juli 1906

Nach zwölf Jahren des Kampfes hat Kapitän Alfred Dreyfus seine volle Rehabilitierung erlangt. Heute wurde vom Kassationshofe das Urteil über die Revision des Prozesses gefällt. Das Urteil des Kriegsgerichtes von Rennes, mit welchem Dreyfus am 9. September 1899 zu zehn Jahren Kerkers verurteilt worden ist, wurde heute vom Kassationsgerichtshof annulliert und Dreyfus vollkommen freigesprochen, ohne daß, wie es bei der vorherigen Revision der Fall war, ein neues Kriegsgericht zu urteilen berufen wäre. Der Urteilspublikation ist mit größter Spannung entgegengetreten worden. (…)

Mit lauter Stimme verlas Präsident Ballot-Beaupré das Urteil. Die Zuhörerschaft folgte der Verlesung des sehr umfangreichen Dokuments mit tiefgehender Bewegung und atemloser Spannung.

Anmerkung: Am 15. Oktober 1894 wurde der Hauptmann im französischen Generalstab, Alfred Dreyfus, unter dem Verdacht des Landesverrats verhaftet. Am 12. Juli 1906 wurde er freigesprochen und zehn Tage darauf zum Ritter der Ehrenlegion geschlagen.

Ein deutsches U-Boot in Baltimore

Die „Deutschland“, das erste Unterseeboot, das den Atlantik durchquerte.

Neue Freie Presse am 11. Juli 1916

Das Reutersche Bureau meldet: Die Blätter veröffentlichen ein Telegramm aus New York, in dem gemeldet wird, daß ein deutsches Unterseeboot mit einer wertvollen Ladung Farbstoffe in Baltimore angekommen ist. Zwanzig Meilen von der Küste wurde das Unterseeboot von britischen und französischen Kreuzern verfolgt, wodurch seine Ankunft vier Tage verzögert wurde.

Anmerkung: Die erste Reise des U-Boots „Deutschland“ startete am 16. Juni 1916 in Wilhelmshaven. Es transportierte Farbstoffe, pharmazeutische Präparate sowie Bank- und Diplomatenpost und erreichte Baltimore am 9. Juli 1916. Die „Deutschland“ war damit das erste U-Boot, das den Atlantik durchquerte.

Geburt in der Straßenbahn

Glücklicherweise befand sich im Wagen eine Krankenschwester.

Neue Freie Presse am 10. Juli 1916

Eine Frau, die sich von ihrem Arbeitsorte, dem Zentralfriedhofe, direkt in die Gebäranstalt begeben wollte, wurde auf der Strecke Schwarzenbergplatz-Bellaria von Geburtswehen befallen; das Publikum wurde gebeten, den Wagen zu verlassen, der Wagen wurde bei der Bellaria außer Betrieb gesetzt. Glücklicherweise befand sich zufällig im Wagen Schwester Marie Auer, eine Krankenschwester des Zentralvereins für Hauskrankenpflege (unentgeltliche häusliche Pflege für armer Kranker) für Wien und Niederösterreich, 4. Bezirk, Prinz Eugenstraße Nr. 18, die eine geprüfte Hebamme ist, mit deren umsichtiger Hilfe die Frau eines gesunden Knaben genas. Die Krankenschwester fand beim Publikum sichtliche Anerkennung.

Reliquien des Kronprinzen Rudolf

Neue Freie Presse am 9. Juli 1896

Der Sohler Bischof Karl v. Rimely, einst der Erzieher und Lehrer des verstorbenen Kronprinzen Rudolf, besitzt sehr viele interessante Reliquien aus dem Nachlasse des Kronprinzen. Es befinden sich darunter die stylistischen Aufgaben, geschichtliche Notizen, die Lehrbücher und Studienzeichnungen des Kronprinzen. Diese Reliquien sollen nunmehr, wie uns aus Budapest berichtet wird, der im National-Museum veranstalteten Missions-Ausstellung einverleibt werden, deren Reinerträgnis zum Vesten jener Votivkirche bestimmt ist, die zur Erinnerung an den Kronprinzen in Klein-Pest erbaut wird.

Anmerkung: Kronprinz Rudolf von Österreich-Ungarn starb am 30. Jänner 1889 auf Schloss Mayerling. Er dürfte sich durch einen Schuss in den Kopf das Leben genommen haben. Die 17-jährige Baroness Mary Vetsera starb ebenfalls dort. Der Verlauf der Nacht ist bis heute ungeklärt.

Das Wiener Amalienbad wird eröffnet

Die Körperkultur soll “in die breitesten Massen des Volkes dringen”.

Neue Freie Presse am 8. Juli 1926

Heute vormittag fand die feierliche Eröffnung des Amalienbades statt. In Favoriten hatten sich aus diesem Anlasse in der Umgebung des Reumannplatzes, wo dieses kommunale Hallenbad steht, große Mengen Neugieriger eingefunden. Die Straße und Fassaden der Häuser prangten im Flaggenschmuck. Vor dem Amalienbad hatten dienstfreie Straßenbahner, Mitglieder des Republikanischen Schutzbundes und Vertreter der Organisationen des zehnten Bezirkes Aufstellung genommen. Unter den Festgästen befanden sich in Vertretung der Regierung Vizekanzler Dr. Waber, als Stellvertreter des Polizeipräsidenten Polizeidirektor Pichler, sämtliche Bezirksräte von Favoriten, sämtliche sozialdemokratischen Gemeinderäte und zahlreiche sozialdemokratische Abgeordnete. Besonders wurde Abgeordneter Pölzer, nach dessen verstorbener Gattin das Bad benannt ist, begrüßt. Die Leitung der Festlichkeit besorgte Obermagistratsrat Dr. Firesch mit großem Geschick.

Auf die Begrüßungsansprache erwiderte Bürgermeister Seitz: Wenn man beanstandet habe, daß dieses Bad weit draußen an der Peripherie des Bezirkes gelegen ist und in die Umgebung alter Häuser nicht passe, so sage er, daß man mit Absicht das Bad dorthin verlegt habe, um die moderne Art der städtischen Wohnbauweise der alten gegenüberzustellen und in dem Kreise von Bauten, die dem ästhetischen Empfinden von heute nicht mehr entsprechen, ein Stück Schönheit hineinzusetzen. Dann aber auch deshalb, weil die Körperkultur in die breitesten Massen des Volkes dringen muß. Die Erkenntnis der Bedeutung von Licht und Wasser hat sich bereits in allen Schichten der Bevölkerung stark verbreitet und die Zeit ist vorüber, wo es Menschen gab, für die ein Bad ein Luxus war. Nach verschiedenen Musikvorträgen folgten die Festgäste dem Bürgermeister zur Besichtigung des Bades.

Österreich-Ungarn verhängt Grenzsperre gegen Serbien

Mit 7. Juli werden gegen serbische Provenienzen die autonomen Zollsätze angewendet.

Neue Freie Presse am 7. Juli 1906

Morgen sollen in Wien und Budapest gleichlautende Verordnungen verlautbart werden, in welchen verfügt wird, daß vom 7. Juli ab gegen serbische Provenienzen die autonomen Zollsätze angewendet werden. (…) Über die Ursachen, welche die Regierungen Oesterreichs und Ungarns zur Verhängung der Grenzsperre gegen Serbien und zur Anwendung der autonomen Zölle veranlaßt haben, wird folgende Mitteilung verlautbart:

Die serbische Regierung hat in ihrer Antwortnote die für die österreichisch-ungarische Einfuhr in Serbien verlangten Zollermäßigungen von der Genehmigung der Stupschtina abhängig gemacht und es ferner abgelehnt, die in ihrem Handelsvertrage mit dem Deutschen reiche vereinbarten Zölle für die Dauer des Provisoriums herabzusetzen. Was die Lieferungen angelangt, die sich nicht auf die Anschaffung von Geschützen und Munition beziehen, in jenen allgemein gehaltenen Zusagen, die bereits in dem serbischen Memorandum vom März I. J. enthalten waren. Selbst diese an sich nichts weniger als befriedigenden Zugeständnisse wurden serbischerseits an die Gewährung wichtiger, österreichisch-ungarischerseits unerfüllbare Gegenkonzessionen geknüpft. Da die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Provisoriums bis zum Zeitpunkte der Verhandlung unserer Tarifforderungen durch die Stupschtina die Gefahr in sich birgt, daß Serbien bis dahin einen großen Teil der wichtigsten Exportartikel Österreich-Ungarns , so namentlich für Baumwollwaren, durch die Weigerung Serbiens, die Zollsätze des deutsch-serbischen Handelsvertrages herabzusetzen, eine Verbesserung gegen früher nicht eintreten würde, muß die serbische Antwort als unbefriedigend bezeichnet werden.

Anmerkung: Am 7. Juli 1906 hat Österreich-Ungarn ein Import- und Transitverbot für Vieh, Geflügel und Agrarprodukte aus Serbien verhängt. Der Konflikt, der als „Zollkrieg” bzw. „Schweinekrieg“ in die Geschichte eingegangen ist, dauerte bis 1908 bzw. bis 1911.

Vulkan Stromboli ausgebrochen

Die Lava erreichte Wohnstätten und zerstörte und verbrannte sie.

Neue Freie Presse am 6. Juli 1916

Wie der “Römischen Tribuna” aus Messina gemeldet wird, ist der Vulkan Stromboli auf der gleichnamigen Insel in der Nacht vom 3. auf den 4. Juli ausgebrochen. Der Feuerschein war während der Nacht von der sizilianischen Küste sichtbar. Nachrichten von den Liparischen Inseln zufolge, ist der vom Ausbruch verursachte Schaden sehr groß. Die Lava erreichte die Wohnstätten und zerstörte und verbrannte sie. Die Behörden von Messina sandten Schiffe zur Hilfeleistung.

Elektrofahrzeuge sollen gefördert werden

In Wien konstituiert sich ein Verein, der die Öffentlichkeit über die Vorteile elektrischer Fahrzeuge aufklären soll.

Neue Freie Presse am 5. Juli 1916

Wir erhalten den Aufruf zur Gründung eines Vereines zugesandt, der den Titel “Volkswirtschaftliche Gesellschaft zur Förderung des Elektromobilverkehres” in Wien erhalten soll und dessen konstituierende Versammlung für Dienstag den 11. Juli 1916, 6 Uhr abends, im Sitzungsraume des Elektrotechnischen Vereines in Wien, 6. Bezirk, Theobaldgasse 12,  anberaumt ist. Als Proponenten zeichnen Otto Freiherr v. Czedik, dessen ausgezeichnetes Wirken für den Wiener, beziehungsweise k. k. Österreichischen Flugtechnischen Verein noch in aller Beteiligten Erinnerung ist, dann Direktor Ludwig Gebhard und Ingenieur Stephan Popper, dieser ein geschätzter Fachschriftsteller auf dem Gebiete des Automobilwesens und der Motorenkunde.

Zweck der “Volkswirtschaftlichen Gesellschaft zur Förderung des Elektromobilverkehres” ist, wie die Statuten besagen, die planmäßige Aufklärung der Öffentlichkeit und der interessierten Kreise über die Vorteile elektrischer Fahrzeuge und Transportmittel aller Art, die Förderung der Einbürgerung aller Typen des Elektrofahrzeuges.

Ein Gedenktag für alle Nationen der Erde

Hundertfünfzig Jahre nach der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung ist, was damals die Bürger Amerikas siegreich für sich erstritten, für viele ein noch unerfülltes Postulat und ein Ziel der Sehnsucht.

Neue Freie Presse am 4. Juli 1926

Der 4. Juli ist diesmal ein bedeutsamer Gedenktag für alle Nationen der Erde. Anderthalb Jahrhunderte sind verstrichen seit dem großen Ereignis der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, die nicht nur die Grundlage für den Aufbau des gewaltigen Reiches geworden ist, das die Vereinigten Staaten von Nordamerika darstellen, sondern die auch die Quelle wurde für die Anerkennung und Entwicklung der Menschenrechte des einzelnen und des Selbstbestimmungsrechtes der Volksgesamtheiten. Am 4. Juli 1776 hat der Kongreß von Philadelphia die Deklaration beschlossen, welche die großen Männer der amerikanischen Demokratie, vor allem ihr berühmter Führer Thomas Jefferson, der spätere Mitarbeiter und Nachfolger Washingtons, im Verein mit noch einigen anderen entworfen hatten. Gerade heute muß die Erhabenheit dieser Deklaration wieder besonders empfunden werden. Wohl hat ein Nachfahre jener bedeutenden Vorkämpfer für die politischen Rechte am Ausgang des Weltkrieges die Idee von 1776 in einer neuen Form aufgegriffen und den Kampf für das Selbstbestimmungsrecht der Nationen auf seine Fahne geschrieben, aber seither sehen wir Menschen-und Bürgerrechte ebenso wie das Selbstbestimmungsrecht der Nationen an vielen Punkten der Welt mehr als je zuvor geschändet und mißachtet. So ist nach hundertfünfzig Jahren, was damals die Bürger Amerikas siegreich für sich erstritten, heute für viele ein noch unerfülltes Postulat und ein Ziel der Sehnsucht. In der großen Krise der Demokratie blicken wir immer wieder mit Ehrfurcht auf Jefferson zurück, den “Vater der Demokratie”, dessen großartige Gestalt zusammen mit jener Hamiltons der amerikanischen und damit der menschlichen Freiheit überhaupt die Form gegossen hat. Der Gedanke an den 4. Juli 1776, an den großen Festtag des amerikanischen Volkes, ist für alle diese eine Stärkung der Hoffnungen für ihre eigene Zukunft.

Die Angriffsschlacht an der Somme

Die Zeitung berichtet von der nach siebentägiger Artillerievorbereitung am 1. Juli begonnenen Schlacht.

Neue Freie Presse am 3. Juli 1916

Eine der größten Schlachten dieses Krieges ist seit vorgestern an der Somme im Gange. Das weltgeschichtliche Ereignis ist, daß vorwiegend Engländer und Deutsche einander gegenüberstehen. Nicht wie in manchen früheren Abschnitten des Krieges ein Volksheer gegenüber einem Söldnerheere, sondern Bürger gegen Bürger.

England hat die allgemeine Wehrpflicht eingeführt, und mögen auch die jetzt kämpfenden Truppen noch nicht vollständig aus ihr hervorgegangen sein, so haben durch andere Formen des Zwanges so viele sogenannte Freiwillige unter die Fahnen gebracht, daß die britischen Streitkräfte in der Zusammensetzung und im gesellschaftlichen Ursprunge sich wesentlich von früheren Söldnern unterscheiden. Es sind Nationen, die miteinander ringen, und viel edles Blut fließt auf beiden Seiten. Völker, aus deren männlicher Auffassung des Lebens, aus deren Ernst und Tüchtigkeit hohe, für die Menschheit unentbehrliche Kulturen sich entwickelt haben, stoßen aufeinander in einer Schlacht, von der die Entente zu hoffen scheint, daß sie die von ihr ersehnte Wendung des Krieges herbeiführen werde.

Anmerkung: Mit über einer Million getöteter, verwundeter und vermisster Soldaten war die Schlacht an der Somme (1. Juli bis 18. November 1916) die verlustreichste des Ersten Weltkriegs. Sie wurde abgebrochen, ohne eine militärische Entscheidung herbeigeführt zu haben.

Ein indischer Bub begeistert die Londoner Society

Ein künftiger Filmstar wird in den Londoner Salons “mit Süßigkeiten gefüttert”.

Neue Freie Presse am 2. Juli 1936

“Kommen Sie zur Garden Party der Mrs. X? Der kleine Sabu Dastagir wird auch dort sein.” Wird diese Attraktion in Aussicht gestellt, so darf Mrs. X einen besonders lebhaften Besuch ihrer Garden Party erwarten. Denn der vierzehnjährige Inder Sabu Dastagir, schmal, geschmeidig, dunkeläugig, den buntgestickten Turban um den Kopf geschlungen, ist nach einem Bericht englischer Blätter rasch zu einem Liebling der Londoner Salons geworden. Man füttert ihn mit Süßigkeiten, reicht ihn von Hand zu Hand und läßt sich von ihm in seinem drollig holprigen Englisch die Abenteuer seiner aufregenden Elfantenjagden erzählen. Denn der kleine Sabu Dastagir ist ein tollkühner Elefantenbändiger und seiner im Dschungel oft bewiesenen Verwegenheit hat er seinen gegenwärtigen Aufenthalt in London zu verdanken. Sabu Dastagir wird nämlich in London als Filmstar debütieren. Der Filmregisseur Robert S. Flaherty begab sich nach Indien, um einen geeigneten Darsteller für seinen neuen Film, “The Elephant Boy”, ausfindig zu machen.

Unter zwölf jungen Indern, die für die Rolle in Betracht kamen, fiel die Wahl auf Sabu, der eine Probe seines Mutes gab. Auf einem Elefanten thronend, ritt er durch einen mächtig angeschwollenen, reißenden Fluß. Das gewaltige Tier verlor den Boden unter den Füßen und begann zu schwimmen. Die hochaufspritzenden Wellen drohten Sabu von seinem Sitz wegzuschwemmen. Grausig klangen die Trompetenstöße des Elefanten, der mit den Wogen kämpfte und immer wieder in Gefahr geriet, vom Strom abgetrieben zu werden. Aber der kleine Sabu verlor nicht seine muntere Laune. Mit fröhlichen Zurufen ermahnte er den Elefanten, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, und unter dem stürmischen Beifall der Menge, die sich auf beiden Ufern angesammelt hatte, kam er ans Land.

In den Londoner Salons will man sogar wissen, daß Sabu auch schon jenes lebensgefährliche Abenteuer bestanden habe, das Rudyard Kipling in seinem Dschungelbuch geschildert hat: einen Ritt zu jenem sagenhaften “Tanzplatz der Elefanten”, der sich im verborgenen Dschungel befindet und den der Legende nach in Vollmondnächten die Elefanten aufsuchen, um ihn in wilden rhythmischen Bewegungen zu zerstampfen. Sabus Filmpartner ist der Elefant Jrawatha.  Mrs. Anne Bairley, eine wegen ihres exzentrischen Geschmacks bekannte Dame, äußerte kürzlich die Absicht, zu einer Tea Party in ihrem Garten nicht nur Sabu, sondern auch den Elefanten Jrawatha einzuladen. Sie ist um ihre Blumenbeete keineswegs besorgt. “Wenn Sabu dabei ist”, sagte sie, “wird der Elefant keinen einzigen Grashalm zertreten.”

Anm.: Nach “Elefanten-Boy” (wie der Film auf Deutsch hieß) spielte Sabu Dastagir unter anderem in “Der Dieb von Bagdad” und “Das Dschungelbuch” mit. 1944 wurde er US-Staatsbürger, 1963 starb er mit erst 39 Jahren. Er hat einen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame.  

Österreich als armer europäischer Vetter

Die Zeitung schreibt gegen die "moralische Verschlampung, die sich oft Gemütlichkeit nennt" an.

Neue Freie Presse am 1. Juli 1906

Etwas krabbelt seit heute früh in der Kehle. Natürlich der Wettersturz, ein Schnupfen, der die behagliche Empfindung der kühleren Luft stört. Nein, was dort bohrt, würgt und sentimental stimmt, kommt aus einer dummen Gewohnheit, die nicht abzulegen ist und den Menschen so töricht macht, daß er, in der politischen Einsamkeit versonnen und verloren, kaum sich selbst verständlich bleibt. Es muß wohl im Blut stecken, vielleicht in den Fehlern der Erziehung, und der Himmel weiß, in was noch, daß wir den Bettelstolz nicht ablegen und den Gedanken nicht vertragen können, der arme Vetter in der europäischen Staatenfamilie zu sein, sogar von Nachbarn überflügelt, die früher weit hinter uns zurückgeblieben sind.

Italien hält sich für zu gut, um seinen Gläubigern noch länger vier Prozent zu geben und will nach einem fünfjährigen Uebergang nur dreieinhalb Prozent zahlen. Italien dreieinhalb! Wie grenzenlos albern, sich von einem solchen Rufzeichen den Tag verderben und den Kopf einnehmen zu lassen. Dennoch muß die Nachricht den tiefsten Eindruck auf jeden machen, der nicht verlernen will, die Ansprüche auf die Geltung seines Landes in der Welt, nach ernsten Zielpunkten zu richten. Oesterreich vier Prozent, Italien dreieinhalb Prozent! War die Schlacht von Adua mit ihren Folgen, mit den wirtschaftlichen Zusammenbrüchen, Rentenbesteuerungen, Krachen nicht gestern? Damals war Italien, verglichen mit Oesterreich, weit zurückgeworfen worden, und jetzt wird sein Kredit zu einer höheren Rangstufe steigen, und wir bekommen deutlich zu fühlen, was uns der Wahnsinn des ewigen Ausgleichs kostet.

Auch die moralische Verschlampung, die sich oft Gemütlichkeit nennt, schützt nicht gegen die Wirkung des einfachen Vergleichs von vier mit dreieinhalb. Es nützt wenig, sich gleichgiltig zu stellen und so zu tun, als wäre in der Haut nichts zu spüren, wenn Oesterreich unter sämtlichen westlichen Staaten ganz allein mit seinen vier Prozent zurückbleibt. Da legt uns das Schicksal rücksichtlsos die Rechnung vor und schiebt Oesterreich in die hintere Reihe, jetzt zeigt sich die gerechte Verteilung der Geschichte für die Grausamkeit, mit der diese Monarchie gemartert und herabgebracht wurde. Wenn ein Staat auf sich hält, muß er fühlen, daß zwischen vier und dreieinhalb Prozent auch sein politischer Kredit liegt.

Unerhörte Angriffe gegen die höhere Beamtenschaft

Seitens des Obmannes der sozialdemokratischen Beamtengewerkschaft.

Neue Freie Presse am 30. Juni 1926

Die Sektionschefs und die Ministerialräte sind an allem schuld! Das ist der Tenor einer Rede, die Sonntag der Obmann der sozialdemokratischen Gewerkschaft der Bundesangestellten gehalten hat und die so erfüllt war von Gehässigkeiten der ärgsten Art, daß es nötig ist, besonders auf sie aufmerksam zu machen und ihren rüden Ton und ihre demagogischen Tendenzen auf das Entschiedenste zurückzuweisen. Herr Tanicki, der ehemals Zollbeamter war, hält es für richtig, als Sprecher des Bundes der öffentlichen Angestellten, wie seine Organisation heißt, geradezu den Kampf gegen die Bureaukratie zu predigen und eine Trennungslinie zu ziehen zwischen den niederen und mittleren Beamten auf der einen Seite und den höheren auf der anderen. Diese letzteren, die Sektionschefs und die Ministerialräte, sind die eigentlichen Machthaber, ihr hervorstechendes Merkmal ist der Katzentritt, und alles, was aus den Ministerin kommt, es ist nicht klar, was Herr Tanicki damit meint, wird von ihnen nur ausgeheckt, um ihre Macht zu erweitern. Sie haben sich in der Zeit des Umsturzes verkrochen, aber nachdem sie nach Ansicht des Herrn Tanicki diese Probe der Feigheit abgelegt hatten, sind sie nun frecher geworden denn je. Sie wickeln die Minister ein und sabotieren alles.

Wir denken gewiß nicht daran, die strenge Scheidung, die in dieser lieblichen Rede vorgenommen wird, mitzumachen und den mittleren und kleineren Beamten ihre Bedeutung für den Staat abzusprechen. Jeder, der an welcher Stelle immer seine Pflicht erfüllt, tut es heute im Dienst des verarmten österreichschen Staates, der seine Angestellten nur ungenügend zu entlohnen vermag, aus einem Pflichtgefühl heraus, das ein wichtiges Aktivum für die Gemeinschaft darstellt. Aber welche Gesinnung spricht aus dem Bestreben, einer ganzen Kategorie von Beamten gewissermaßen die Ehre abzuschneiden, und welche Auffassung von Standesgefühl ist es, wenn ein ehemaliger Beamter, der einer großen Vereinigung vorsteht, die höchsten Angestellten der Staatsverwaltung mit solchen Beschuldigungen bedenkt und dadurch ihre Untergebenen gegen sie aufhetzt und die Disziplin untergräbt? Gerade unter den höheren und höchsten Beamten sind sehr viele, die nach einem Leben der Arbeit in ihren jetzigen verantwortungsvollen Stellen sich kaum eine Muße gönnen, nie nach der Zahl der Arbeitsstunden fragen, die sie über dem Studium ihrer Akten in den Ministerien verbringen. Es ist eine groteske und traurige Verdrehung, diese Männer, die zu den besten Kreisen des österreichischen Bürgertums zu zählen sind, deren Familien oft seit Generationen dem Staat in uneigennütziger Weise gedient haben und deren Häuslichkeit wohl meist den Reichtum geistiger Interessen, kaum je aber materielle Reichtumer offenbart, als Feinde des Staates hinzustellen, während gerade sie in Wahrheit mit zu seinen stärksten Stützen gehören.

Heute vor 100 Jahren: Am Beginne des 24. Kriegsmonats

Die Rede des Grafen Stephan Tisza im ungarischen Reichstage.

Neue Freie Presse am 29. Juni 1916

Das zweite Jahr des Krieges wird bald vollendet sein. Zwei Jahre, die aus der Jugend von nahezu ganz Europa jeden zehnten Mann gekostet haben. Gräber sind auf den weiten Strecken von der Nordsee bis zu den Dardanellen und zum Kaukasus ausgeschaufelt worden. Millionen wurden vorzeitig in die Erde gebettet; viele einsam am Saume eines Waldes oder auf den Höhenzügen eines Gebirges, fern von der Heimat und von den Angehörigen, die zuweilen nicht einmal den Trost haben, daß ihre Tränen auf den Rasen niedertropfen und daß ihre zitternde Hand die Ruhestätte mit einigen Blumen schmückt. Wenn die Schmerzen, welche diese zwei Jahre den Menschen bereitet haben, zusammengetragen und aufgehäuft werden könnten, würde die Spitze höher sein als die höchsten Gipfel. Verarmung der Staaten und jähe Bereicherung einzelner Schichten, mühselig erhaltenes wirtschaftliches Gleichgewicht und harte Entbehrungen in den Mittelständen und daneben das Aufschäumen des neuen Geldes, das Hervorbrechen schlechter Instinkte an die Oberfläche waren die gesellschaftlichen Eindrücke der schweren Zeit. Die Erhabenheit, aber auch die Niedrigkeit der menschlichen Natur hat sich gezeigt, wie stets in großen Krisen, in denen der Adel der Seele sich rascher als sonst entfaltet, aber auch der Bodensatz durch die Erschütterung aufgerüttelt wird.

Am Beginne des vierundzwanzigsten Kriegsmonats können wir trotzdem sagen, daß der stärkste Eindruck aus dem Volke gekommen ist, aus der Opferwilligkeit, der Güte und der Zähigkeit der Namenlosen, die im Felde oder im Hinterlande zu einem Heldentum emporgewachsen sind, welches das gewaltigste Erlebnis dieser zwei Jahre ist. Vor dem Volke, das solches vollbracht und erduldet hat, werden die Geschichtsschreiber sich in Ehrfurcht neigen. Der schönste Ruhm gebührt ihm, gehört allen, die früher, gebunden durch Gewohnheit, ihr einfaches Tagewerk verrichtet haben und, da es nötig wurde, in der Gesamtheit sich über die enge Pflicht erhoben und groß waren.

Wiener Luft - besser als ihr Ruf?

Ärzte diskutieren über die Schädlichkeit von Großstadt-Luft.

Neue Freie Presse am 28. Juni 1896

Wir haben gestern ein Urteil des berühmten Berliner Klinikers, Geheimrathes von Lenden, über die Berliner Luft mitgetheilt, welches hier in Wien allgemeine Aufmerksamkeit erregen mußte. Lenden hat nämlich die Berliner Luft gegen den Verdacht, daß sie besonders den Lungenkranken unzuträglich sei, in Schutz genommen und versichert, daß die Berliner Luft allzu ungünstig beurtheilt wurde. Es komme nur darauf an, daß sie nicht allzu viel Staub enthalte. Aber die Luft am der Riviera und am Genfer See wimmle von Staub, ohne daß die Kranken sich dadurch abschrecken lassen. Ueberhaupt erklärte Lenden, daß er bezüglich der Heilkraft einer guten Luft ziemlich skeptisch sei. Gute Luft sei erfrischend, kühle Luft, Gebirgsluft, sei erquickend, aber sie gehöre nicht zu den besonderen Heilmitteln der Krankheiten.

Diese Aussprüche eines der berühmtesten Arzte der Gegenwart mußten natürlich das Publicum höchst überraschen. Widersprechen sie doch allen Anschauungen, welche die Laienwelt von den Einflüssen der Luft auf den gesunden und den kranken Körper hat! Uns uns in Wien drängt sich alsbald die Frage auf: Gilt das auch von der Wiener Luft? Wie ist es mit dieser bestellt? In Wien schreibt man doch die große Zahl der Opfer, welche die Tuberculose alljährlich noch immer fordert, hauptsächlich den verhängnisvollen Eigenschaften unserer Luft und namentlich den Einwirkungen des Wiener Staubes zu, der ihr beigemengt ist. Die Bekämpfung dieser Gefahren ist eine Lebensfrage für Wien. Wir haben uns deshalb an mehrere medicinische Autoritäten mit dem Ansuchen gewendet, uns ihre Meinung über die Außerungen Lenden’s im Hinblicke auf die sanitären Zustände in Wien mit Bezug auf die Wiener Luft mitzutheilen.

Auszug aus den Antworten: Ober-Sanitätsrath Dr. Gruber: “Daß speciell in Wien für Tuberculose ungünstigere Verhältnisse bestehen als in Berlin, hat darin seinen Grund, daß Berlin eben gelegen ist und daß dort die Windentwicklung - und damit auch die Staubentfaltung - eine weit geringere ist, als bei uns in Wien. Wenn nun also gute und reine Luft nicht gerade zu den besonderen und für Tuberculose geradezu unerlässlichen Heilmitteln zählt, so ist sie doch jedenfalls ein Factor, der die Heilwirkung hebt und fördert.

Hofrath Professor Dr. Drasche ist in allen Punkten gegenteiliger Ansicht als Lenden und beruft sich auf die Ergebnisse, welche die Untersuchung von Lungen solcher Arbeiter, die in ihren Betrieben Metall-, Glas- oder mineralischem Staub ausgelegt seien, ergaben. In allerdings entsprechend vermindertem Maße wirke aber der Straßenstaub in großen Städten auf die Athmungsorgane ihrer Bewohner.

Der Kaiser, der gesündeste Habsburger

Der Kaiser hat noch nie an Kopfschmerzen gelitten und  trinkt täglich bloß zwei Glas Bier und etwas schwachen Wein.

Neue Freie Presse am 27. Juni 1906

Aus Budapest wird uns gemeldet: “Magyar Nemzet” erhält auf Grund eines Gespräches mit dem Leibarzte des Kaisers, Hofarzt Doktor Kerzl, von einem Wiener Berichterstatter, Mitteilungen über die Lebensweise und den Gesundheitszustand des Kaisers. Wir entnehmen der Darstellung des erwähnten Blattes folgende Angaben: “Ich muß”, sagte Dr. Kerzl, “stets in der unmittelbaren Nähe des Monarchen sein. Ich weiß nicht, ob es nur Gewohnheit ist, aber Se. Majestät will den Arzt immer in seiner Umgebung haben. Ich erscheine jeden Morgen bei Se. Majestät, um mich über das Befinden zu erkundigen, und erhalte immer die Antwort: “Mir fehlt gar nichts.” Der Gesundheitszustand des Monarchen ist derzeit der denkbar beste. Se. Majestät gehört unter diejenigen Personen, die ein Menschenalter hindurch nicht einmal an Kopfschmerzen gelitten haben. Der Kaiser und der um drei ältere Erzherzog Rainer sind die gesündesten Habsburger. Bei keinem von beiden sind Erscheinungen des Alters wahrzunehmen. Allerdings erklärt sich dieses Wunder durch die Lebensweise des Monarchen. Der Kaiser, der ehedem täglich zehn bis fünfzehn Virginiazigarren rauchte, begnügt sich heute mit höchstens zwei Trabuco- oder leichten Havanazigarren. Er trinkt täglich bloß etwa zwei Glas Bier und etwas schwachen Wein. Er schläft viel, und namentlich wird darauf geachtet, daß er sich keine Erkältung zuzieht, besonders auf der Reise.”

Burschen wollen Mechaniker werden, Mädchen Verkäuferin

Die Berufswünsche der Wiener Schüler.

Neue Freie Presse am 26. Juni 1936

Am Ende dieses Schuljahres werden in Wien rund 20.000 Kinder aus der Schule entlassen. Wie der Berufsberater des Landesarbeitsamtes in Wien Hans Gammel mitteilt, sind die Berufswünsche der Knaben auf einige wenige Berufe gerichtet. Die Berufe Mechaniker, Verkaufspraktikant, Bäcker, Fleischhauer, Friseur und Elektrotechniker erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit. Es ist anzunehmen, daß hiebei neben der entwicklungsbedingten Neigung zu den technischen Berufen die soziale und finanzielle Lage des Elternhauses den Ausschlag gibt und bei größerem Notstand das Kind in Berufe drängt, in denen es beim Lehrherren auf Verpflegung und Quartier oder zumindest auf Verpflegung rechnen kann. (...)

Nach Mitteilungen von Berufsberaterin Helene Corradini suchten von etwa zehntausend aus der Schule austretenden Mädchen fast alle das Berufsberatungsamt auf. Die meisten Berufswünsche zielen auf Verkauf und Schneiderei hin, dann folgen Friseurin und Erziehungsberufe. Diesen Berufsgruppen streben viel mehr Mädchen zu, als später in ihnen tätig sein können.

Stoffvergeudung in der Damenmode

Neue Freie Presse am 25. Juni 1916

Von geschätzter Seite wird uns geschrieben: “Die Tyrannin Mode ist im Begriff, unseren Damen einen neuen Streich zu spielen und es ist unsere Pflicht, dem in der “Neuen Freien Presse” schon wiederholt durch die Infantin Maria von Draganza gegebenen trefflichen Beispiel folgend, sie davor zu bewahren. Man will sie verleiten, der Torheit der jetzigen Kleidermode (größte Stoffvergeudung zurzeit empfindlicher Wollknappheit!) die Krone aufzusetzen, indem sie im Herbst dem nicht allein weiten, sondern gleichzeitig auch langen Rock, einen weiten Schlepprock also, ihre Reverenz machen sollen. (...)

Wie begreiflich von Seiten der Franzosen und wie gänzlich unbegreiflich und sündhaft von unserer Seite. Aber, was geschehen ist, das läßt sich heute nicht mehr ändern, wie albern uns dies Nachäffen einer vom Feinde diktierten (ich sehe, ich bin unverbesserlich), unseren eigenen Interessen schnurstracks zuwiderlaufenden Kleidermode auch vorkommen mag und wie beschämend es auch immer ist, wenn sich im Kriege Frauen finden, die stolz und glücklich sind, so oft es ihnen gelungen ist, eine Toilette zu ergattern, die trotz der eingenähten Schweizer Firmenbezeichnung in Wirklichkeit doch aus einem Pariser Atelier stammt. (...)

Hoffen wir also, daß es der Tätigkeit einer patriotischen Presse, den Bemühungen unserer einsichtigen Damen und endlich der Umsicht unserer Behörden gelingen möge, die drohende Gefahr einer neuen vaterlandslosen Modetorheit rechtzeitig zu beschwören.”

Ein rücksichtsvoller Dieb

Wenn er in eine bessere Lage kommen sollte, werde er gewiß das Geld zurückschicken, schreibt der Täter.

Neue Freie Presse am 24. Juni 1896

Samstag Nachmittags wurde vom Hof- und Gerichtsadvocaten Dr. Adolph Flax aus seiner Wohnung, Praterstraße Nr. 13, eine goldene Remontoir-Uhr samt Kette und Medaillon im Werthe von 180 fl. Gestohlen. Am nächsten Morgen erhielt Herr Dr. Flax durch die Post ein Schreiben, welches den Pfandschein über die gestohlenen Werthgegenstände enthielt und mit den Worten begann: „Ich bin der Mann, was die Uhr gestohlen hat.“ Nachdem der Dieb sich so formell vorgestellt, theilt er dem Bestohlenen noch mit, er sei ein armer Familienvater mit vier Kindern und habe den Diebstahl ausgeführt, da er wisse, daß der Verlust Herrn Dr. Flax nicht schmerzlich treffen werde. Wenn er in eine bessere Lage kommen sollte, werde er gewiß das Geld zurückschicken. Wie erhoben wurde, ließ der Dieb die Preziosen durch einen Dienstmann in der Währingerstraße verpfänden, wobei er den Auftrag gab, einen kleinen Pfandschilling zu verlangen, damit er die Uhr leichter auslösen könne. Er erhielt in Folge dessen nur 63 fl. Und schickte sofort nach Erhalt des Geldes den Pfandschein mit dem erwähnten Briefe an den Bestohlenen ab.

Erste Weltkonferenz der Schauspieler

1926 scheint das an internationalen Konferenzen reichste Jahr des Jahrhunderts zu werden.

Neue Freie Presse am 23. Juni 1926

Ich weiß nicht, durch welche Merkmale sich in den Augen der zukünftigen Geschichtsschreiber das Jahr 1926 auszeichnen wird, vorläufig steht jedenfalls fest, daß es das an internationalen Konferenzen reichste Jahr des Jahrhunderts ist. Binnen wenigen Wochen wurden in den verschiedenen Teilen Europas internationale Polizei-, Esperanto-, Theater- und Literaturkritiker-, Studenten-, Frauen-, Schriftsteller- und sonstige Konferenzen einberufen. Am 12. Juni tagte in Paris ein internationaler Bühnenautorenkongreß, am 23. tagt ein Weltkongreß der Schauspieler in Berlin, im Herbst, ebenfalls in Berlin, der erste Kongreß der Sexualforscher. … Die Liste ist aber noch sehr unvollkommen – es wurden viel mehr Konferenzen abgehalten und unendlich mehr bereiten sich für dies gleiche Jahr vor. Manche sind Erstlingskongresse wie der der Schauspieler, die, dem Rufe der Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger und durch sie dem Rufe des deutschen Schauspielerkartells folgend, in einigen Wochen aus siebzehn Ländern in Berlin zusammentreffen werden, um verschiedene Fragen zu erörtern, unter anderen auch den Plan eines Welttheaters.

Heute vor 80 Jahren: Philosoph Schlick an der Uni Wien erschossen

Ein früherer Student ermordete den berühmten Professor Moritz Schlick auf der Philosophenstiege.

Neue Freie Presse am 22. Juni 1936

Heute in den frühen Vormittagsstunden wurde der ordentliche öffentliche Professor für Philosophie an der Universität Dr. Moritz Schlick von einem ehemaligen Schüler, dem Dr. phil. Johann Nelböck auf der Stiege zum philiosphischen Dekanat durch fünf Revolverschüsse getötet. Zu Beginn der Frühvorlesung, die Professor Schlick jeden Montag von 9 bis 10 Uhr im Hörsaale 41 abhielt, begab er sich wie gewöhnlich durch die Aula über die Philosophenstiege zum philosophischen Dekanat. Er ging allein in eiligem Tempo die zweite Hauptstiege hinauf. Als der Professor, der mitten unter Studenten und Studentinnen die Stiege hinaufschritt und ungefähr die zehnte Stufe erreicht hatte, sprang von links ein hochgewachsener junger Mann mit blonden Haaren einige Stufen vor, drehte sich rasch um, riß einen Revolver aus der Tasche und feuerte aus ungefähr drei bis vier Schritten Distanz etwa vier bis fünf Schüsse auf den knapp vor ihm stehenden Professor ab.

Professor Schlick schrie nach dem ersten Schuß, der ihn in die Herzgegend getroffen hatte, laut auf, warf beide Arme hoch und sank beim zweiten Schuß auf den Stufen der Treppe zusammen und fiel dann nochmals mit einem leisen Schrei nach rückwärts. Schon nach den ersten Schußdetonationen waren innerhalb weniger Sekunden die Treppen menschenleer. Der Attentäter Dr. Nelböck bleib auf dem ersten Podest der Treppe stehen, ließ den Revolver fallen und machte keinerlei Anstalten, sich zu entfernen, so daß, nachdem sich der erste Schreck gelegt hatte, zunächst zwei Studentgen und dann auch Wachebeamte ihn festnahmen und auf die Wachstube in der Universität bringen konnten. (...)

Dr. Nelböck, der nach seiner Verhaftung auf der Wachstube der Universität sofort einem Verhör unter Leitung des Hofrates Polizeihauptmann Dr. Schattl unterzogen wurde, gibt an, daß er sich seit Jahren durch Professor Schlick bedroht fühle. Er sei Schüler des Professors gewesen, habe sich aber nie recht mit seinen philiophischen Anschauungen identifizieren können und habe ein anderes philosophisches System vertreten. In der letzten Zeit habe er sich um eine Stelle als Lehrer an der Volkshochschule beworben, wurde aber dort abgewiesen. Er nahm nun an, daß diese Abweisung  auf Einspruch des ermordeten Professors zurückzuführen sei und habe, “nachdem er darüber nicht hinwegkam”, nach einer schlaflosen Nacht heute früh die Universität zu einer Zeit aufgesucht, von der er wußte, daß der Professor in diesen Stunden seine Vorlesung abhalte, um ihn zu töten. Er habe Professor Schlick zwar seit anderthalb Jahren nicht mehr gesehen, trotzdem aber immer noch unter seinen “Nachstellungen” zu leiden gehabt. Den Revolver habe er sich bereits vor mehreren Monaten gekauft, angeblich, um mit seinem Leben Schluß zu machen.

Anm.: Nelböck hatte Schlick bereits zuvor bedroht und wurde für mehrere Monate in die Psychiatrie eingewiesen. Er dürfte aus Eifersucht gehandelt haben. Später wurde der Mord an dem bekannten Philosophen als antisemitische Tat uminterpretiert, weshalb Nelböck 1938 von den Nationalsozialisten vorzeitig aus der Haft entlassen wurde.>> Mehr zu dem Fall

Neue Unruhen in Irland

Ein Gefängnis wurde gestürmt, Bahnverbindungen waren unterbrochen.

Neue Freie Presse am 21. Juni 1916

Aus Berlin kommt die Nachricht, daß in Irland neue Unruhen ausgebrochen sind. Die Sinn Feiner hätten von neuem Gewalttätigkeiten begonnen, ein Gefängnis überrumpelt und die Gefangenen befreit. Die Bahnverbindungen seien wieder unsicher geworden und zum Teil sogar abgebrochen. Es zeigt sich somit, daß der englische Plan, die Revolution gütlich zu beendigen, auf erhebliche Schwierigkeiten stößt. Asquith fuhr selbst nach Irland, um nach dem Rechten zu sehen. (...)

Die Sinn Feiner scheinen von dem Gedanken auszugehen, daß ihnen die Revolution trotz der Niederlage genützt habe, und daß sie daher nur noch mehr zu drängen brauchen, um vielleicht die volle Selbständigkeit zu erlangen. Man erlebt ja häufig, daß Nationen auch nach den ärgsten Ausschreitungen noch immer begünstigt werden, und daß einerseits ihre heftige Agitation verschüchtert und ängstlich macht, und andererseits eine zur Schau getragene Loyalität naturgemäß bei jenen, die sich gern täuschen lassen, lebhaften Anklang findet. Die irische Wunde ist jedoch nicht geschlossen, Sinn Fein lebt noch immer und England wird mit Unruhe nach dem Mißerfolge zur See, nach dem Tode Lord Kitcheners auf die Nachrichten aus Dublin horchen.

Anm.:  Im April 1916 hatten sich irische Nationalisten in Dublin die Republik ausgerufen. Der Osteraufstand wurde von den Briten mit aller Härte niedergeschlagen. >>Mehr dazu

Kriegserklärung an Österreich

“Preußen und Italien werden nun über Oesterreich gleich hungrigen Wölfen herfallen”, schreibt die Zeitung.

Neue Freie Presse am 20. Juni 1866

Fürwahr, es ist kein bloßer Zufall, daß der Moniteur des napoleonischen Kaiserreichs das erste und einzige Blatt in Europa ist, welches heute die Nachricht von der erfolgten officiellen Kriegserklärung Preußens und Italiens an Oesterreich veröffentlicht. Lange hat es gebraucht, viel unterirdische Arbeit hat es gekostet, bis die Dinge soweit gebracht werden konnten; aber endlich ist es gelungen, das napoleonische Frankreich kann nun leichter aufathmen, das Ziel seiner Sehnsucht ist erreicht, und der Moniteur kann die große Nachricht verkündigen, daß Preußen und Italien nun über Oesterreich gleich hungrigen Wölfen herfallen werden. (...)

Und deshalb sprechen wir es auch aus, daß das Erscheinen der Nachricht von der erfolgten officiellen Kriegserklärung Preußens und Italiens im französischen Moniteur nichts Zufälliges ist. Es hat diese Thatsache eine tiefe Bedeutung, und spiegelt sich in ihr die ganze Situation ab. Der Krieg, den Italien und Preußen uns erklärt, wird unter der Aegyde der “aufmerksamen Neutralität” Frankreichs geführt. (...)

Nun, der Moniteur verkündete heute Frankreich die freudige Botschaft, daß Preußen und Italien an Oesterreich den Krieg erklärt haben, und der blutige Kampf wird jetzt seinen Anfang nehmen. Sein Ende sehen wir heute noch nicht ab; allein, wenn der letzte Rest von Ehrlichkeit und Recht aus dem Verkehre gesitteter Nationen unter einander nicht verschwinden und Europa sich nicht in eine kannibalische Räuberhöhle verwandeln soll, so möge der Wunsch von Millionen in Erfüllung gehen und den gekrönten und nicht gekrönten Verschwörern und Uebelthätern die verrätherische Waffe aus den Händen geschlagen werden und über sie selbst ein wohlverdientes vernichtendes Strafgericht hereinbrechen. Das erfordert nicht blos die Gerechtigkeit, wenn es in der Geschichte fürderhin noch eine geben soll, das erfordert das namenlose Elend und die grauenvolle Verwüstung, welche dieser schreckliche Krieg über die reichsten und blühendsten Lande Europas verbreiten wird.

Wie soll Beethovens Grabmal aussehen?

Über die Optik wird verhandelt.

Neue Freie Presse am 19. Juni 1886

Die Gesellschaft der Musikfreunde hat – wie bekannt – sich mit dem Magistrat darüber geeinigt, bei der Errichtung des Grabdenkmals für Beethoven auf dem Wiener Central-Friedhofe die Form des ursprünglichen Grabsteines Beethoven's auf dem Währinger Ortsfriedhofe beizubehalten. Es sind nur unwesentliche Aenderungen beabsichtigt, und zwar, daß das Denkmal jenem, welches Kundmann im Auftrage des Männergesangs-Vereins für Franz Schubert ausführt, entsprechend, aber größer angefertigt und mit einer Widmungsinschrift versehen werde; ferner sollen die Bilder der Schlange und des Schmetterlings, als Emblem der Ewigkeit und Unsterblichkeit, wegbleiben und die Lyra durch Beethoven's Medaillonporträt ersetzt werden. Das Stadtbauamt ist eher, wie es heißt mit den geplanten Aenderungen nicht einverstanden; es wünscht, mit der Durchführung des Denkmals einen Architekten zu betrauen. Zu diesem Zwecke sollen neuerdings Verhandlungen zwischen dem Stadtbauamte und der Gesellschaft der Musikfreunde stattfinden.

Anmerkung: Das Ehrengrab des Komponisten Ludwig van Beethoven (1770 – 1827) befindet sich am Wiener Zentralfriedhof in der Gräber-Gruppe 32 A und hat die Nummer 29. Der Musiker war ursprünglich am Währinger Friedhof begraben, bevor seine Gebeine in das Ehrengrab überführt wurden. Nach langen Diskussionen wurde dort eine getreue Nachbildung des ursprünglichen Grabsteins errichtet. Heute gibt es deswegen zwei Grabmale des Musikers: an der ursprünglichen Grabstätte (heute im "Schubert-Park") und im Ehrenhain auf dem Wiener Zentralfriedhof.

Elektrische Tramway in Wien

Dr. Lueger stellt eine lange Reihe von Bedingungen.

Neue Freie Presse am 18. Juni 1896

Heute fand die politische Begehung der projectierten elektrischen Tramwaystrecke Wallgasse, Kaiserstraße, Blindengasse, Josephstädterstraße, Skodagasse, Alserstraße, Spitalgasse, Lazarethgasse, Alserbachstraße, Brigittabrücke, Wallensteinstraße, Rauschergasse, Nordbahnstraße, Praterstern, Kronzprinz-Rudolphstraße, Engerthstraße statt. Das Project sowie den geplanten Betrieb mit alleiniger oberirdischer Leitung, als auch die Betriebsmittel haben wir bereits am 31. Mai d. J. Ausführlich geschildert. Die Commune Wien war durch Dr. Lueger, Magistratsrath Linsbauer, Baurath Ehlers und Ingenieur Klose, außerdem noch durch Ausschüsse der einzelnen tangirten Bezirke, die Statthalterei durch Statthalterei-Commissär Haun, Ober-Ingenieur Krenn un dKLose, die General-Inspection der Stadtbahnen durch die Ober-Inspectoren Riebl und Löber, die Wiener Tramway durch Ober-Ingenieur Schmidt und die Neue Wiener Tramway durch Herrn Ullmann vertreten. Außerdem waren auch die Polizei-Bezirksleiter der einzelnen Bezirke anwesend. Dr. Lueger stellte hierbei namens der Commune Wien eine lange Reihe von Bedingungen unter denen der Anlage zugestimmt wird. Die wichtigste für die Bevölkerung ist, daß für die ganze Strecke das Ueberfüllungsverbot erlassen werde und die Gesellschaft sich unterwerfe, die Verfügungen zu befolgen, die sich nach den zu machenden Erfahrungen als nothwendig erweisen. Die Fortsetzung der Commission findet am Samstag statt, bei welcher Ober-Ingenieur Schmidt für die Tramway die Gegenerklärungen abgeben wird.


Anmerkung: Heute fahren in Wien 29 Straßenbahnlinien auf einer Gleislänge von 432,3 Kilometern durch die Bundeshauptstadt. Und bescheren Wien damit das sechstgrößte Straßenbahnnetz weltweit – hinter Melbourne, Sofia, Berlin, St. Petersburg und Moskau. Vorläufer der elektrischen „Bim“ war eine „behufte“. Konkret: Die „Privilegierte Kaiser-Franz-Joseph-Pferde-Eisenbahn“, die am 4. Oktober 1865 ihren Betrieb aufgenommen hat.

Ein Gendarm als Erpresser

Mithilfe zweier Briefe wollten sich ein Gendarm und seine Frau bereichern.

Neue Freie Presse am 17. Juni 1906

Aus Lemberg telegraphiert man uns: Der Gutsbesitzer Karl Ritter v. Podlewski in Chomianowka machte dem Czortkower Bezirksgerichte die Mitteilung, er habe ein anonymes Schreiben erhalten, in welchem er aufgefordert wird auf dem Postamte in Stanislau unter der Chiffre „Izy 002 m“ poste restante einen Betrag von dreitausend Kronen zu erlegen, widrigenfalls man gegen ihn die Strafanzeige wegen eines von ihm begangenen Verbrechens erstatten würde. Auf Veranlassung der Gerichtsbehörde übermittelte Ritter v. Podlewski dem Stanislauer Postamte unter der angegebenen Adresse ein Paket. Als am Mittwoch nachmittags am Postschalter ein Mann zur Abholung erschien, wurde er verhaftet. Es war der bei der Staatsbahn beschäftigte Kupferschmied und Realitätenbesitzer Jasinski. Er erklärte, er sei brieflich aufgefordert worden, das Paket abzuholen. Als Urheber des Erpressungsversuches wurden der Gendarmeriepostenführer in Bialoboznica Pawlowski und dessen Frau Bronislawa, eine Nichte des verhafteten Kupferschmieds Jasinski, eruiert. In ihrem Briefe an Jasinski wurden diesem genaue Verhaltungsmaßregeln bei der Entgegennahme der Geldsendung erteilt. Es wurde ihm tunlichste Vorsicht mit dem Beifügen empfohlen, er solle Donnerstag mit dem Morgenzuge nach Bialoboznica kommen; auf dem Bahnhofe werde ihn Pawlowski erwarten. An Stelle Jasinskis kamen Gendarmen mit einer Kommission, welche Pawlowski und dessen Frau festnahmen.

Das Wettrennen um die Welt

Ein einst dem Tode geweihter Amerikaner will in 30 oder weniger Tagen um die Welt reisen.

Neue Freie Presse am 16. Juni 1926

Unter den vielen Rekorden, die aufzustellen man sich jetzt bemüht, ist auch der, die Reise um die Welt in 30 oder noch weniger Tagen zurückzulegen. Die jüngsten um die Welt Reisenden, der Flieger Linton Wells und Eduard S. Evans, nicht der Sohn, wie ursprünglich behauptet wurde, sondern der bekannte amerikanische Industriekapitän gleichen Namens selbst. Ein mehrfacher Millionär, ist sein Lebenslauf typisch für das Auf und Nieder im Leben eines amerikanischen Finanzmagnaten.

Vor zehn Jahren (er ist jetzt 46) wurde er, nach hartem und erfolgreichem Kampfe für seine Karriere, von einem Leiden am Bein befallen. Das machte ihn für die Zeit, die ihm seine Aerzte noch zu leben gaben, zu einem Krüppel. Sie sagten, er werde es keine vierzehn Tage mehr “machen”. Um die Lage, wenn möglich, noch zu verschlimmern, mußte er für gewisse finanzielle Garantien, die er für Freunde übernommen hatte, einstehen, und stand ohne einen Heller da. In Wirklichkeit, sagt er selbst, hatte er sogar noch 16.000 Dollar Schulden. Auf alle Fälle beschloß Mr. Evans, weder zu sterben noch sich an die Wand drücken zu lassen. Er genas un begann ein neues Leben als Kommis mit 5 Dollar am Tag. Heute ist er der Chef einer Drei-Millionen-Dollar-Gesellschaft zur Fabrikation von Verladungseinrichtungen für Kraftwagen; er ist der größte Einzelabnehmer für Fichtenholz in den Vereinigten Staaten, der Chef eines Pfandbriefinstituts, Präsident der National Advertising Agency und Sekretär und Schatzmeister der Motorkraftwagenvereinigung von Detroit. Er ist ein erfahrener Kämpe, reich an Auskunftsmitteln, und hat unbegrenzte Kapitalien zu seiner Verfügung. Das Rennen wird also keinesfalls in Geldverlegenheit geraten.

Der Reiseplan enthält keine Zeit für Rast. Die Reisenden werden tatsächlich unausgesetzt in Bewegung sein. Um ihr Programm einzuhalten, müssen sie im Tag 670 Meilen zurücklegen, das ist 150 mehr als der Durchschnitt Mears betrug, und 90 mehr, als Goldstrom täglich bis Verkhne Udinsk machte. Sie müssen wirlich eine halbe Meile in jeder Minute hinter sich legen. Wenn sie Newyork am 13. Juli erreichen, werden sie ser schön gesiegt haben, da zur Brechung von Mears Rekord ein Eintreffen am 21. Juli ausreichen würde.

Anmerkung: Tatsächlich schafften es Eduard Evans und Linton Wells, die Erde in 28 Tagen, 14 Stunden und 37 Minuten zu umrunden. Sie schlugen den alten, von John Henry Mears gehaltenen Rekord aus dem Jahr 1913, der die Reise in 35 Tagen geschafft hatte.

Kampf mit einer Riesenschlange

Der Kadaver wurde einem Gymnasium geschenkt.

Neue Freie Presse am 15. Juni 1906

Aus Steinamanger wird gemeldet: Im Frühjahres ist in Körmend aus einer Menagerie eine Riesenschlange entkommen. Es wurde damals auf das Tier Jagd gemacht, jedoch vergeblich. Gestern hatte der Katasterbeamte Alexander Kömpes bei einer Kommission in der Nähe von Horvatnadal zu tun. Als die Herren zu einer Brücke kamen, sahen sie dort etwas liegen, was sie für einen Baumstumpf hielten, fanden aber, näher tretend, daß es eine große Schlange war. Kömpes hatte einen scharfgeschliffenen Fogos bei sich, mit dem er einen Hieb nach dem Kopf des Tieres führte. Er verfehlte sein Ziel, und die Schlange fuhr auf ihn los. Mit neuen Schlägen spaltete er den Kopf der Schlange, und seine Begleiter töteten dann mit Steinen das Tier. Der Kadaver wurde dem Gymnasium in Steinamanger geschenkt.

Anmerkung: Die Stadt Steinamanger (ungar. Szombathely) befindet sich in Westungarn, nahe der österreichischen Grenze.

Der geisteskranke König, ertrunken!

Ludwig II., König von Bayern, wurde tot im Starnberger See gefunden.

Neue Freie Presse am 14. Juni 1886

Ludwig der Zweite von Bayern hat gestern den Tod in den Fluthen des Starnberger Sees gefunden. Erschüttert steht man vor einem Schicksale, welches das Ende des Lebens so ganz widersprechend den Anfängen gestaltete; aber selbst in dieser grausamen Fügung ist das Walten jener Gerechtigkeit zu erkennen, welche die Vernichtung in eine Läuterung verwandelt. Es ist, als ob die erzürnten Geister des Wassers den kranken König hinuntergezogen hätten in ihren Schoß, weil er die geheimnisvolle Einsamkeit der Natur nicht aufsuchte, um sich zu erheben, sondern um seine Verwirrung zu verbergen; weil er der Schranken nicht geachtet hat, welche den Leidenschaften der Menschen gezogen sind. Wer kann die Grenzen ermessen, welche den Wahn von der Vernunft trennen? Auch in dieser zerrissenen Seele dämmerte die Erkenntnis von der ernsten Schuld , die Ludwig auf sich geladen, von der Schmach, die ihm drohte, wenn die Nothwendigkeit entstehen würde, seine Entthronung zu begründen.

Vielleicht konnte er den Gedanken nicht ertragen, von solcher Höhe herabgestürzt, gefangen, willenlos zu sein, und so drängte ihn sein leidendes Gemüth, mit der Herrschaft auch das Dasein zu beschließen, in den Spiegel zu tauchen, den er so oft in sternenhellen Nächten befahren hatte. Die krausen Gänge eines zerstörten Gehirns sind unerforschlich; aber es scheint, daß Ludwig wenigstens im Tode die vornehmen Triebe seiner Jugend wieder fand, daß er sterben wollte mit dem ganze Stolze eines Königs. Die Sphynx stürzt sich in den Abgrund, wenn ihre peinlichen Räthsel gelöst sind.

(…) Die Bayern werden mit Trauer am Sarge des Königs stehen, sie werden geneigt sein, sich jetzt mehr der Tage seines Glanzes zu erinnern, sie werden mit Wehmuth den letzten Monarchen zur Gruft geleiten, der regierte, noch ehe es einen deutschen Kaiser gab; sie werden in ihrem Schmerze daran denken, daß es der Brief Ludwigs's an die deutschen Souveräne war, der es dem siegreichen Wilhelm verstattete, ein Fürst der Fürsten zu werde; aber sie werden wissen, daß alle diese Katastrophen den Lauf der deutschen Geschichte nicht mehr bestimmen. Der Gedanke an das Ende Ludwigs's des Zweiten wird auch den Hohen und Mächtigen der Werde Bescheidenheit einflößen. Er hat sich selbst den Platz geraubt, den er in der Walhalla der Nation verdient hätte.

Anmerkung: Der König von Bayern, Ludwig II., wurde am 9. Juni 1886 entmündigt, nachdem ihn ein Gutachten – das auf Betreiben der Regierung zustande gekommen und für das er selbst nicht untersucht worden war – für „seelengestört“ und „unheilbar“ erklärt hatte. In der Nacht auf den 10. Juni wurde er verhaftet und zwei Tage später nach Schloss Berg gebracht. Am 13. Juni unternahm Ludwig II. mit dem Arzt Bernhard von Gudden einen Spaziergang am Ufer des Starnberger Sees. Als beide um 20 Uhr nicht zurück waren, wurden Gendarmen ausgeschickt. Schließlich fand man beide im seichten Wasser. Nach der offiziellen Darstellung habe von Gudden den Regenten an einem Selbstmordversuch hindern wollen und sei dabei selbst zu Tode gekommen. Diese Version wurde jedoch schon bald bezweifelt. Bis heute sind die genauen Todesumstände unbekannt.

Bismarck und sein „Größenwahn“

Ein Arzt versucht, den Beweis anzutreten, dass der Graf an der Monomanie litt.

Neue Freie Presse am 13. Juni 1866

Aus Berlin erhält die Allg. Wr. Med. Ztg. von einem Arzte ein Schreiben, in welchem der Beweis angetreten wird, Graf Bismarck leide an der Monomanie des „Größenwahns“. Der Correspondent fragt nach einer Einleitung, welche diese Manie im Allgemeinen bespricht: „Bei Graf Bismarck wurzeln alle Kennzeichen der Manie im Kern seines Wesens, sie datieren nicht von heute und gestern, sondern von dem Augenblicke schon, wo sein Name überhaupt genannt wurde.

(…) Im Jahre 1813 geboren, erhielt Bismarck, sowie andere wenig bemittelte preußische Junker, jene Erziehung, die mit der Naturgeschichte der Pferde und Hunde anfängt, sich bis zur minutiösen Kenntnis der Aehnlichkeiten und Unterschiede aller Mitglieder des Corps de Ballet entwickelt und in einer Sinecure im Staats- oder Militärdienste ihren Ausgangspunkt findet. So werden alle Junker und so auch wurde Graf Bismarck herangebildet, nur mit dem Unterschiede, daß er exzentrischer war, als seine Genossen. Nachdem er mancherlei kleinere Unthaten begangen, vollbrachte er seine erste große That, indem er seinem Reitlehrer, einem Unterofficier der Landwehr, mit der Reitpeitsche ein Auge ausschlug. Daß er im 16. Jahre eine Liebschaft wegen seinen Nebenbuhler herausforderte und einen Selbstmordversuch machte; daß er von einigen Brandenburger Bauern bald erschlagen worden wäre, weil er sie zum Frohndienst zwingen wollte; daß er auf der Schule mit seinen Alters- und Gesinnungsgenossenmittelalterliche Turnierspiele einführte; daß er vom Ober-Gymnasium schon entfernt werden mußte, weil er seinen Professor einen bürgerlichen Esel nannte; daß er mit seiner Familie in ewiger Fehde lebte, weil die Mitglieder derselben nicht in Allem und Jedem seiner exzentrischen Laune nachgeben wollten – das mögen für Viele lauter Dinge sein, die nach als Jugendstreiche gelten können und mit dem Wesen des heutigen Bismarck nicht weiter in Einklang zu bringen wären, wenn dieser in reiferen Jahren einen anderen Charakter angenommen hätte.

Diese Exzentricitäten der Jugend indes gelangen für den beobachtenden Irrenarzt zur Bedeutung: sie sind nicht sowohl ein Symptom der Jugend, als vielmehr ein Symptom der Krankheit, die heute beim preußischen Premier zur weiteren Entwicklung gelangt ist, und die bei naturgemäßem Fortschritt zur Tobsucht, zum Wahnsinn mit Paralysen übergehen dürfte. Im Jahre 1847 lenkte Bismarck zuerst die Aufmerksamkeit der preußischen Regierung auf sich, indem er in seiner exzentrischen Weise auf dem Landtage für eine Art von dictatorischem Absolutismus in die Schranken trat und sich jeder schmälerung der alten ständischen Privilegien widersetzte. Damals sprach er die exzentrischen Worte, der Adel müsse sich mit der Krone, die Krone mit dem Adel identifizieren, und wieder schlechteste Fürst der Edelste unter den Edeln, so sei der beste und reichste Bürger noch immer nicht dem ärmsten und letzten der Ritter gleichzustellen.“

Nun zählt der Correspondent eine Reihe von Excentricitäten des Grafen auf und spricht endlich die Vermuthung aus, es sei der Aufenthalt desselben in Paris muthmaßlich der Beginn seiner entschieden ausgesprochenen Geisteszerrüttung; er begründet diese Meinung in nachstehender Weise: „Der napoleonische Hof und die ungeheure nie dagewesene machtentwicklung Frankreichs brachten im Innern Bismarck's jene Manie zum Ausbruch, die sich vor Allem in Größenwahn kundgibt. Bismarck ließ sich in einer Privatgesellschaft, als von Ludwig XIV.und seinem bekannten Aussprucge duie Rede war, zu den Worten hinreißen: „La Prusse c'est moi“, eine eclatante Kundgebung seines Größenwahns. Aber“, fährt der Verfasser fort, „noch immer war es nur bei momentanen Ausbrüchen geblieben. Eine gewisse Consequenz der Krankheit aber, um mich eines geläufigen Ausdrucks zu bedienen, eine Methode in seinem Wahnsinn trat erst ein, als er mit unbeschränkter Macht das Minister-Portefeuille erhielt.“

Auch das hervorragende Merkmal des „Größenwahns“, die Zerstörungssucht, wird dem Grafen zugeschrieben, der „Verfassungen wie Spiegel zerstört“ und der nun, nachdem er lange Methode im Wahnsinn gezeigt, nur noch Wahnsinn in seiner Methode bethätigt.

Anmerkung: Otto von Bismarck war von 1862 bis 1890 preußischer Ministerpräsident von 1867 bis 1871 sowie von 1871 bis 1890 erster Reichskanzler des Deutschen Reiches.

Dampfer an der Reichsbrücke zerschellt

Sechs Menschen kamen bei dem Unglück ums Leben.

Neue Freie Presse am 12. Juni 1936

Eines der größten Schiffe der Österreichischen Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaft, der Dampfer “Wien”, ist gestern mittag, wenige Minuten nach 13 Uhr, vermutlich infolge Versagens der Steuerung mit der Breitseite an einen Brückenpfeiler der Reichsbrücke angetrieben worden und zerschellt. Das Schiff wurde buchstäblich in zwei Teile gerissen und ist zum Großteil untergegangen. Inwieweit der Pfeiler und damit der Bau der neuen Reichsbrücke selbst beschädigt worden ist, wird erst eine noch durchzuführende genaue Untersuchung ergeben.

Von der aus 29 Personen bestehenden Besatzung des Schiffes haben sich 23 Personen retten können. Sechs Personen, darunter vier Frauen, werden vermißt. Sie haben aller Wahrscheinlichkeit nach den Tod in den Wellen gefunden. Der Dampfer befand sich auf einer Leerfahrt, so daß er ohne Passagiere war.

“Presse”-Leser spendeten zehn Millionen

Mit der Sammlung für Soldaten und Angehörige wird “eine große Schuld gezahlt, eine unauslöschliche Dankbarkeit bestätigt”.

Neue Freie Presse am 11. Juni 1916

Die machtvolle Welle des Mitleids, welche die Monarchie durchstürmt, hat zehn Millionen Kronen in die “Neue Freie Presse” gebracht, eine Summe, nie vorher an einer einzelnen Sammelstelle erreicht, aus großen und aus vielen kleinen Spenden, aus den Widmungen aller Klassen zusammengesetzt, oft mit Worten eingesendet, die das Merkmal der Ergriffenheit über persönliche Erlebnisse hatten. Die Sammlung von zehn  Millionen ist auch ein Kriegsereignis. In den Rückblicken auf die Erschütterungen, die wir durchgemacht haben, auf die Geschichte unserer Tage wird angemerkt werden, daß in der schweren Not der Sinn für Gerechtigkeit und die aus freiem Wollen selbstlos den Verwundeten und den Angehörigen unserer Soldaten zugewendete Opferfähigkeit und Fürsorge ehrenvoll für das Land gewesen sind. (..)

Diese zehn Millionen sind aber kein Almosen. Wir schenken dem nichts, der bei der Verteidigung des Landes verwundet, verkrüppelt oder des Augenlichts verlustig wird; wir schenken auch der Witwe, den Waisen oder den arbeitsunfähigen Eltern nichts. Eine große Schuld wird gezahlt, eine unauslöschliche Dankbarkeit bestätigt und auch die Öffentlichkeit ist Pflicht, weil sie in diesem Falle ein notwendiges Bekenntnis und Beispiel, eine Kundgebung für die Armee wird.

Diese zehn Millionen haben die Leser der “Neuen Freien Presse” uns anvertraut und in den Ausweisen gesehen, daß sie gewissenhaft verwaltet worden sind und daß viel Gutes durch diese Beiträge geschehen konnte. Wir haben sie aus allen Teilen der Monarchie, aus verbündeten und neutralen Ländern in Europa und auch aus Amerika erhalten. Wir bitten unsere Leser, die den steinigen Weg in diesem langen Kriege in treuer Gemeinschaft mit uns gegangen sind, auch fernerhin durchzuhalten in der Mildtätigkeit, die uns erst recht empfinden läßt, wie ernst, aber auch wie schön die Aufgabe ist, täglich zu einem Kreise zu sprechen, wo so viel Großherzigkeit waltet. Und jetzt auf zur nächsten Million, für unsere Soldaten, für deren Familien, für alle, die eine Stütze brauchen!

In zwei Stunden auf der Rax

Eine große Errungenschaft für Wien: Ein Zweitausender “auf dem Präsentierteller”.

Neue Freie Presse am 10. Juni 1926

Wien hat ein Stück Alpenwelt für seine Bevölkerung erobert. Gewiß, die Raxalpe war immer nahe, und wer im Morgengrauen vom Südbahnhof abfuhr, konnte von Payerbach aus gegen Mittag das Raxplateau erreichen. Es war auch denkbar, wieder am selben Tage zurückzukehren, aber die Hast mußte beschwerlich fallen, und gewiß haben Tausend und Tausende den Ausflug vermieden, weil sie es für unzweckmäßig hielten, nur mit flüchtigen Blicken die Bergwelt zu streifen, um gleich wieder, nach kurzem Ausruhen hinunter zu stürmen auf steinigen Pfaden, um noch rechtzeitig zur Station der Eisenbahn zu gelangen.

Jetzt wird eine ganz wesentliche Abkürzung durchgesetzt, eine Abkürzung um mindestens sieben Stunden, und man wird auf die Rax fahren können, wie man vor dreißig Jahren nach Weidling am Bach gefahren ist, mit einer Bequemlichkeit, die frevelhaft anmuten würde, wäre sie nicht so unendlich notwendig für uns verstaubte, nach Luft und Licht, nach Sonne und Kühle lechzende Großstadtmenschen, die am Ende der Woche oft viel zu ermattet sind, viel zu abgeschlagen, viel zu deprimiert, als daß sie den inneren Schwung aufbrächten, die Genagelten anzuziehen und entfernt vom Hause eine starke und anstrengende Gebirgstour zu unternehmen. Diesen Bedürftigen wird jetzt das Hochgebirge auf dem Präsentierteller geliefert, man serviert einen Zweitausender zum Gabelfrühstück, und wer noch in einem dumpfen Zimmer erwachte, mitten in der häßlichen Steinwüste, wem das Schicksal nicht vergönnt hat, die Mittel zu ergattern, die zu einem Aufenthalt in hochgelegenen Sommerfrischen gehören, der wird doch wenigstens hie und da Gelegenheit bekommen, einen ganzen Tag lang es den Beneideten gleichzutun und alle Wollust aus vollen Zügen zu genießen, die man in Pontresina, in Zermatt oder in Interlaken, wenn auch naturgemäß in bedeutenderer Landschaft zu empfinden mag. (...)

Eine Steigung von tausend Meter, sie wird in zehn Minuten überwunden, von Payerbach aus fährt nach Hirschwang und von dort aus sind die Seile gespannt, von der Talschlucht direkt auf die Höhe, die Seile, an denen die Wagen hängen, die zwanzig Personen hinauf- und hinuntertragen. (...) Es hat ja schon im Frieden, besonders in Südtirol, mehrere Seilbahnen gegeben, von Bozen aus wurde auf diese Art die Birglbahn gebaut, und namentlich im Kriege sind auf freilich weitaus rohere Art Transporte, hauptsächlich in den zerklüfteten Dolomiten oder bei den Steinriesen der Karawanken vorgenommen worden. Da ist nun durch das größte Uebel der Weltgeschichte etwas Gutes gefördert worden, und wir sehen bereits, daß sämtliche Gebirgsländer sich dieses Verkehrsmittels bedienen, das zu den größten Kühnheiten der Technik gezählt werden muss.

Türken entdecken alte Evangelien-Handschriften

Lange blieb der Wert der altbyzantinischen Schrift unerkannt.

Neue Freie Presse vom 9. Juni 1896

Aus Konstantinopel wird berichtet: In hiesigen griechisch-orthodoxen Kreisen macht gegenwärtig die Auffindung einer alten Evangelien-Handschrift in einem kleinasiatischen Dorfe viel von sich reden. Die Handschrift soll – wie der Moniteur Oriental berichtet – ungefähr aus dem Jahre 1400 datieren und der Ueberlieferung zufolge vom Kaiser Theodosius einem von ihm im Dorfe Garmussalli (unweit von Konstantinopel) gegründeten Kloster geschenkt worden sein. Als dieses Kloster durch einen Brand verwüstet wurde, gelang es, das kostbare Manuscript zu retten, worauf es in der Kirche des genannten Dorfes verwahrt wurde, wo es jedoch bald in Vergessenheit gerieth. Vor längerer Zeit habe man das Manuscript durch einen Zufall in den unterirdischen Räumen der Kirche aufgefunden und dasselbe hierauf in dem Gotteshause selbst untergebracht, ohne daß jedoch bis vor Kurzem Jemand in dem Dorfe den wahren Werth dieses Schatzes geahnt hätte. Nunmehr habe die Gemeinde von Garmussalli die kostbare Handschrift dem Czar aus Anlaß der Krönungsfeier als Geschenk übersendet.

Das Manuscript ist, der erwähnten Quelle zufolge, nicht vollständig, indem 38 Seiten fehlen. Die Schrift ist altbyzantinisch. So viel scheine gewiß zu sein, daß es sich thatsächlich um ein Evangelien-Manuscript von hohem Alter handelt. Ferner bestätigt es sich, daß das Onject beim Czar durch Abgesandte des mehrgenannten Dorfes nach Moskau überbracht worden ist. Im ökumenischen Patriarchate war man von dem Abgange des Manuscriptes nach Rußland unangenehm berührt, un es werden nunmehr von dieser Seite Bemühungen aufgeboten, um in den Besitz der Reliquie zu gelangen. Der Patriarch hat die zur Krönungsfeier nach Moskau entsendeten Delegirrten beauftragt, mit allen Mitteln auf diesen Erfolg hinzuarbeiten, und es heißt, daß dieses Bestreben nicht aussichtslos sei. (..)

Die Bewohner der Triesterstraße werden vernachlässigt

Die Intervalle der elektrischen Bahn sind viel zu groß.

Neue Freie Presse am 8. Juni 1906

Wir erhalten nachstehende Zuschrift: Die Bewohner der Triesterstraße in Favoriten sind in Bezug auf die öffentlichen Verkehrsmittel derart zurückgesetzt, daß die Oeffentlichkeit darauf aufmerksam gemacht zu werden verdient. Während in früheren Jahren von der Triesterstraße direkte Wagen bis zur Oper verkehrten, verkehren seit längerer Zeit nur Pendelwagen vom Mazleinsdorfer Viadukt in die Triesterstraße, welche Strecke bloß zirka einen Kilometer lang ist. Die Intervalle sind so groß, daß es der größte Teil des auf dieses Verkehrsmittel angewiesenen Publikums vorzieht, zu Fuß zu gehen. Dieser Mangel an Rücksicht gegenüber dem Publikum ist um so mehr zu bedauern, als zahlreiche Kranke und Besucher von Kranken in das Kaiser Franz Josefspital mit der elektrischen Bahn fahren, die das Umsteigen und lange Warten sehr unangenehm empfinden. Das Publikum könnte wohl mit Recht verlangen, daß es für jeden Wagen aus der Wiedner Hauptstraße bei dem Mazleinsdorfer Viadukt unmittelbaren Anschluß erhält und die Intervalle auf der kurzen Strecke in der Triesterstraße dementsprechend gekürzt werden.

Hungersnot in Russland

In 212 Distrikten herrscht Hunger, die Getreidetransporte bleiben stecken.

Neue Freie Presse am 7. Juni 1906

Wie die russischen Blätter „Dwadzoth Wjek“ und „Slowo“ melden, sind im Ministerium des Innern Informationen eingelangt, wonach gegenwärtig in 212 Distrikten Hungersnot herrscht. Die Semstwos und die Bauerngemeinden wenden sich an die Regierung um Hilfe. Im Transbaikalgebiet, In Irkutskt und in Iakulik herrscht ebenfalls große Hungersnot. Die Regierung erkennt zwar die Notwendigkeit der Veranstaltung öffentlicher Arbeiten in den Hungerdistrikten an, ist jedoch über den Charakter dieser Arbeiten noch nicht schlüssig geworden. Dabei nimmt die Stockung der nach den Zentralgouvernements gerichteten Getreidetransporte immer noch zu. An den beiden Enden der Samora-Holomter-Eisenbahn sind allein 15000 Waggons mit Getreide stecken geblieben.

Früherer St. Pöltener Bürgermeister in Irrenanstalt

Die Zeitung schreibt über das “schauerliche Resultat eines öffentlichen Lebens”.

Neue Freie Presse am 6. Juni 1906

Eine menschliche Pflicht ist zu erfüllen, die in den gemütlichen Erregungen der schweren politischen Krise beinahe vergessen wurde. Der frühere Bürgermeister von St. Pölten, Wilhelm Voelkl, ist in eine Irrenanstalt gebracht worden, und das Unglück dieses Mannes zwingt zu einigen Worten des Mitgefühls. (...)

Wilhelm Voelkl war ein echtes Produkt gesunder Provinz. Wir sind überzeugt, daß er, bevor das große Kesseltreiben gegen ihn begann, nicht viel von Nerven gewußt hat. Fest wurzelnd in seiner St. Pöltener Popularität, trat er im Reichsrat und Landtag als die Hoffnung der Deutschvolklichen auf. Er war in allem robust, in seiner Gestalt, in seinem Temperament, in seiner sonoren, weithinschallenden Stimme, die so gut die sittliche Empörung über die Mißwirtschaft der Gegner, über die Scheußlichkeiten ihrer Angriffe vorzubringen wußte. (...)

Und nun erfahren wir, daß dieser Mann, nachdem er die höchste Spitze seiner kommunalen Laufbahn erreicht hatte, nachdem er sich vermöge seiner Energie eine beachtete Position im Landtag und Reichsrat gemacht, einen Selbstmordversuch und Mordversuch begeht und als wahnsinnig der Fürsorge jener Totenwächter unterstellt wird, die bei lebendigem Leib behüten, während das geistige Leben bereits erloschen ist. Dies ist das schauerliche Resultat eines öffentlichen Lebens. Der Provinziale mußte sich gegen die Hornisse wehren, die er oft mit keckem Griff aus ihren Nestern aufgescheucht hatte. Er wehrte sich mit der Faust, und sie stachen ihn mit ihren giftigen Stacheln. (...)

Er wußte nicht, daß es möglich sei, einem unbescholtenen Menschen Veruntreuung von Armengeldern vorzuwerfen und diesen Vorwurf nach vollkommener Widerlegung aufrecht zu erhalten. Auch wußte er nicht, daß es das Recht des politischen Gegners sei, das Privatleben des Feindes zu durchwühlen, touiller la vie, wie die Franzosen es nennen; er wußte nicht, daß die vorgesetzte Behörde Untergebenen Belohnung für Verrat amtlicher Vorgänge sichern darf. (...)

Voelkl wurde nicht in Ruhe gelassen und so lange gequält, bis der innerste Halt, die Klarheit des Denkens, das wahrhafte Erkennen der Außenwelt gebrochen wurden. Stacheln und Spitzen haben so lange in dieser Seele herumgebohrt, bis sie zerstört wurde. Es ist dies ein kleiner Beitrag zu der Geschichte unserer parlamentarischen und gesellschaftlichen Verhältnisse, der zeigt, daß die wenigen, die noch der Macht der herrschenden Partei sich widersetzen, durch die schlimmsten Martern zu Grunde gerichtet oder zu Krüppeln gemacht werden.

Anmerkung: Wilhelm Voelkl war von 1900 bis 1905 Bürgermeister von St. Pölten. In seiner Amtszeit wurde der elektrische Strom eingeführt. Das Amt gab er nach einer psychischen Erkrankung auf. Er starb 1912 in seiner Heimatstadt.

Eine neue lästige Fliege entdeckt

Die neue Fliege wird “wohl schwer zu bewegen sein, wieder in ihr nordisches Vaterland zurückzukehren”.

Neue Freie Presse am 5. Juni 1916

Unser Brüsseler Korrespondent schreibt ums vom 26. Mai: “Außer vielen anderen Unannehmlichkeiten hat der Weltkrieg den Franzosen auch die unliebsame Bekanntschaft mit einer - neuen Fliege gemacht, die insbesondere in Paris ihr Unwesen treibt. Die sofort aufgebotenen Naturforscher haben festgestellt, daß es sich dabei um die grönländische, dunkelrot gefärbte Fliege handelt, die im Insektenreiche mit dem lateinischen Namen “Calliphora” bezeichnet wird. Sie macht sich in außerordentlicher Weise allenthalben lästig. Die weitere Untersuchung hat ergeben, daß dieser unerwünschte Gast von den kanadischen Truppen auf ihren meistens aus Nordkanada stammenden Pferden eingeführt wurde. Die Kanadier stehen in Frankreich, und so ist die Verbreitung der neuen Fliege begreiflich, die wohl schwer zu bewegen sein wird, wieder in ihr nordisches Vaterland zurückzukehren.

Über Hemmnisse telephonischer Correspondenz

Ein Bericht über Hemmnisse in der Abwicklung der telephonischen Correspondenz. Es empfiehlt sich ein rasch zurückgesprochenes “Halloh”.

Neue Freie Presse am 4. Juni 1896

Ueber die in unserem Abendblatte zur Sprache gebrachten Hemmnisse in der Abwicklung der telephonischen Correspondenz nach der neuen, vereinfachten Manipulation werden wir von competenter Seite dahin unterrichtet, daß der rufende Abonnent nur in jenem Falle sein gewünschtes Vis-a-vis auf der Linie nicht finden kann und erfolglos wartet, wenn der Gerufene selbst sich gar nicht meldet und die dienstthuende Telephonistin aus Dienstbeflissenheit versuchsweise dennoch diese Verbindung herstellt, statt die Meldung an den rufenden Abonnenten zu machen, daß sich der Gerufene nicht melde. Zu diesem Verfahren läßt siuch die Telephonistin leicht bei soolchen Abonnenten verleiten, die wegen ihres Säumens beim Antworten in der Centrale schon hinlänglich bekannt sind. Es wird also, und zwar besonders seit dem Unterdrücken der Rücksignale, im Interesse des telephonierenden Publicums im Einzelnen und im Allgemeinen liegen, daß jeder Anruf möglichst rasch durch ein zurückgesprochenes “Halloh” beantwortet werde, damit die Telephonistin nicht in die Lage komme, den gerufenen Abonnenten als abwesend abzumelden, lediglich aus dem Grunde, weil dieser mit seiner Meldung zu lange säumt oder zögert.

Es ist , wie uns versichert wird, mit Bestimmtheit zu erwarten, daß das neue Verfahren, ohne Rücksignale zu arbeiten, welches für das correspondirende Publicum, wenn richtig angewendet, eine bedeutende Erleichterung, für die Central hingegen aber immer eine Mehrleistung involvire, seitens des Publicums bald gehörig gewürdigt werden wird, und es sei nur zu wünschen, daß das Publicum selbst durch ein promptes “Halloh” als Rückantwort möglichst zweckmäßigen Vorschub und richtige Unterstützung leiste.

Die transeuropäische Autostraße und Wien

Würde eine Umfahrungsstraße Reisende von Wien abziehen?

Neue Freie Presse am 3. Juni 1936

Daß die große Autostraße von England in den Orient über Wien gehen soll, ist klar, aber wir selber haben alles dazuzutun, daß sie diese Route auch nimmt. (...) Die Durchführung dürfte in unseren anderen Ländern leichter sein als gerade im Umkreis Wiens, und zwar aus dem einleuchtenden Grunde, weil eine Straßenneuanlage sich im dünn bevölkerten und daher wenig verbauten Gebiet unvergleichlich einfacher abwickelt als im Weichbild und in der nächsten Umgebung einer Großstadt. Daher ist es unbedingt erforderlich, daß die Trasse dieser transkontinentalen Autostraße ehestens festgelegt wird, unabhängig davon, ob eine Bereitstellung der Baukosten in naher Ausicht steht oder nicht. Dabei ist nicht bloß an die Durchfahrt durch die Stadt zu denken, sondern auch die Frage zu entscheiden, ob nicht doch außerdem eine Umfahrungsstraße unumgänglich sein wird.

Die Einwände, daß eine solche zweite Trasse vielleicht Fremde von Wien abziehen, sozusagen an Wien vorbeiführen würde, entspringen einer kleinstädtischen Denkungsart. Entweder Wien ist anziehend genug, daß man sogar eigens hierherkommt, dann wird ein Durchreisender bestimmt nicht daran vorüberfahren, sondern sogar zum Einkauf sicherlich auch einen kleinen Umweg machen. Andernfalls aber würde der Zwang der Durchfahrt durch den stärkeren innerstädtischen Verkehr nur unerfreulich wirken, genau so wie der unfreiwillige Aufenthalt auf einer Eisenbahnanschlußstation bei einem längeren Intervall zwischen zwei Zügen oder die Fahrt von einem Wiener Bahnhof zum andern. Es muß daran erinnert werden, daß man seinerzeit um alle großen Städte Umfahrungseisenbahnen gebaut hat, um die zeitraubende und auch sonst unerwünschte Durchfahrt durch das engverbaute Stadtgebiet zu vermeiden. Die gleiche Regel liegt noch mehr für die Autostraßen, die zum Teil die Rolle der Eisenbahnen übernehmen dürften.

Das Ultimatum der Mittelschullehrer

Mittelschullehrer sind die schlechtest bezahlte Lehrerkategorie Österreichs.

Neue Freie Presse am 2. Juni 1926

Heute abend um halb sieben Uhr findet die entscheidende Vertrauensmännerversammlung statt, von deren Ergebnis es abhängt, ob es tatsächlich zum Streik der Mittelschullehrer kommt oder nicht. (...)

Kaum glaublich klingt es, daß die Mittelschullehrer nicht nur bedeutend schlechter besoldet sind als die Hochschulprofessoren, sondern auch als die Volks- und Bürgerschullehrer. Der Valorisierungsfaktor beträgt bei den Hochschulprofessoren 10.986. Das richtige Bild erhält man aber erst, wenn man sich vor Augen führt, daß früher der ordentliche öffentliche Universitätsprofessor mit 20 Dienstjahren das Eineinhalbfache, heute das Zweieinhalbfache des entsprechenden Bezugs eines Mittelschullehrers erhält. Aber schon die Volkschullehrer haben in allen Altersstufen höhere Bezüge als die Mittelschullherer, wofern man in Betracht zieht, daß der Mittelschullehrer sechs Jahre länger zu seiner Ausbildung braucht.

Ein Wiener Volkschullehrer mit 12 Dienstjahren hat einen Gehalt von monatlich 308 Schilling, wobei die diversen sehr bedeutenden Zulagen nicht mitgerechnet sind. Ein Mittelschullehrer mit sechs Dienstjahren bezieht monatlich 292 Schilling ohne jegliche Zulagen. Mit vierzehn Dienstjahren bezieht der Volkschullehrer 33,5 Schilling, der Mittelschullehrer 302. Für den Volkschullehrer beträgt die Pensionsgrundlage 90 Prozent, für den Mittelschullehrer nur 78 Prozent.

Eine Bombe im Blumenstrauß

Am Tag ihrer Hochzeit wurde auf das spanische Königspaar ein Anschlag verübt.

Neue Freie Presse am 1. Juni 1906

Bei der Rückfahrt von der Trauungszeremonie ist heute auf das neuvermählte spanische Königspaar ein Bombenattentat verübt worden. Das Königspaar blieb unverletzt.

Mitten in die rauschende Festesfreude der Hochzeitsfeierlichkeiten, in den jubelnden Enthusiasmus der Bevölkerung, in den weihevollen Klang der Kirchenglocken tönt ein dumpfer Knall. Eine Bombe wurde geworfen. Zum zweitenmal binnen Jahresfrist hat die Propaganda der Tat sich den jugendlichen König von Spanien zum Opfer auserkoren. Zweimal ist er der unheimlich nahe drohenden Gefahr glücklich entronnen. Auf den Tag genau vor zwölf Monaten, als König Alfonso als Gast des Präsidenten Loubet in Paris weilte, wurde die erste Bombe gegen seinen Wagen geschleudert. An seinem Hochzeitstage hat sich das furchtbare Schauspiel wiederholt. In einen Blumenstrauß war heute das Mordwerkzeug gehüllt. Das Detail ist bezeichnend für die Situation. Überall bunte Fahnen, blumengeschmückte Triumphbögen, die Bevölkerung selbst im Festkleid. Der Attentäter muß einen Rosenstrauß wählen, wie in wohl alle anderen tragen, um nicht zu früh zu verraten, daß seine Hand ein todbringendes Geschoß trägt.

In gleichem Maße, wie dem König, in höherem Maße vielleicht noch wendet sich die allgemeine Sympathie der Königin Victoria zu, die wenige Minuten vor dem verbrecherischen Anschlage ihrem königlichen Gemahl die Hand zum ewigen Bunde gereicht hat. (…)

Wer war der Attentäter? Nach den in später Nachtstunde vorliegenden Mitteilungen sind zwei Personen der Tat verdächtig verhaftet worden, ein Spanier, anscheinend ein Student, und ein Ausländer. Die Bombe muß aus unmittelbarer Nähe geschleudert worden sein, denn ihre Wirkung war furchtbar. Vierzehn Personen wurden getötet und die Equipage des Königspaares wurde durch die Gewalt der Explosion arg beschädigt. Eine höhere Persönlichkeit aus dem Gefolge des spanischen Monarchen, die sich augenscheinlich in der unmittelbaren Umgebung der königlichen Equipage befunden hatte, zählt zu den Verwundeten.

Anmerkung: Bei einem Attentat auf die Hochzeit des spanischen Königs Alfons XIII. starben mehr als zwanzig Menschen.

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