Charter Cities: Eine Alternative in der Flüchtlingspolitik?

Flüchtlingslager
Flüchtlingslager(c) APA/AFP/AHMAD MOUSA (AHMAD MOUSA)
  • Drucken

Die Flüchtlingspolitik steht vor zahlreichen Herausforderungen. Wachstumsökonom Paul M. Romer bietet eine interessante Ergänzung der bisherigen Ansätze.

In einer aktuellen Studie spricht das Flüchtlingshilfswerk UNHCR von rund 65 Millionen Menschen, die weltweit auf der Flucht sind. Viele dieser Menschen wollen in die Industriestaaten, wo sie Sicherheit und bessere wirtschaftliche Chancen sehen. Den Flüchtlingen zu helfen ist aus humanitären und ethischen Gründen alternativlos, und dennoch steht die Flüchtlingspolitik angesichts der immer größer werdenden Zahlen vor einem Dilemma: Misslingt die Integration der Menschen in die Industriestaaten, entstehen soziale Spannungen, die die gesellschaftliche Akzeptanz auf eine schwere Probe stellen. Gelingt die Integration hingegen, werden noch mehr Menschen kommen, und deutlich weniger in ihre Heimat zurückkehren, wenn die politische Krise überwunden ist. Gerade die vielen jungen Erwachsenen, die es derzeit nach Europa drängt, werden aber für den Wiederaufbau und die wirtschaftliche Gesundung der Länder dringend benötigt – dieser Aspekt kommt in vielen Diskussionen viel zu kurz.

Kooperation

Vor diesem Hintergrund erscheint das Modell der sogenannten Charter Cities, das der Wachstumsökonom Paul M. Romer bereits vor einigen Jahren vorgeschlagen hat, als interessante Option. Die ursprüngliche Idee der Charter City ist es, in wachstums- und strukturschwachen Ländern neue Städte als Mittel der Armutsbekämpfung zu gründen. Hierbei soll die jeweilige Regierung des Staates ein Stück unbesiedeltes Land auswählen und an ein ausländisches Land abgeben und unter deren Legislative, Judikative und Exekutive stellen. Hierbei wäre es natürlich auch denkbar diese Fläche an supranationale Gebilde wie die EU oder auch die UNO zu geben, die dann den entsprechenden rechtlichen und verwaltungstechnischen Rahmen setzen und garantieren müssten.
Dieser Artikel wurde für "Ökonomenstimme", die Internetplattform für Ökonomen im deutschsprachigen Raum, erstellt. Die Presse ist exklusiver Medienpartner der Ökonomenstimme.

Sonderzonen mit Rechtsgarantien

Es handelt sich also um künstlich geschaffene Sonderzonen, in denen den Menschen die Standards an Rechts- und Verwaltungshandeln garantiert werden, die sie in ihren Heimatländern nicht erhalten. Es entstehen somit an diesem Ort Sicherheiten und Qualitäten, die wiederum ausländische Investitionen anziehen und somit Wachstum antreiben, das auch positiv auf sein Umfeld ausstrahlen kann. Eine städtische Wirtschaft kann sich etablieren, Menschen werden sich niederlassen, Handel betreiben und Dienstleistungen anbieten. Ein wesentlicher Anreiz geht dabei von der Rechtssicherheit aus, die von der externen Regierung oder den supranationalen Organisationen in den Charter Cities garantiert wird.

Was zunächst wie ein theoretisches Szenario klingt, wird bei genauerem Hinsehen durch das Erfolgsbeispiel Hongkongs anschaulich illustriert. Hongkong wurde durch die britischen Kolonialherren 1841 besetzt und durch den Vertrag von Nanking zwei Jahre später zur britischen Kronkolonie erklärt. Für viele Chinesen war die britische Kolonie Zufluchtsort vor dem chinesischen Bürgerkrieg, der von 1927 bis 1949 dauerte. Die Übergabe der Staatshoheit an die Volksrepublik China erfolgte dann 1997. Seitdem ist Hongkong eine chinesische Sonderverwaltungszone, die mit einer freien Marktwirtschaft und einer hohen inneren Autonomie ausgestattet ist. Hongkong kann somit als Erfolgsmodell einer solchen Charter City gelten, wenngleich auch ihr Ausgangspunkt mit der unrechtmäßigen Besetzung durch die Kolonialmacht Großbritannien zu beklagen ist.

Trotz der positiven Entwicklung mag die Idee daher dennoch zunächst befremdlich erscheinen und an die dunkle Zeit des Kolonialismus erinnern. Tatsächlich erscheinen derartige Lösungen aber näher liegend und nachhaltiger als viele der bislang getroffenen Maßnahmen in der globalen Flüchtlingspolitik. Gerade im Nahen Osten wäre es denkbar in den Nachbarstaaten Syriens eine oder mehrere Charter Cities aufzubauen. Auch im Norden oder an der Westküste Afrikas wäre dies möglich. Hierzu bedarf es zunächst nur eines Stücks Land, das einer der Staaten etwa an die EU oder die UN verpachtet. Dann könnte dort eine Basis-Infrastruktur aufgebaut werden, die die Zugezogenen versorgen kann. Gegebenenfalls könnten auch vorhandene Flüchtlingslager in Nachbarstaaten zu Charter Cities weiterentwickelt werden. Der Vorteil gegenüber der Unterbringung in bisherigen Lagern oder Heimen ist, dass die Flüchtlinge von Anfang an mitwirken und arbeiten können – schließlich bauen sie ihre eigene Stadt.

Hohe Investitionen notwendig

Natürlich bedarf es teils erheblicher Investitionen in die Infrastruktur, aber verglichen mit den derzeitigen Ausgaben für die Integration der Flüchtlinge relativieren sich die Summen. Und es ist zu erwarten, dass solche Charter Cities schnell auch private Investoren anziehen, sofern es gelingt, die Rechtssicherheit, gewisse Standards der Ausbildung und Versorgung sowie eine wettbewerbliche Ausgestaltung der Stadtwirtschaft in den Charter Cities glaubhaft zu installieren. Die Bedürfnisse der Menschen und ihr Wunsch in Sicherheit eigenen Wohlstand zu erreichen wird einen robusten Wachstumsmotor in Gang setzen, an dem viele profitieren werden. Nicht zuletzt sind Städte ja genau aus diesem Grunde (von alleine) entstanden und haben ihren Siegeszug auf den Landkarten der Welt eindrucksvoll dokumentiert.

Aufgrund der Einkommen und Gewinne werden Steuereinnahmen für das neue Gemeinwesen entstehen, die wiederum sinnvoll für die Weiterentwicklung von sozialer und technischer Infrastruktur ausgegeben werden können. Sollte es gelingen, einige der ersten Modellstädte in eine gute Startphase ihrer Entwicklung zu bringen, könnte ein sich selbstverstärkender Prozess der Entwicklung einsetzen. Letztlich können die Städte in den Regionen auch eine Vorbildfunktion übernehmen und auch die wirtschaftliche Entwicklung in den Umlandregionen positiv beeinflussen, so wie es bei Hongkong und China der Fall ist. Langfristig sollten dann die Charter Cities wieder in den ursprünglichen Staat eingegliedert werden.

Die Modellstadt-Idee hat Charme, da sie neben den bisherigen Ansätzen der (oftmals gescheiterten) Entwicklungshilfe und die derzeitige Überforderung vieler Kommunen aufgrund der massiven Zuwanderung eine Handlungsalternative stellt, die es erlaubt, den Menschen eine Perspektive in ihren eigenen Regionen zu geben. Hierbei stellt die Schaffung und Garantie eines neuen institutionellen Rahmens in diesen Charter Cities den Kern des erwarteten Erfolgs dar.

Inwieweit es in Ländern des Bürgerkrieges oder anderer Konfliktherde gelingen kann, derartige Areale für diese Idee bereit gestellt zu bekommen bzw. inwieweit Regierungen von Nachbarstaaten bereit sind, derartige Entwicklungen für Flüchtlinge (und eigene Bürger) auf ihrem Territorium zuzulassen, muss geprüft werden. Es existieren aber zahlreiche Länder, in denen zwar kein Krieg herrscht, die aber einen permanenten Migrationsstrom speisen, weil die wirtschaftliche Entwicklung in ihren Städten miserabel ist und aufgrund mangelhafter Rahmenbedingungen keinerlei Auslandsinvestitionen stattfinden. Für die Regierenden in diesen Ländern könnte der mit den Charter Cities verbundene Investitionsstrom und seine Ausstrahlungseffekte auf die umliegende Region Grund genug sein, über diese Form der Entwicklungszusammenarbeit nachzudenken. Auch in Honduras war die Diskussion aufgrund der erkennbaren Vorteile schon weit gediehen.

Ein geschützter Raum

Fraglos würde die Umsetzung dieser Idee eine neue Qualität in die Internationalisierung von Stadtentwicklung und in die Frage der besseren "Steuerung" von Migrantenströmen bringen. Vor allem bieten Charter Cities die Chance, Krisenregionen Perspektiven zu geben und Flüchtlingen die Möglichkeit, ihre Zukunft selbst zu gestalten. Charter Cities besinnen sich auf die uralten Tugenden der Städte: Menschen unterschiedlicher Bildung und Herkunft in einem geschützten Raum die Möglichkeit der persönlichen Entfaltung und wirtschaftlichen Betätigung zu geben. Daher lohnt es, die Umsetzung dieser Idee zur Ergänzung der bisherigen Flüchtlingspolitik ernsthaft zu prüfen.

Die Autoren

Guido Spars (* 1966) studierte Volkswirtschaftslehre in Köln. 2000 folgte die Promotion zum Doktor der Ingenieurwissenschaften an der TU Berlin; 2006 die Habilitation TU Berlin. Seit 2006 ist Spars Universitätsprofessor für das Fachgebiet Ökonomie des Planens und Bauens an der BU Wuppertal.

Michael Voigtländer (*1975) hat Volkswirtschaftslehre in Münster und Köln studiert. Seit Oktober 2005 ist Voigtländer am Institut der deutschen Wirtschaft Köln und seit Januar 2008 ist er Leiter Kompetenzfeld Immobilienökonomik innerhalb des Wis­senschaftsbereichs Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.