Visa-Debatte: So kommt man als Türke nach Österreich

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2015 stellte die Republik 22.906 Visa in Ankara und Istanbul aus. Türken, die länger hier leben wollen, benötigen jedoch andere Papiere.

Wien/Ankara. Die Auseinandersetzung zwischen der EU und der Türkei über die Reisefreiheit für Türken ist eine Debatte, die vor den Augen vieler unmittelbar Betroffener geführt wird. Türkische Staatsbürger zählen nämlich zu den häufigsten Gästen in der EU – und in Österreich.

Allein Wien gewährte im Vorjahr in den beiden Vertretungen in Ankara und Istanbul 22.906 Kurzzeitvisa (maximal 90 Tage Aufenthalt, andere Schengen-Länder inklusive). Alle Mitgliedstaaten des Schengen-Raums zusammen stellten an Bürger des 80-Millionen-Einwohner-Landes gar 862.184 Einreisebewilligungen aus.

Die schiere Zahl erklärt, warum das Thema von Präsident Erdoğan abwärts öffentlich so stark vorangetrieben wird. Zu tun hat die starke Reisetätigkeit der Türken mit den intensiven wirtschaftlichen, vor allem aber familiären Verflechtungen in die EU. Diese Verflechtungen auch regelmäßig zu pflegen ist mit einigem Aufwand verbunden.

Da für ein Schengen-Visum die Abgabe der Fingerabdrücke nötig ist, müssen nach Österreich reisende Türken eine der zwei Vertretungen persönlich aufsuchen. Für viele Antragsteller ist allein das, die Türkei ist flächenmäßig fast zehn Mal so groß wie Österreich, ein weiter Weg. Zudem ist ein Visum teuer, insbesondere dann, wenn die Verwandtenbesuche regelmäßig stattfinden. Ein Antrag kostet pro Person 60 Euro. Bei einem mittleren verfügbaren Jahreseinkommen von etwas mehr als 7000 Euro pro Haushalt und Jahr geht das bei mehreren Reisenden schnell ins Geld.

103.201 Türken haben Aufenthaltstitel

Auch der bürokratische Aufwand für die Antragsteller ist enorm. Neben der Abgabe des mehrseitigen Antragsformulars sind tiefe Blicke ins Privatleben zu gewähren. Vorzulegen sind u. a. Einkommens- bzw. Unterhaltsnachweise, eine Bestätigung des Unterkunftgebers (privat oder ein Hotel) und einiges mehr. Die Bearbeitungszeit beträgt etwa vier Wochen.

Umgekehrt ist es einfacher. Österreicher, die in die Türkei wollen, füllen zwei Tage vor der Reise online ein Formular aus. Ganz Eilige können das Visum auch direkt an der Grenze lösen. Kosten: 20 bzw. 30 US-Dollar.

Doch was, wenn das Visum (oder ein länger gültiges Langzeitvisum) nicht reicht? Ab einer Aufenthaltszeit von einem halben Jahr sind dann für Nicht-EU-Bürger sogenannte Aufenthaltstitel im Scheckkartenformat nötig. In Österreich wird die Gruppe dieser sogenannten Drittstaatsangehörigen zahlenmäßig von Türken angeführt. In der aktuellsten Auswertung von Juni 2016 – das entsprechende Register wird vom Innenministerium geführt – hielten diese 103.201 aufrechte Aufenthaltstitel (dahinter folgen Serben, Bosnier und Kosovaren). Das entspricht fast einem Viertel aller legal im Land aufhältigen Nicht-EU-Bürger überhaupt.

Aufenthaltstitel gibt es jedoch eine ganze Reihe. Befristete, unbefristete, mit und ohne Arbeitserlaubnis. Der mit Abstand am weitesten verbreitete Typ unter Türken ist die unbefristete Erlaubnis zum Daueraufenthalt (69.516). Arbeitserlaubnis inklusive. Sie erhält nur, wer vorher mindestens fünf Jahre legal im Land lebte und über entsprechende Deutschkenntnisse verfügt. Die zweite große Gruppe unter den Türken stellen Inhaber der Rot-Weiß-Rot-Karte plus (20.571). Sie berechtigt zur Niederlassung für maximal drei Jahre und gewährt unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. 9485 weitere Aufenthaltstitel entfallen auf Familienangehörige (kein Arbeitsmarktzugang, befristeter Aufenthalt). Der Rest (2466 Personen) verteilt sich auf die normale Rot-Weiß-Rot-Karte, die sogenannte Blau Karte und vorübergehende Aufenthaltsbewilligungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2016)

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