Auf der Jagd – wonach, wozu?

Die Jagd: Nahrungserwerb, Trophäenkult oder eitler Müßiggang? Oder am Ende doch eine Synthese aus Naturschutz und Waldwirtschaft? Über Sinn und Unsinn zeitgemäßen Weidwerks.

Das Beispiel der Jagd kann für viele Formen der Aneignung von Natur angewandt werden. Traditionen und Althergebrachtes konkurrieren wie in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen mit Neuem und vermeintlich Veränderungswürdigem. Traditionelle, reaktionäre und visionäre Jäger beleben die Szene. Die Harvard-Anthropologen Richard B. Lee und Irven DeVore erklärten das Jäger- und Sammlertum in ihrem Werk „Man the Hunter“ (1968) zu einer archetypischen Lebensform, die während zwei Millionen Jahren 99 Prozent der menschlichen Kulturgeschichte bestimmten. „The hunting way of life“ sei bis heute die dauerhafteste und erfolgreichste Anpassung, die der Mensch je vollzogen habe. Nimmt man an, dass es eine Langzeitprägung durch die Menschheitsgeschichte gibt und dass die Jagd mit ihren Emotionen stärker prägt als das Sammeln, dann müsste der Mensch im Wesen noch immer Jäger sein. Das regt zu anthropologischen Spekulationen an. Findet man nicht auch noch heute im Spitzen- und Breitensportler, im Alpinisten, dem Buchautor, dem Forscher oder auch dem Schürzenjäger die Jahrtausende alte Tradition des Jägers?

Die Anzahl der Jäger hat stetig abgenommen, während die Gesamtbevölkerung wuchs. So kann angenommen werden, dass sich 10.000 vor Christus die Weltbevölkerung auf rund zehn Millionen Menschen belief. Davon gingen an die 100 Prozent zumindest teilweise auf die Jagd. 1500 nach Christus war die Weltbevölkerung bereits auf 350 Millionen Menschen angewachsen, aber nur noch ein Prozent davon betrieb die Jagd. Heute ist der Anteil des Jägers an der Gesamtbevölkerung verschwindend klein.

Um die Jagd erfolgreich bestreiten zu können, muss man die Lebensgewohnheiten von Wildtieren genau studieren. Dabei ist es besonders bedeutsam, ihr Verhalten vorherzubestimmen, sie zu verstehen und auchnachzuahmen. Wildtiere werden auf diese Weise überlistet, wasein menschliches „Ur-Erfolgserlebnis“ in sich birgt. Gerade dies dürfte auch ein Grund dafürsein, dass heute nicht nur viele Männer, sondern auch eine große Anzahl an Frauen von der Jagd angezogen werden. Wenn man darüber hinaus betrachtet, wie viel der Erfolg bei der Jagd bedeutet und wie überbordend Jagdfieber sein kann, kann man sich einen allzu humanen Umgang mit Wald und Wild als Regel nur schwer vorstellen.

Befürworter der Jagd berufen sich oft auf die Wildschäden. Das österreichische Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft schildert die aktuelle Situation in einer Zusammenfassung des Wildschadensberichtes 2005 für Österreich folgendermaßen: „Trotz Verbesserungen der jagdgesetzlichen Bestimmungen betreffend den Schutz des Waldes vor Wildschäden in den 1990er-Jahren sind nach wie vor mehr als zwei Drittel aller österreichischen Wälder durch Verbiss so stark beeinträchtigt, dass die Verjüngung mit den waldbaulich erforderlichen Baumarten nicht oder nur mit Hilfe von Schutzmaßnahmen möglich ist.“

Dies alles implementiert Macht über die Natur. Viele Tiere sind jedoch dem Menschen an Schnelligkeit und Kraft bei Weitem überlegen. Deshalb war auch das Überlegenheitsgefühl des Menschen gegenüber Tieren in alten Kulturen nicht so weit verbreitet wie heute. Überlegenheit verspürte man nur selten – bei gezähmten Tieren wie dem Pferd, dem Hund oder vielleicht auch dem Jagdfalken. Deswegen hatten viele Götter eine Tiergestalt, und die Verschmelzung von Menschen und Tieren war in der Mythologie keine Seltenheit, was das Beispiel des Zentauren, des Pferdemenschen, beweist. Das Leben von Tieren war demnach schon immer eng mit dem des Menschen verbunden. So eng, dass Tiere für lange Zeit als Rechtssubjekte geachtet wurden. Beispiele dafür gibt es viele, etwa in der Bibel. Im Mittelalter wurden sogar Prozesse gegen Tiere abgehalten. So wurde ein Mutterschwein zum Tode verurteilt, welches seine Frischlinge zu Tode gebissen hatte.

Erst in der Neuzeit änderten die philosophischen Erkenntnisse René Descartes' die Einstellung des Menschen zu Tieren maßgeblich. Das Bewusstsein oder auch der Geist waren für ihn die wichtigsten Eigenschaften, denn diese unterscheiden den Menschen von der Maschine und auch den Tieren, die nunmehr zur Sache erklärt wurden. Immanuel Kant konstatierte: Menschen sind vernünftig, Tiere nicht. Erst der englische Philosoph Jeremy Bentham relativierte die Annahmen Descartes' und Kants. Er hielt fest, dass die Vernunft nicht das einzige Kriterium der Unterscheidung zwischen Menschen und Tieren sein könne. Er meinte, dass es nicht um die Frage gehe, ob Tiere denken oder sprechen können, sondern lediglich darum, ob sie leidensfähig sind. Weiters prophezeite er, dass eine Zeit kommen werde, in der die Menschheit ihren schützenden Mantel über alles ausbreiten werde, was atmet.

Motive, auf die Jagd zu gehen, haben sich grundlegend geändert. War die Jagd einst ausschließlich Nahrungserwerb, später Vorspiel und Spiegel des Krieges, ist sie in der heutigen Zeit vor allem auf das vermeintliche Erleben von Natur ausgerichtet, auf den Ausgleich zur Bewältigung von Stress und eventuellen „Burn-outs“, auf die Anbahnung von Geschäften, auf gesellschaftliches „Gesehenwerden“, aber auch auf die Konkurrenz zwischen Jägern im Hinblick auf die Trophäenhege. So sprechen Jäger nur noch peripher von der Menge an Fleisch, die durch ein erlegtes Wildtier erzielt werden kann. Für den Jäger von heute ist es stattdessen wichtig geworden, welches Ausmaß das Siegeszeichen seiner jagdlichen Aktivitäten, die kapitale Jagdtrophäe, mit sich bringt.

Der Ursprung dieser Entwicklung ist in den Revolutionsjahren um 1848 zu suchen. Das Umsturzjahr brachte jedem Untertanen die Befreiung von „Jagdfron“ und „Jagdrobot“. Bürger und Bauern begannen zu jagen. Dabei wurde das Jagdrecht wieder zu dem, was es zur Zeit der germanischen Markgenossenschaft war, ein Zubehör des Grundeigentums. Somit wurde der Bauer zum Jagdberechtigten, und der Bürger kaufte Liegenschaften auch um des Jagens willen. Für beide bisher an der Jagd ausgeschlossenen Gruppen war es ein Bestreben, dem etablierten Adel Konkurrenz zu machen. Dabei degradierte man sich gegenseitig, um sich voneinander abzugrenzen. DerAdel war von den Neuerungen dieser Entwicklungen nicht immer begeistert, da sich vor allem für ihn die größten Veränderungen ergeben hatten. „Jetzt sind wir dran!“, hieß die Parole, die vielerorts auf fruchtbaren Boden fiel, und das Wild wurde unter dem Einfluss der neuen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse stark dezimiert.

Wieweit man diese Dezimierung als Verlust ansieht, hängt damit zusammen, wie man Natur definiert. Faktum ist, dass jene Entwicklungen weitreichende und positive Einflüsse auf das Baumwachstum hatten. Joachim Radkau meint dazu in seinem Buch „Natur und Macht. Eine Weltgeschichte der Umwelt“ (C.H. Beck): „Zahlreiche wertvolle schöne Tannenmischbestände im Schwarzwald verdanken ihre Entstehung der Revolution von 1848, als die Bauern ungehindert Jagd auf das Wild machten.“

Die Gegenreaktion ließ nicht lange auf sich warten. 1869 wurden die beiden ältesten Jagdschutzvereine, der „Allgemeine Deutsche Jagdschutz-Verein“ und der „Tiroler Jagd- und Vogelschutz-Verein“, ins Leben gerufen. Der als unmittelbare Folge der Demokratisierung der Jagd eingetretene schlechte Zustand der Wildbestände, die unzureichenden Jagdgesetze, das Wildererunwesen weckten bei den verantwortungsbewussten Jägern den Wunsch nach Zusammenschluss mit Gleichgesinnten in Vereinigungen, die sich vor allem die Beseitigung der Missstände, die Erziehung der Jäger zu Weidgerechtigkeit, die Pflege des jagdlichen Brauchtums und die Vertretung der Interessen ihrer Mitglieder zur Aufgabe machten.

Auffallend für diese Zeit war, dass der Bürger durch die Jagd versuchte, der Welt der sich abgrenzenden Aristokratie näherzurücken. Man begann, die Symbole des Adels an sich zu reißen und dem demonstrativen Müßiggang der Jagd zu frönen. Welch hohes Ansehen die Jägerei noch zur Zeit des österreichischen Kaisers Franz Joseph genoss, ist bekannt. So wurden zwei Hofjagdleiter in den Rang von Hofräten erhoben.

Zur gleichen Zeit versuchten sich der Adelige und der Bürger vom „werkenden Bauern“ zu unterschieden. Dieser lebte unmittelbar von Grund und Boden und stellte sich gegen das vom Hege- und Trophäengedanken motivierte Jagen des Bürgers und der Aristokratie. Die neu gegründeten Jagdschutzvereine diffamierten ihn als Fleischjäger, Hasensucher und Geißenschießer. Vielfach war der Bauer jedoch ein umsichtig und nachhaltig jagender Mensch, der mit der Jagd den eigentlichen Sinn dieser Tätigkeit verband: nämlich Beute zu machen, um etwas Schmackhaftes auf den Tisch zu bekommen, und natürlich auch, um Wildschäden auf seinen für ihn überlebenswichtigen Acker- und Waldflächen zu verhindern.

Beim Bauern handelte es sich häufig um einen jagdlichen Profi, der auch in der Lage war, bei geringen Wilddichten erfolgreich zu sein. Deswegen ist die damalige bäuerliche Jagd aus heutiger Sicht bereits als Ertragsschutz und auch als Naturschutz zu bewerten, welche intuitiv auf ökonomische und ökosystemare Interessen abzielte. In dieser Art, zukunftsfähig zu wirtschaften, dürfte auch die Antwort auf die bis heute nicht gefundene Synthese von Jagd, Naturschutz und Waldwirtschaft zu suchen sein. Dies sind jedoch auch jene Jahre, in denen man begann, der Stärke von Jagdtrophäen ein immer größeres Gewicht beizumessen, um so die Zugehörigkeit zur vornehmen Welt dokumentieren zu können. Die Entwicklung zum Trophäenkult fand ihren ersten Höhepunkt in den Jahren 1880 und 1882, als in Graz die weltweit erste „Geweih-Concurrenz und Abnormitäten-Ausstellung“ abgehalten wurde.

Die angeführten Darstellungen können als Herausforderung des heutigen Jägers bewertet werden. Vor allem in Bezug auf den Umstand einer immer gefährdeter erscheinenden Biosphäre. Die Frage ist, ob die Jägerschaft an ihren althergebrachten Traditionen festzuhalten pflegt oder ob erwogen werden könnte, ein „Update“ dieser sozialen Gruppe kontrolliert ablaufen zu lassen.

Hierbei sollte vor allem das Denken in Arten, vorwiegend in Bezug auf pflanzenfressende Paarhufer, durch das Denken in Biotopen abgelöst werden, wobei die Erhaltung natürlicher Prozesse im Mittelpunkt stehen sollte. Zu diesem Zweck wäre es überlegenswert, die Lerninhalte der aktuellen Jungjägerausbildung anzupassen. Auch das Lehrpersonal von Jägerkursen sollte sich neuen Herausforderungen stellen. Als mögliches Hilfsmittel gelten, wie in anderen Bereichen der Erwachsenenbildung, „Train-the-Trainer“-Ausbildungen mit verpflichtenden Abschlussprüfungen und Zertifikaten. In den Ausbildungszyklen sollten wissenschaftliche Erkenntnisse der Wildbiologie eine entscheidende Rolle spielen.

Welchen Zweck die Pflichttrophäenschau, auch Hegeschau genannt, in der heutigen Zeit für die Jägerschaft noch erfüllt, bleibt unklar. Als Experiment erschiene es interessant, diese Trophäenschauen und die damit verbundene Vorlage von Geweihen und Gehörnen auf freiwilliger Basis zu ermöglichen, da nicht mit Gewissheit gesagt werden kann, wie der praktizierende Jäger zu diesem althergebrachten Ritual noch steht.

Darüber hinaus könnte diskutiert werden, diese zu Informationsveranstaltungen für die Öffentlichkeit auszubauen, denn gerade das Bild des Jägers in der öffentlichen Meinung und die Vermittlung seines Aufgabenspektrums wird in Zukunft immer entscheidender für die Langfristigkeit des Weidwerks werden. Der Jäger würde somit offensiv und unverkennbar als Nutzer und auch als Anwalt und Schützer der Wildtiere in der öffentlichen Diskussion wahrgenommen werden können. Als Nutzer dahingehend, dass er dafür verantwortlich ist, ein hochwertiges Lebensmittel für den Konsumenten am Markt anzubieten.

Dem Zukunftsbild des Jägers können zusammenfassend demnach drei Funktionen zugeordnet werden. Die erste Funktion ist, wie gesagt, die des Nutzers, wobei die Jagd als aneignende und als nicht produzierende Wirtschaftsform angesehen werden sollte. Der Jäger ist hierbei Garant und Lieferant eines hochwertigen Lebensmittels.

Die zweite Funktion des Jägers bezieht sich darauf, dass er als der Anwalt von Wildtieren in der öffentlichen Diskussion stärker wahrgenommen werden sollte. Dabei tritt er für das Lebensrecht von Wildtieren ein, welche durch den erholungssuchenden und wirtschaftenden Menschen in ihrem Lebensraumanspruch immer mehr eingeschränkt werden.

Die dritte Funktion des Jägers kann vermehrt im Schutz von Wildtieren gesucht werden. Hierbei bedürfte es einer Neudefinition des klassischen Hegegedankens, wobei man im Einvernehmen mit Grundbesitz, Öffentlichkeit, Wirtschaft und Tourismus einer umfassenden Lebensraumhege Vorschub leisten könnte.

Der Soziologe Ulrich Beck spricht vom Übergang der Klassengesellschaft zur Risikogesellschaft. In dieser Gesellschaftsform ist jede soziale Gruppe dafür verantwortlich, dass negative Folgen des Zusammenlebens bestmöglich vermieden werden können. Es wird aus dieser Perspektive immer wichtiger werden, dass die Gesamtgesellschaft mit der Jagd einen unmittelbaren Zweck und Nutzen und nicht nur ein „edles Handwerk“ verbindet.

Allgemein kann gesagt werden, dass sich der Jäger seiner ökosystemaren Verantwortung und seiner aneignenden Nutzung als Lieferant eines hochwertigen Nahrungsmittels bewusst sein muss. In Zeiten immer problematischer erscheinender Umweltbedingungen steht der Jäger vor einer besonderen Herausforderung, weil der Problematik von Wildschäden noch immer eine wesentliche Bedeutung zukommt. Auch der erholungssuchende Mensch wird in Zukunft Druck auf Wildtierlebensräume ausüben.

In dieser dreifachen Funktion „Nutzer – Anwalt – Schützer“ wird die zukünftige Aufgabe des Jägers zu suchen sein. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2009)

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