Das Ende der britischen Zurückhaltung

Die Bank of England setzt alles daran, die negativen Wirkungen des Brexit abzufangen – und senkt erstmals seit 2009 die Zinsen.
Die Bank of England setzt alles daran, die negativen Wirkungen des Brexit abzufangen – und senkt erstmals seit 2009 die Zinsen. (c) APA/AFP/JUSTIN TALLIS
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Die englische Notenbank packt die Bazooka aus, senkt die Zinsen – und feuert Geld aus allen Rohren. Einen Einbruch der britischen Wirtschaft wird sie aber nicht verhindern können.

Wien/London. Sie hat getan, was sie tun musste – und ließ sich nicht lumpen. Die englische Notenbank hat am Donnerstag die Zinsen zum ersten Mal seit 2009 gesenkt, um den wirtschaftlichen Folgen des Brexit entgegenzuwirken.

Die Bank of England (BoE) schraubte den Leitzins von 0,5 Prozent auf 0,25 hinunter. Aber damit nicht genug – um die hohe Erwartungshaltung der Märkte nicht zu enttäuschen, hat die BoE auch ihr Anleihen-Kaufprogramm massiv ausgeweitet. Sie will 60 Mrd. Pfund in die Märkte kippen, umgerechnet etwa 70 Mrd. Euro oder 80 Mrd. Dollar. Und das ist nur das Geld für den Aufkauf von Staatsanleihen mit frischen Zentralbank-Scheinen. Dazu kommen noch rund zehn Mrd. Pfund, die in Unternehmenspapiere fließen sollen.

Die Zahlen sind astronomisch: Aus laufenden und abgeschlossenen Quantitative-Easing-Programmen hat die BoE bereits Papiere im Wert von rund 375 Mrd. auf den Büchern. Das wird nun auf 435Mrd. ausgeweitet. Allerdings sind diese Eingriffe nur einmalig und nicht monatlich, wie etwa die Anleihenkaufprogramme in Europa und Japan.

Viel weniger Wachstum

Auf einem globalen Level blasen die Europäische Zentralbank und die Bank of Japan nämlich schon bisher gemeinsam rund 180 Mrd. Dollar pro Monat in die Märkte. Dass die BoE jetzt auch wieder einsteigt, bedeutet eine Geldschwemme von bisher noch nie dagewesenem Ausmaß, die auch die langsam restriktivere US-Geldpolitik locker ersetzen kann. Die BoE schloss zudem eine weitere Lockerung der Geldpolitik nicht aus.

Und auch damit nicht genug. Zusätzlich zu den Gelddruck-Maßnahmen will BoE-Chef Mark Carney 100 Mrd. Pfund in einem speziellen Fonds bereitstellen, der den Banken die Weitergabe günstiger Zinsen bei der Kreditvergabe an die Wirtschaft und Haushalte schmackhaft machen soll. Carney sagte, die Banken hätten jetzt „keine Ausrede“ mehr, die niedrigen Zinsen nicht auch ihren Kunden weiterzugeben, und müssten mit Strafzahlungen rechnen, wenn sie dies nicht tun.

Gleichzeitig kürzte die Notenbank auch die Wachstumssaussichten für das Vereinigte Königreich dramatisch – und zwar so stark wie nie zuvor. War man im Mai noch von 2,3 Prozent Wirtschaftswachstum im Jahr 2017 ausgegangen, so glaubt man heute nur noch an ein Plus von 0,8 Prozent. Carney nannte die Entscheidung der britischen Bevölkerung, der EU den Rücken zu kehren, einen „Regimewechsel“ und sagte, dass Großbritannien nun sein Verhältnis zum gemeinsamen europäischen Markt neu definieren müsse.

Die BoE steht in diesem Zusammenhang auch in Kontakt mit der neuen Brexit-Regierung. Carney hat einen Brief an Schatzkanzler Philip Hammond geschrieben, in dem er auch erklärte, dass die Inflation weiterhin deutlich unter dem Ziel von knapp unter zwei Prozent liegen wird. Hammond antwortete darauf: „Ich bin dazu bereit, jeden notwendigen Schritt zu unternehmen, um die Wirtschaft und das Vertrauen zu stärken.“ Die Regierung will im Herbst weitere Maßnahmen präsentieren.

Pfund fällt, Gold steigt

Gemeinsam wollen Notenbank und Downing Street eine Rezession im Vereinigten Königreich verhindern. Viele Ökonomen bezweifeln allerdings, dass das gelingen wird. Das Centre for Economics and Business Research erwartet heuer noch ein Wachstum von rund 1,5 Prozent. Im kommenden Jahr sollen es nur noch 0,5 Prozent sein.

Zumindest die Märkte reagierten auf Mark Carneys Bazooka wie erwartet: Das Pfund Sterling sackte in Folge der Entscheidung um mehr als zwei Cent auf 1,3115 Dollar ab. Zum Euro verbilligte es sich um fast zwei Eurocent auf 1,18 Euro. Britische Aktienanleger freuten sich dagegen und zogen den Leitindex der Londoner Börse um 1,5 Prozent nach oben, nachdem er zuvor auf den tiefsten Stand seit über drei Wochen gefallen war. DAX und Euro Stoxx 50 stiegen um je ein halbes Prozent. Gold legte in Pfund ebenso deutlich zu, stieg aber auch in Euro und Dollar, wo es die Marke von 1260 Dollar pro Unze hinter sich ließ. (jil/ag.)

AUF EINEN BLICK

Die Bank of England hat am Donnerstag den Leitzins zum ersten Mal seit sieben Jahren wieder gesenkt – von 0,5 auf 0,25 Prozent. Gleichzeitig wurde ein neues Programm zum Aufkauf von Staats- und Unternehmensanleihen aufgelegt und ein 100 Mrd. Pfund schwerer Fonds geschaffen, der den Banken die Kreditvergabe erleichtern soll. Das alles sind Reaktionen der BoE auf das Brexit-Votum und den erwarteten Einbruch der britischen Wirtschaft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2016)

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