"Faust": Ein jeder suche sich was aus

Voss und Moretti
Voss und Moretti(c) APA/HANS KLAUS TECHT (HANS KLAUS TECHT)
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Direktor Hartmann eröffnete im Burgtheater seine erste Saison: Die Inszenierung von Goethes "Faust" war doppeldeutig; konventionell der erste Teil mit einem überragenden Mephisto Gert Voss, modisch flott der zweite Teil.

Hat dieses Tier mit den zwei Fausts, dieses schizophrene Monster, ein Hirn erdacht? Nach fast sieben Stunden inklusive einstündiger Pause glaubt man kaum, dass derselbe Mann diese beiden Teile von Goethes Welttheater inszenierte, die am Freitag im Burgtheater Premiere hatten. Doch im Programmheft stehen bei den Besetzungen zwar zwei verschiedene Schauspielgruppen mit zwei Greten, zwei Titelhelden, mehreren Teufeln, aber nur ein Chef: Regie Matthias Hartmann.

Der Neue, der von Zürich nach Wien gestoßen ist, hat sich offenbar das Vorspiel auf dem Theater zu Herzen genommen. Dort sagt der Direktor: „Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen,/Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus./Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;/Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.“


Ein Crashkurs. Hartmann hat geschickt geklotzt. Erst gab er den Wienern einen recht konventionellen, dreieinhalbstündigen ersten Teil der Tragödie vom ewig strebenden Magier Faust, der mit dem Teufel einen Pakt eingeht und ein Mädchen zugrunde richtet. Dann wartete er für die Hardcore-Faust-Fans mit einem modischen zweiten Teil auf, der sich frei bei frechen Neuerern wie Castorf und Pollesch bedient: Pfeif auf den überfrachteten klassischen Text, diesen Crashkurs in antiker Mythologie und deutscher Aufklärung, wir wollen zwei Stunden lang bis gegen Mitternacht geile Bilder sehen und uns in freier Rede vom Kapitalismus, der Biogenetik und dem ganzen Wahnsinn der Moderne erzählen lassen.

Mithilfe aufwendiger Technik und vor allem mit vielen Spitzenkräften des Burgtheaters ist das Unternehmen dann doch ein akzeptables geworden; kein großer Abend, aber ein massiver. Der traut sich was, der Hartmann.

In einem wesentlichen Punkt aber versagt er. Morettis Faust wurde im ersten Teil zu langatmig angelegt. Da gibt es keine magischen Momente, kein Verzweifeln an universalen Fragen, sondern Biederkeit, als ob das Stück im Zürcher Lehrermilieu spielte. Aus einem glatzköpfigen alten Gelehrten, der von allerlei technischen Mätzchen umgeben ist, der den ersten Monolog wie im Diktat in einen Laptop hackt, um diesen dann tatsächlich zu zerhacken, wird in der Hexenküche ein hölzerner junger Faust, der im Vergleich zu Mephisto, aber auch zu Gretchen farblos bleibt.

Strebendes Bemühen, nicht mehr. Dieser Faust ist kein Aufreißertyp, kein dämonischer Zauberer, sondern jemand, der die Bedeutungsschwere der Inszenierung mit Monotonie unterstreicht. Ein Problem-Faust. Moretti blüht nur kurz auf, wenn die junge Katharina Lorenz als erfrischendes Gretchen an seiner Seite ist. Die spielt hinreißend ein verliebtes, berechnendes, unschuldig-schuldiges Mädchen, sie verleiht der an sich beschränkten Rolle viele interessante Facetten.

Faust welkt noch stärker dahin, wenn er neben Mephisto Gert Voss steht. Nur in der kurzen, intensiven Szene auf dem Feld, bei der Abrechnung mit dem Teufel, ist zu erahnen, wie viel mehr da für den Protagonisten drin gewesen wäre im Zweikampf mit dem Bösen. Voss ist ein schmieriger, tödlich scharfer Clown. Auch er kommt nur in „Faust I“ zum Einsatz. Da gibt er aber alles, was er hat, und das ist reichlich viel. Er trägt zuweilen (Kostüme Johanna Lakner) knöchelkurze Hosen, seltsame Kopfbedeckungen, eine Jacke für Halbstarke, auf der „Magic“ steht. Er zaubert tatsächlich, besonders im Duett mit der köstlichen Maria Happel als Witwe Marthe. Auch die Chemie zwischen Voss und dem souveränen Ignaz Kirchner in Mehrfachrollen (Direktor, Herr, Geist, Hexe) stimmt.

Diese zauberhaften Momente, gediegene Leistungen von Franz J. Csencsits, Yohanna Schwertfeger, Simon Kirsch, Peter Mati?, Hermann Scheidleder und Stefan Wieland sowie die Kraft der technischen Spielereien und ein geistlich gestimmter Chor überdecken geschickt, dass die Inszenierung seltsam beliebig ist.

Hartmann mag das Dunkle, den Nebel ahnungsvoller Gestalten. Das Bühnenbild von Volker Hintermeier hat mehr Lichteffekte als Mobiliar. Kuben in unterschiedlichen Farben, mit sich verändernden Größen öffnen überraschend neue Räume. Das kann gelingen, etwa bei der bemerkenswert kurzen Walpurgisnacht, die nur aus Tönen und kaum erahnbaren Tänzen besteht, oder so aufgesetzt philosophisch schwer sein wie der riesige Steinblock, von dem Gretchen schließlich im Kerker erdrückt wird. Hat dieser Brocken auch Hartmann platt gemacht?


Das Experiment. Er kommt wieder hoch, hascht nach der zweiten Pause nach noch mehr Effekten: eine Off-Theater-Video-Charade mit Witz und Charme. Statt mobiler Kuben gab es für die fantastischen Szenen von „Faust II“ riesige, mit Neonlichtern gesäumte, halb transparente Projektionsflächen, die einen Raum im Raum ergaben.

Acht starke Schauspieler und drei Musiker schaffen eine bizarre Atmosphäre für komplexe Texte, die an den Hof, ins Laboratorium, in zu bezwingende Natur und schließlich mit Tilo Nest als greisem Faust ans Grab führen. Dietmar König ist köstlich als Kasperlkaiser, der sich vergeblich müht, die Hochfinanz zu verstehen, Joachim Meyerhoff spielt neben vielen anderen Rollen auch Mephisto, und er kann es tatsächlich mit Voss aufnehmen.

Den hätte man gerne auch im ersten Teil gesehen, so wie die großartige Caroline Peters, die Mephisto, Helena und sieben andere Rollen gibt. Stark auch Schwertfeger, diesmal als Erzählerin und in zehn weiteren Parts. Peter Knaack, Simon Kirsch und Wieland bewähren sich in multiplen Aufgaben. Der Massen-Faust endet bunt und respektlos, also beinahe versöhnlich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2009)

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