Politisch beeinflusst – und zu wenig transparent

Corinna Wenzel:
Corinna Wenzel:(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Wissenschaftlerin Corinna Wenzel würde dem Stiftungsrat ein Expertengremium vorziehen.

Die Presse: Junge Leute informieren sich zunehmend über soziale Medien. Klassische Medien – auch der ORF – verlieren in dieser Zielgruppe an Bedeutung. Ist das eine Gefahr für die Demokratie?

Corinna Wenzel: Medien sind heute für die Demokratie wichtiger denn je. Wir werden von Information aus allen Kanälen, etwa sozialen Medien oder Facebook, überschwemmt – da ist es wichtig, dass es eine Institution gibt, die Informationen filtert, wichtige Dinge selektiert und qualitativ hochwertig aufbereitet. Vor allem in einer Gesellschaft, in der sich junge Leute immer weniger bzw. anders für Politik engagieren.

Ist das so?

Früher war es üblich, dass man in Vereinen, Verbänden Mitglied war, sich in Parteien engagiert hat – das ist aber rückläufig. Heute informieren und organisieren sich die jungen Leute stärker über neue Medien und soziale Netzwerke. Das Interesse an politischen Themen ist aber noch da.

Welche Bedeutung hat der ORF?

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist wichtig. Die Idee dahinter ist eine gute: Wir garantieren mit öffentlichem Geld etwas, was auf dem privaten Markt zu kurz kommt. Andererseits gibt es Dinge, die aus demokratiepolitischer Sicht nicht optimal sind.

Was ist beim ORF aus demokratiepolitischer Sicht zu ändern?

Dazu gehört die Gremienstruktur: Wir haben da zwei riesige Gremien – den Stiftungsrat und den Publikumsrat mit jeweils 35 Mitgliedern: In Hinblick auf die Entscheidungsfindung ist diese Größe problematisch. Auf der anderen Seite werden im Stiftungsrat die Hälfte der Mitglieder nach wie vor durch die Politik bestellt. Auch wenn seit 2001 keine aktiven Politiker mehr im Stiftungsrat sitzen dürfen – es sind Personen, die parteiaffin sind, und es gibt keine Garantie, dass es keinen politischen Einfluss gibt.

Gibt es Länder, die es besser machen?

In Großbritannien wurde das BBC-Kontrollgremium auf zwölf Personen verkleinert. Die werden zwar von der Regierung vorgeschlagen, aber es sind Experten. So ein Expertengremium wäre ein gutes Modell.

Aber auch im Stiftungsrat sind unterschiedliche Fachbereiche vertreten.

Das stimmt. Aber die ursprüngliche Idee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist ja, dass er der Zivilgesellschaft dient – die ihn schließlich auch finanziert. Also müsste es eigentlich so sein, dass die Zivilgesellschaft dementsprechend in den Kontrollgremien repräsentiert ist. Das ist derzeit in Ansätzen im Publikumsrat der Fall, aber der hat de facto keine Kompetenzen. Im Stiftungsrat ist die Frage des politischen Einflusses nach wie vor da. Problematisch ist auch, dass die Protokolle der Stiftungsratssitzungen nicht öffentlich gemacht werden – diese mangelnde Transparenz ist vor dem Hintergrund, dass der ORF durch Gebühren finanziert wird, problematisch. Auch private Aktiengesellschaften haben die Verpflichtung, gewisse Informationen offenzulegen.

Was könnte man an der Struktur des ORF noch verbessern?

Es wäre sicher keine schlechte Idee, die Entscheidungsbefugnisse auf mehrere Personen aufzuteilen – das historische Prinzip der Gewaltenteilung schadet nie.

ORF-General Alexander Wrabetz hofft schon auf die nächste Gebührenerhöhung. Die Privatsender wollen aber auch Geld für öffentlich-rechtliche Inhalte.

Die traditionelle Art, private Medien zu finanzieren – durch Werbung –, wird immer schwieriger. Werbegeld wandert ins Onlinegeschäft und wird oft durch internationale Player wie Google oder Facebook abgezogen. Gleichzeitig werden Inhalte, die nationale Medien produzieren, von diesen Playern kostenlos und ohne Vergütung angeboten. Ich glaube daher, langfristig wird es qualitativ hochwertigen Journalismus ohne öffentlichen Beitrag nicht geben.

Es gibt Fördermodelle für Medien – aber mit gravierenden Schwachstellen.

Die Print-Förderung wird bei uns nach dem Gießkannenprinzip ausgeschüttet. Da stellt sich dann die Frage: Brauchen gewisse reichweitenstarke Printmedien eine öffentliche Förderung? Es gibt auch beschränktes Fördergeld im Privatrundfunkfonds. Das ist eine projektorientierte Förderung: Privatsender können sich mit bestimmten Sendungen um Fördergeld bewerben. Es wäre sinnvoll, auch im Pressebereich über Fördermodelle nachzudenken, die projektorientiert und nicht an ein bestimmtes Medium gebunden sind. Das wäre eine Möglichkeit, wie man außerhalb des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Qualitätsjournalismus erhalten könnte.

Woher könnte denn das Geld für eine solche Medienförderung kommen?

Im Endeffekt ist das eine politische Frage: Wo nehme ich Geld weg, und wo investiere ich? Es ist ein roter Faden, der sich seit den 1950er-Jahren durch die Medienpolitik zieht: Man tut eher nichts, als einzugreifen. Das liegt an der politischen Kultur: Es hat lang nur den ORF gegeben, und der war ein willkommenes Instrument für Interventionen. Auf der anderen Seite gab es eine konzentrierte Printmedienlandschaft – auch dort pflegte man über öffentliche Inserate Freundschaften. Erst Mitte der 1990er-Jahre wurde Österreich durch ein Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs gezwungen, den Privatrundfunkmarkt zu liberalisieren – das hat man widerwillig getan. Gleichzeitig hat man den Privat-TV-Markt wenig, den ORF aber stark reguliert – er kann online wenig machen, was schade ist, weil gerade dort die junge Bevölkerung erreicht werden könnte.

Was halten Sie von der Idee eines werbefreien ORF?

Aus demokratiepolitischer Sicht wäre das wünschenswert. Die Finanzierung durch Werbung kann problematisch sein, weil man Einflüsse aufs Programm nicht ausschließen kann. Gleichzeitig sind aber die Gebühreneinnahmen begrenzt: Bei acht Millionen Einwohnern kommt beim ORF nicht so viel herein wie beispielsweise bei den deutschen öffentlich-rechtlichen Veranstaltern. Ich kann aber schwer beurteilen, wie notwendig die Werbeeinnahmen für den ORF sind, weil viele Informationen vom ORF nicht öffentlich gemacht werden.

Warum ist die Medienpolitik in Österreich so träge?

Medienpolitik wird in Österreich wenig öffentlich diskutiert – ist auch in der Regierung ein Stiefkind. Es existiert ja nicht einmal ein Medienressort. Ich vermute, dass die Politik über Medien gar nicht öffentlich diskutieren will, weil es in Österreich eine starke Verflechtung und Abhängigkeit zwischen Politik und Medien gibt.

ZUR PERSON

Corinna Wenzel (* 1987 in Linz) ist Juristin, Kommunikations- und Politikwissenschaftlerin und versucht in ihrer Arbeit, kommunikationswissenschaftliche mit rechtlichen Fragen zu verbinden. Sie war wiss. Mitarbeiterin an der Universität Salzburg und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und betreut selbstständig medienwissenschaftliche Projekte, unter anderem für den ORF.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2016)

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