Was wir uns vom ORF wünschen

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Wie kann der ORF das Vertrauen der Zuschauer zurückgewinnen? Ein moderner „Club 2“ wäre nicht schlecht – und Shows, die Junge auf Facebook teilen.

Eines weiß man schon vor der ORF-Wahl am Dienstag: Ein Erneuerer für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist nicht in Sicht. Amtsinhaber Alexander Wrabetz hat keine umwerfenden Veränderungen angekündigt – wie auch: Er verantwortet die Entwicklung des ORF seit zwei Amtsperioden und würde mit drastischen Neuerungen seine bisherige Arbeit in Zweifel ziehen. Andererseits: Nachdem dies aller Wahrscheinlichkeit nach seine letzte Amtszeit sein wird, könnte er sich jetzt auch durchaus etwas trauen – und in Bereichen aufräumen, in denen es unbequem ist, wie in der ORF-Technik, deren starker Betriebsrat seine Macht vor allem im Stiftungsrat ausspielt.

Herausforderer Richard Grasl gibt sich in seinem Bewerbungskonzept etwas angriffiger – er muss die Stiftungsräte überzeugen, dass er es besser (also anders) machen wird. Allerdings ist auch Grasl als Finanzdirektor Teil des Küniglberg-Establishments. Was der ORF eigentlich brauchte, kommt in beiden Konzepten zu wenig heraus: neue Ideen und kreative Köpfe, ein Programm, mit dem er sein Publikum wieder begeistern und das verloren gegangene Vertrauen zurückgewinnen kann, vor allem auch die jungen Hörer und Seher, die zunehmend in andere Medienwelten abdriften – und auf Plattformen ausweichen, auf denen jeder alles verbreiten kann, auch den größten Unsinn. Jede ORF-Wahl ist auch so etwas wie die große Chance des ORF: Jetzt besteht die Möglichkeit, es neu – und besser zu machen. Man muss sich entscheiden: Will man einen öffentlich-rechtlichen Sender mit qualitätsvollem Programm oder einen kommerziellen Sender, der nach Quoten giert? Was es jetzt braucht, ist mehr Mut – in allen Bereichen.

Information

Die Information ist das Kernstück des ORF, die Pflicht – und sie ist der sensibelste Teil des Unternehmens, weil sie dem ständigen Versuch der Intervention ausgesetzt ist – und der härtesten Kritik. Hier muss der ORF noch sensibler werden, müssen die Fernsehstars selbstkritischer agieren, muss man dem Zuschauer, der die Sache finanziert, das bestmögliche Programm sichern. Da gibt es eigentlich kein Zuviel, sondern nur ein Mehr. Aber bitte mit Niveau! Parteipolitisch besetzte Talkrunden, die immer gleichen Gesprächspartner und Themen, die längst durchgekaut sind – damit kann man keinen Vertrauensverlust wettmachen.

Gerade bei Talks und Interviews mäandert die ORF-Attitüde zwischen Beißreflex („ZiB 2“, „Im Zentrum“) und Maulkorb (bei zahmen Landesstudio-Interviews). Wünschenswert wäre u. a. so etwas wie ein modernisierter „Club 2“, in dem auch Tabubrüche möglich sind, damit im Land wieder über das, was man im ORF gesehen hat, diskutiert wird. Es braucht in diesem Bereich innovative Köpfe, die sich etwas Neues einfallen lassen – wie Hanno Settele mit seinem ungewöhnlichen Format der „Wahlfahrt“. Und warum sendet der ORF entgegen wiederholten Ankündigungen noch immer kein Medienmagazin? Gerade die Diskussion mit und über Medien wäre eine demokratiepolitisch wichtige Aufgabe – auch wenn der Themenbereich Konfliktpotenzial birgt. Als mit Abstand bestfinanziertes Medienunternehmen sollte der ORF auch die Themenführerschaft im Land haben – hat er aber oft nicht. Und er ist nicht schnell genug: Ob Brexit oder Terroranschläge – eine kurze Meldung im „ZiB“-Block ist nicht genug, wenn man doch eine ganze Frühstücks-TV-Leiste zur Verfügung hat. Dort liegt ein Großteil der Beiträge allerdings unter der Bagatellgrenze – das betrifft auch „Bundesland heute“, immerhin die quotenstärkste Sendung des ORF. Die Jungen erreicht der ORF immer weniger – dass die Werbeblöcke rund um die „ZiB 20“ gleich lang sind wie der Nachrichtenblock, stößt sogar Teenagern (die ohnehin nebenbei am Smartphone surfen) sauer auf. Die „ZiB 100“, die via WhatsApp ausgeschickt wird, ist ein guter Weg, um das jüngere Publikum zu erreichen, aber da liegt in ORF eins noch viel Potenzial brach.

Unterhaltung

Die Unterhaltung ist die Kür: Hier kann der ORF zeigen, was an Kreativität in ihm steckt. Da muss er sich mehr trauen. Das lustlose Abspielen von immer wieder „Big Bang Theory“ reißt die Jugend nicht vom Hocker – sondern wiegt sie sanft auf dem Sofa in den Fernsehschlaf. Warum nicht mutigere Serien wie „Modern Family“? Die besseren europäischen Produktionen laufen ohnehin auf Arte, und wenn sie doch beim ORF landen, dann zu nachtschlafener Zeit. Der ORF hat zu sehr die Quote im Auge, verliert sich dabei oft im Einheitsbrei dessen, was ohnehin alle machen, vor allem die Privaten.

Dabei zeigen Eigenproduktionen wie „Altes Geld“, „Vorstadtweiber“, „Braunschlag“, „Schnell ermittelt“ oder auch die „Landkrimis“, wie es gehen kann: Mit österreichischen Schauspielern und heimischem Flair sind diese qualitativ hochwertigen Filme sogar ein Exportschlager geworden, und der ORF kann einen Teil der Produktionskosten wieder zurückverdienen. Das Risiko, solch kostspielige Fiction-Ideen umzusetzen, kann und muss sich der ORF viel öfter leisten. Das Publikum liebt gut erzählte Geschichten – weshalb der ORF auch wieder ein Kinomagazin ins Leben rufen sollte, das diesen Namen wirklich verdient.

Und wo bitte sind die mitreißenden neuen Showformate? Das ist freilich noch mehr Aufwand, noch teurer als Spielfilme und Serien – weshalb man sich in der Branche und im ORF derzeit mit Wiederkäuen und Aufwärmen begnügt. Es muss ja keine Mammutshow wie „Wetten, dass . . ?“ sein, aber vielleicht findet sich ja auch im ORF der eine oder andere Querdenker, der sich mit einer wohldosierten Portion an Humor und Intelligenz in ein unterhaltsames Abenteuer stürzen möchte – „Joko und Klaas“ mögen im deutschen Fernsehen schon omnipräsent sein, aber: Über die zwei reden, facebooken und twittern auch die jungen Zuschauer.

Radio & Digital

Warum gerade beim Radio der Reformdruck nicht so hoch ist, ist leicht erklärt: Es läuft und läuft und läuft – und der Markt ist so einzementiert wie die Rollenverteilung. Ö1 ist der Sender für die Klugen und die Klassikfans (und soll das bitte auch weiter bleiben). Ö3 ist die Melkkuh – sich dieses Format mit weniger Werbung (z. B. ohne aufdringliche Gewinnspiele) und ohne sinnbefreite Spielchen (à la: Kann die Mutter richtig beantworten, ob ihre Tochter schon einmal einen One-Night-Stand hatte?) zu wünschen ist wohl verlorene Liebesmüh. Die Jungen wollen ohnehin eine andere Musikfarbe und andere Formate hören. FM4 bedient sie offenbar nur bedingt – und erzielt nur vier Prozent Reichweite. Warum? Zu elitär? Zu wenig zugänglich vielleicht? Oder liegt es daran, dass der ORF die junge Zielgruppe auf ihren bevorzugten Kanälen – sozialen Medien wie Facebook – nur bedingt erreicht? In diesem Bereich könnte der ORF aktiver sein, doch er ist gesetzlich stark eingeschränkt. Auch bei den Onlineauftritten ist das ORF-Gesetz – vielleicht zu – restriktiv. Die TVthek hat sich seit der Einführung 2009 etabliert, doch technisch gibt es, vor allem im Vergleich mit internationalen Streamingangeboten, deutlichen Verbesserungsbedarf. Insgesamt hinkt der ORF beim Streaming (für das er keine Gebühren einheben darf) hinterher. Immer noch fehlt die schon oft versprochene Radiothek. Wertvolle Inhalte verschwinden so im Äther. Und Digitalradio? Daran hat der ORF offenbar kein Interesse. Warum auch? Als Platzhirsch kommt er mit seinen Radios auf einen Marktanteil von 60 Prozent.

Finanzen

Österreichs Rundfunk ist wirklich nicht arm: Für 2016 sind 598 Millionen Euro Einnahmen aus Gebühren und 220 Millionen aus Werbung prognostiziert. Trotzdem klafft regelmäßig ein Loch im Budget. Der ORF muss noch mehr sparen und besser haushalten. Personal- und Technikkosten verschlingen einen großen Teil des Budgets. Der ständige Ruf nach höheren Gebühren (ORF-General Wrabetz will sie im Herbst beantragen) schadet dem Image. In der werberelevanten Zielgruppe hat der ORF in den vergangenen Jahren verloren, das schwächt die Werbeeinnahmen. Der ORF könnte aktiv werden, indem er die öffentlich-rechtlichen Inhalte stärkt und das sichtbar macht. Dann hätte er ein Argument für mehr Gebühren – oder für eine Haushaltsabgabe, die dann alle betrifft, auch jene, die kein Fernsehgerät besitzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2016)

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