Kurz sieht Flüchtlingsdeal mit Türkei vor dem Aus

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Der Abbruch der EU-Gespräche mit der Türkei wäre "sinnvoll", so der Außenminister. Der Flüchtlingsdeal werde ohnehin "nicht halten".

Außenminister Sebastian Kurz bekräftigt seine Forderung nach einem Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei - und ist der Auffassung, dass auch das Flüchtlingsabkommen mit Ankara vor dem Aus steht: "Der Flüchtlingsdeal wird nicht halten", sagte Kurz in der "ZiB2" am Freitagabend. "Jetzt droht das Kartenhaus der verfehlten Flüchtlingspolitik in Europa zusammenzubrechen", sagte Kurz.

Der Minister forderte, die EU müsse hier "ihre Hausaufgaben machen", um "unabhängig und nicht erpressbar" zu werden. Ein Ende der Verhandlungen zwischen Brüssel und Ankara ist für Kurz deshalb "sinnvoll", weil die Türkei sich "in den letzten Jahren immer weiter weg von Europa entwickelt" habe und speziell in den letzten Wochen "eine immer dramatischere Entwicklung" genommen habe.

Man habe das Flüchtlingsthema an die Türkei delegiert und Ankara dafür finanzielle Zuwendungen, eine Visaliberalisierung und die Eröffnung neuer Kapitel der EU-Beitrittsverhandlungen zugesagt. Nun erfülle die Türkei aber nicht die Kriterien für die Visumfreiheit und die Voraussetzungen für die Beitrittsverhandlungen seien nicht gegeben - woraus Kurz ableitet, dass der Flüchtlingsdeal in absehbarer Zeit scheitern wird.

"Ordentliche Kontakte zur Türkei"

Die Antwort darauf sieht der Außenminister einerseits in "ordentlichen Kontakten zur Türkei" fernab einer EU-Mitgliedschaft, anderseits aber in einer verstärkten Wahrnehmung des Schutzes der EU-Außengrenzen und der Rückführung illegal Einreisender: "Wenn wir das nicht zustandebringen, sind wir schwach und verletzbar in der Diskussion mit der Türkei."

Gegenüber dem deutschen Nachrichtenmagazin "Focus" forderte Kurz erneut einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen, um den Flüchtlingszustrom einzudämmen. "Der wesentlichen Punkt ist, dass die Menschen an der Außengrenze gestoppt werden und die Rettung aus dem Mittelmeer nicht mehr mit einem Ticket nach Mitteleuropa verbunden ist", sagte der ÖVP-Politiker in der am Samstag erschienen Ausgabe.

"Vor der libyschen Küste wäre es definitiv sinnvoll, wenn Schlepperboote beim Ablegen gehindert würden", sagte er. "Wer illegal nach Europa reist, muss auf Inseln an der Außengrenze versorgt und dann in Zentren sicherer Drittstaaten zurückgeschickt, nicht weiter nach Mitteleuropa gewunken werden", so Kurz. Er sprach sich zudem für ein Umsiedlungsprogramm aus, um "Flüchtlinge in einem zahlenmäßig zu bewältigenden Ausmaß" legal in die EU zu bringen.

Auf die Frage, ob Österreich wieder Flüchtlinge nach Deutschland reisen lasse, falls der EU-Flüchtlingspakt mit der Türkei platze und es keinen gemeinsamen EU-Grenzschutz gebe, antwortete Kurz: "Wir sind definitiv gegen eine Politik des Durchwinkens. Aber wir sind auch nicht bereit zuzusehen, dass in unserem Land eine Überforderung eintritt. Als Notmaßnahme wären nationale Maßnahmen wieder denkbar." Dies sei aber nicht das Europa, in dem er leben wolle, sagte der Außenminister.

Auf Grundlage des Mitte März geschlossenen Flüchtlingsdeals nimmt die Türkei Flüchtlinge von den griechischen Inseln zurück. Ankara verlangt, dass Türken bis spätestens Oktober ohne Visum in die EU einreisen dürfen. Ansonsten will die Türkei das Abkommen nicht mehr anerkennen.

Die EU müsse dringend von Ländern wie Australien lernen, fügte der konservative Politiker hinzu. Die australische Marine weist systematisch Boote mit Flüchtlingen ab. Flüchtlinge, die dennoch an Land gelangen, werden in Internierungslagern auf kleinen Inseln im Indischen oder Pazifischen Ozean untergebracht. Menschenrechtsorganisationen kritisieren dieses Vorgehen und die Zustände in den Lagern auf den Inseln scharf.

(APA)

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