Erdogan sucht Neuanfang mit Putin

RUSSIA TURKEY DIPLOMACY
RUSSIA TURKEY DIPLOMACYAPA/EPA/IVAN SEKRETAREV / AP / P
  • Drucken

Mit seiner Reise signalisiert der türkische Präsident, dass er jenseits von EU und Nato Partner sucht. Doch der gemeinsame Argwohn gegen Europa und die USA reicht für ein starkes Bündnis nicht aus.

Istanbul/Washington. Nicht Angela Merkel oder Barack Obama, sondern Wladimir Putin wird der erste Chef einer internationalen Führungsmacht sein, der nach dem Putschversuch in der Türkei vom 15. Juli mit dem türkischen Präsidenten, Recep Tayyip Erdoğan, zusammenkommt. Erdoğans Besuch bei Putin am Dienstag in St. Petersburg ist in erster Linie der Versuch eines Neuanfangs in den krisengeschüttelten Beziehungen zwischen der Türkei und Russland. Da die Visite in Zeiten eskalierender Spannungen zwischen Erdoğan und dem Westen stattfindet, stellt sich die Frage, ob hier eine neue Allianz entsteht. Vieles spricht dagegen – bedeutsam ist Erdoğans Visite dennoch, da sie ein deutliches Zeichen für eine neue türkische Außenpolitik ist.

Zwar decken sich türkische und russische Sichtweisen in einigen Bereichen. Putin und Erdoğan misstrauen dem Westen und vermuten, dass Europäer und Amerikaner heimlich an einer Destabilisierung ihrer Länder arbeiten. Putin wirft dem Westen vor, die Krise in der Ukraine provoziert zu haben und die Wirtschaftssanktionen gegen Moskau im Geiste des Kalten Krieges als Instrument zur Eindämmung des russischen Einflusses zu benutzen. In der Türkei haben Mitglieder der Regierung erklärt, die USA hätten den Putschversuch vom Juli organisiert. Erdoğan nennt den Westen Unterstützer des Terrors.

Auf verschiedenen Seiten in Syrien

Doch der gemeinsame Argwohn gegen EU und USA allein genügt nicht als Basis für ein starkes Bündnis zwischen Ankara und Moskau. Im Syrien-Konflikt etwa stehen die beiden Länder auf verschiedenen Seiten. Das russische Engagement zugunsten des syrischen Staatspräsidenten und türkischen Erzfeindes, Bashar al-Assad, löste im November jene Krise aus, die mit Erdoğans Besuch in Russland jetzt für beendet erklärt werden soll: Ein türkischer Kampfjet schoss an der syrischen Grenze eine russische Militärmaschine ab. An den gegensätzlichen Positionen in Syrien hat sich seitdem nichts geändert. Russland hält an Assad fest, um in Nahost mitzumischen. Dagegen will Ankara den syrischen Präsidenten lieber heute als morgen aus dem Amt jagen und aus Syrien einen von sunnitischen Glaubensbrüdern dominierten Staat machen – ohne russischen Einfluss. In der derzeitigen Schlacht um die nordsyrische Wirtschaftsmetropole Aleppo stehen die Türken hinter den Rebellen, während Putin die syrischen Regierungstruppen unterstützt.

Vor der Krise um den abgeschossenen Jet haben beide Seiten ihre Differenzen im Syrien-Konflikt zugunsten einer florierenden Kooperation in der Energie- und Tourismuspolitik ausgeklammert. Nach dem Ende des Streits könnte diese Zusammenarbeit neu beginnen. Doch schwere Differenzen bleiben, nicht nur in Syrien. Als Erben verfeindeter Großreiche sind die Türkei und Russland alte Rivalen im Kaukasus. Im Ukraine-Konflikt schlug sich die Türkei in den vergangenen Monaten eindeutig auf die Seite Kiews. Auch die Nato-Mitgliedschaft der Türkei steht einem engen Bündnis mit Moskau entgegen.

Wahrscheinlicher als eine türkisch-russische Allianz ist eine andere Neuorientierung. Seit Langem fordern wichtige Erdoğan-Berater, das Land solle sich vom Westen lösen und als unabhängige Regionalmacht eine eigene Außenpolitik betreiben. Diese Stimmen sind mit der aktuellen antiwestlichen Stimmung noch lauter geworden. Erdoğans Schimpftiraden gegen Europa und den Westen, der Streit mit Österreich sowie der Besuch in Russland könnten Zeichen dafür sein, dass diese Absetzbewegung jetzt beginnt. Erdoğan sendet das Signal, dass die Türkei jenseits von EU und Nato Partner sucht. Weniger denn je betrachtet sich das Land als festen Bestandteil des Westens. Der Umgang mit Erdoğan wird für Europäer und Amerikaner noch schwieriger.

AUF EINEN BLICK

Am Dienstag kommen der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, und der russische Staatschef, Wladimir Putin, in St. Petersburg zusammen. Das Treffen soll den monatelangen Streit der beiden Länder beenden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Hakan Sükür
Fußball

Türkei: Haftbefehl gegen Ex-Starkicker Sükür?

Nach dem Putschversuch ist auch die schillerndste Figur in der Geschichte des türkischen Fußballs ins Visier geraten.
Präsident Erdogan vor Anhängern in der Nacht auf Donnerstag
Außenpolitik

Erdogan: USA müssen zwischen Türkei und Gülen entscheiden

Der türkische Präsident fordert erneut von Washington, Fethullah Gülen auszuliefern. Ankara wirft dem Prediger vor, hinter dem jüngsten Putschversuch in der Türkei zu stehen.
Mavlüt Cavusoglu wirft dem Westen vor, an der Vertrauenskrise selbst schuld zu sein.
Außenpolitik

Türkei: "EU hat Test nach Putschversuch nicht bestanden"

Außenminister Cavusoglu ist erbost über Kritik aus dem Westen, er sieht das Ansehen der EU in der Türkei schwer beschädigt. Österreichs Kanzler Kern bleibt bei seiner Kritik.
Außenpolitik

Morddrohungen gegen Gülen-Anhänger in Deutschland

Deutsch-türkische Erdogan-Anhänger rufen zum Boykott von bestimmten Geschäften auf. Es sei "wie in den 30er-Jahren, als es hieß: Kauft nicht beim Juden", sagt ein Betroffener.
Zivilisten blockieren nach dem Putschversuch am 15. Juli die Einfahrt eines Militärgeländes in Ankara.
Außenpolitik

Türkischer Admiral beantragte angeblich Asyl in den USA

Der Offizier wird nach dem Putschversuch in der Türkei per Haftbefehl gesucht. Er war auf einem Nato-Stützpunkt stationiert.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.