Erdogan wirft Deutschland vor, "Terroristen zu füttern"

Turkish President Erdogan speaks during Democracy and Martyrs Rally in Istanbul
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Der Präsident ließ sich von Millionen Menschen in Istanbul feiern und liebäugelt einmal mehr mit der Todesstrafe. Dies würde ein Ende der EU-Beitrittsverhandlungen bedeuten.

Erst die Hymne, dann Koran-Verse, und alles in einem Meer aus türkischen Fahnen: Die Kundgebung, zu der der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan für Sonntagabend aufgerufen hatte, war auch ein Symbol für Erdogans Verbindung von türkischem Nationalismus und Religion.

Erdogan hat vor seinen Anhängern die Einheit seines Landes beschworen und sich gegen Kritik aus dem Westen verwahrt. An der Kundgebung drei Wochen nach dem Putschversuch von Teilen des Militärs. haben sich Millionen Menschen beteiligt. Nach Angaben türkischer Medien waren es bis zu drei Millionen Menschen, türkische Regierungskreise sprachen von fünf Millionen.

Neben Erdogans islamisch-konservativer Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) beteiligten sich auch die Oppositionsparteien CHP und MHP. Die kurdische HDP wurde nicht zu der Kundgebung eingeladen.

"Wo ist die Demokratie in Deutschland?"

Bei seiner Rede übte Erdogan scharfe Kritik an den deutschen Behörden. Zu dem Verbot, ihn Ende Juli bei einer Großdemonstration seiner Anhänger in Köln per Videoschaltung zu den Teilnehmern sprechen zu lassen, sagte Erdogan am Sonntag: "Deutschland hat die Videoschaltung nicht erlaubt, wo ist die Demokratie?" Mit Blick auf Kämpfer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sagte Erdogan, eine Videoschaltung von "denen in den Kandil-Bergen" hätten die deutschen Behörden hingegen schon einmal erlaubt. "Was immer passiert, morgen wird es nicht so sein, wie sie es erwarten", fügte der türkische Staatschef hinzu. "Es wird sie wie ein Bumerang treffen. Lasst sie diese Terroristen füttern, sie werden sie auch treffen."

Der gescheiterte Putsch von Mitte Juli sei ein Meilenstein hin auf dem Weg zu einer stärkeren Türkei, meinte der Präsident. Den "Feinden" sei bewusst geworden, dass von nun an für sie alles schwieriger sein werde. "Wir werden ab jetzt sehr genau prüfen, wen wir unter uns haben." Das gelte für das Militär ebenso wie für die Justiz. "Die anderen werfen wir zur Tür raus."

Für Einführung der Todesstrafe

Das Netzwerk des im US-Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen, den Erdogan für den Drahtzieher des Putsches hält, werde zerschlagen. Sollte das Parlament für die Einführung der Todesstrafe stimmen, so werde er dies billigen. Schließlich gebe es die Todesstrafe auch in vielen anderen Ländern. Ähnlich hatte sich Erdogan schon kurz nach dem Putschversuch geäußert.

Zu der Veranstaltung waren auf Einladung des Präsidenten auch Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu von der Mitte-Links-Partei CHP und der Chef der ultranationalistischen MHP, Devlet Bahceli, gekommen. Kilicdaroglu forderte, die "Versöhnungskultur" in die Zukunft zu tragen. Bahceli sprach sich für eine Überwindung der "Polarisierung" der Türkei aus und sagte: "Lasst uns eine neue Seite aufschlagen." Armeechef Hulusi Akar - der von den Putschisten gefangen genommen worden war - nannte die Umstürzler aus den Reihen der Streitkräfte "Monster und Verräter mit blutigen Händen in Militäruniform". Die Türkei macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich und geht hart gegen dessen Anhänger vor.

Bundesregierung gegen weitere Verhandlungen

Die Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei würde deren Chancen auf einen Beitritt in die Europäische Union (EU) zunichtemachen. Der deutsche Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte in einem kurz vor Erdogans Rede geführten ARD-Interview, sollte die Türkei die Todesstrafe einführen, würde es keinen Sinn mehr machen, über einen EU-Beitritt zu verhandeln. Derzeit aber halte er einen Abbruch der Verhandlungen für nicht vernünftig.

Außenminister Sebastian Kurz kündigte Widerstand im EU-Außenministerrat gegen die Eröffnung neuer Kapitel in den Verhandlungen an, für die ein einstimmiger Beschluss nötig ist. Zuvor hatte Bundeskanzler Christian Kern einen Abbruch der Verhandlungen gefordert.

Seit dem gescheiterten Putsch sind in der Türkei Zehntausende angebliche Unterstützer der Putschisten im Bereich der Polizei, des Militärs, der Justiz, des Bildungswesens und der Verwaltung entlassen oder festgenommen worden. Westliche Politiker haben den Putschversuch verurteilt, aber zugleich das anschließende massive Vorgehen Erdogans scharf kritisiert. Die Beziehungen zwischen der Türkei und dem Westen haben sich dramatisch verschlechtert. Das hat unter anderem Befürchtungen aufkommen lassen, das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei könnte platzen.

(APA/Reuters/AFP)


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